Stand: 20.01.2016 10:42 Uhr

Kurs Dorsch - Hochseeangeln auf der Ostsee

von Oliver Klebb, NDR.de

Mit einem zaghaften "Tuck, Tuck" beginnt das stählerne Herz des Angelkutters zu schlagen. Endlich geht es los, in Richtung Dorschgründe der westlichen Ostsee. Ich stehe an Deck der "MS Blauort", die von Laboe an der Kieler Außenförde zum Hochseeangeln auf die offene Ostsee hinausfährt. Es ist Punkt 7.35 Uhr. Vorbei am Seenotrettungskreuzer "Berlin" - ich hoffe, wir werden ihn nicht brauchen - schieben 600 PS den 24 Meter langen blauen Rumpf langsam aus der Hafenausfahrt.

An die Reling gelehnt blicke ich verschlafen auf die vorüberziehende Küstenlinie und inhaliere die frische Meeresbrise. Das Schiff nimmt langsam Fahrt auf, Gischt spritzt über den Bug hinweg auf die Köpfe der Angler. Ein wenig verträumte Seefahrerromantik kommt auf, doch die ist schnell verflogen, als ich mich besinne, wofür ich mitten in der Nacht aufgestanden bin: fette Ostseedorsche, die an meiner krummen Pilkrute zappeln.

Köderschau bei den alten Hasen

Doch von diesem Wunschtraum trennen mich noch mehr als eine Stunde Fahrt bis zum Fanggebiet. Obwohl noch massenhaft Zeit ist, bis Kapitän Egbert Jasper den Kutter das erste Mal längsseits in den Wind legt und über die Ostseewellen treiben lässt, mache ich mich geschäftig daran, mein "Tackle" - wie das Angelequipment auf Neudeutsch heißt - zusammenzubauen. Die Rolle ist schnell an die Rute montiert und das Fanggeschirr sicher im Relinghalter verstaut. Doch welchen Köder hänge ich ans Vorfach und vor allen Dingen, welche Farbe?

Erst mal bei den alten Hasen luschern, die meine Musterung mit kritisch-strengem Blick erwidern. Doch auf einem Angelkutter ist jeder Fachmann und deshalb hängt vom Pilker, dem klassischen Metallfischchen, bis zur "Dorschbombe" alles an den Angeln, was der Handel hergibt - und das auch noch in allen Farben des Regenbogens. Ich entscheide mich mich für einen zwölf Zentimeter großen Gummifisch in Orange-Schwarz, als Beifänger kommt die klassische schwarze Dorschfliege aufs Vorfach. Jetzt ist noch Zeit für die unwichtigen Dinge des Lebens - ich hole mir Kaffee und Brötchen aus der Kombüse.

Die Ostseeleoparden lassen sich bitten

Angler auf dem Bugdeck des Angelkutters MS Blauort © NDR / Oliver Klebb Foto: Oliver Klebb
Lange Gesichter nach der ersten Drift: Keiner an Bord der "MS Blauort" kann einen der leckeren Ostseeleoparden auf die Schuppen legen.

Langsam werde ich unruhig wie ein Jagdhund. Die Erlösung: "Tuuut", das Horn zur ersten Drift erschallt. Ein Hagel aus Pilkern geht auf die Wasseroberfläche nieder. Einem Ballett gleich beginnen alle mit den zupfenden Pilkbewegungen - immer auf und ab - um den Metall- und Gummifischen, die dicht über dem Meeresboden tanzen sollen, Leben einzuhauchen. Bei der ersten Drift kann keiner an Bord einen der Ostseeleoparden zum Mitkommen überreden. Kapitän Jasper wirft die Maschine wieder an und hupt zur Weiterfahrt. Vielleicht verspricht der nächste Stopp mehr Fisch.

Dicke Fische - Die ersten Ruten sind krumm

Nach etwa zehn Minuten Fahrt folgt die nächste Drift. Auf dem kleinen Deck am Bug des Kutters sind sofort fast alle Ruten krumm. Der Kapitän dirigiert einen seiner zwei Bootsleute - die an Bord Mädchen für alles sind - zum Landen der Fische nach vorne. Mit dem Gaff - dem langstieligen Fischhaken - werden einige größere Fische an Bord gehievt und den glücklichen Fängern nach oben aufs Oberdeck gereicht. Gummifische in Gelbtönen scheinen heute ganz oben auf dem Speiseplan der Dorsche zu stehen. Auch bei mir ist endlich die Rute krumm, ein halbstarker Dorsch hat sich die Beifängerfliege geschnappt. Nach vorsichtigem Abhaken darf er wieder schwimmen. Während sich bei den Buganglern Drift um Drift langsam die Dorschkisten füllen, ist für mich nichts küchentaugliches dabei.

Nach dem Mittagessen kommt das Anglerglück

Pilkeimer mit einer Auswahl von Ködern zum Dorschangeln © NDR / Oliver Klebb Foto: Oliver Klebb
Blick ins "Waffenarsenal": Trotz großer Köderauswahl im Pilkereimer ist es manchmal wie verhext. Glück gehört eben auch zum Angeln.

Mittagszeit. Aus der Kombüse riecht es nach Eintopf. Ich gönne mir einen Teller Erbsensuppe im Schiffssalon, der nach der frischen Brise herrlich durchwärmt und das Jagdfieber erneut weckt. Ich wechsele auf ein Fanggeschirr mit zwei Twistern - kleinen Gummiwürmern an einem Bleikopfhaken - und einem blauen Heringspilker. Auf diese Kombination konnten einige Fische von Mitanglern gelandet werden. Doch die großen Küchendorsche lassen weiterhin auf sich warten. Mein Angelnachbar, ein 16-jähriger Schüler aus Hannover, garniert seine Beifänger mit Seeringelwurmstückchen und landet mit dieser Taktik prompt einige Wittlinge - ein kleinerer, sehr schmackhafter Verwandter des Dorsches, der noch massenhaft in der Ostsee vorkommt. Direkt beim Herunterlassen des Pilkers zuppelt es dann auch bei mir - nach dem "Hochpumpen" kommen zwei Wittlinge zum Vorschein, die sich an den Twistern gütlich getan haben. Die gehen zum Braten mit - ein Glück kein Schneider mehr. Da bin ich noch einmal der Häme meiner Freundin entgangen, die nicht viel fürs Angeln übrig hat, mein Hobby aber toleriert, solange es danach ein leckeres Fischgericht gibt.

Tüdel und Bruch gehören zum Kutteralltag

Kurz vor Ende der Fahrt dann das Missgeschick: Beim Auswerfen verheddert sich die Schnur an der Rutenspitze. Die ablaufende Geflochtene türmt sich zu einer unentwirrbaren, beachtlichen Perücke - wie der Schnursalat unter Anglern heißt - auf. Da hilft nur noch der beherzte Griff zum Messer, gut 50 Meter Leine sind futsch - der Angelgeräte-Händler darf sich freuen, denn die Rolle muss komplett neu bespult werden. Bei einem Blick auf meine "Pilke" sehe ich dann den wahren Grund für das Getüdel - der Spitzenring ist lose. Ich packe ein, das war's für heute. Die ersten beginnen, die gefangenen Dorsche auf den Brettern an der Reling zu filetieren - bekanntermaßen ist die Fleischqualität am besten, wenn der Dorsch direkt auf dem Kutter geschlachtet und zum Spülen Seewasser verwendet wird.

Plausch mit einem Angelphilosophen

Angler auf dem Bugdeck des Hochseekutters MS Blauort © NDR / Oliver Klebb Foto: Oliver Klebb
Beste Freunde für zehn Stunden: Auf dem Rückweg wird tiefgründiges Anglerlatein mit Alex ausgetauscht und die Trophäensammlung bestaunt.

Alex, ein Ingenieur aus Itzehoe, steigt zusammen mit seinen Angelfreunden vom Bugdeck herab - die prall gefüllten Dorschkisten werden heruntergereicht. Nach einem netten Plausch in den frühen Morgenstunden setzt er sich sogleich wieder neben mich: "Na, wie ist es gelaufen?", fragt er. Ich zeige ihm meine zerlegte Rute und berichte von den zwei vergleichsweise mickrigen Wittlingen, die ich schon in meiner Kühlkiste verstaut habe. Er klopft mir tröstend auf die Schulter und sagt: "Jeder Tag ist ein Angeltag, aber nicht jeder Tag ist ein Fangtag." Eine Angelweisheit, die ich an diesem Tag nur dick unterstreichen kann. Während der Kutter gegen 17.15 Uhr langsam wieder in den Hafen von Laboe einläuft, zeigt er mir noch Bilder von riesigen Dorschen sowie Zandern und Meerforellen, die er in seinem Heimatfluss - der Stör - gefangen hat. Zum Abschied drücken wir uns die Hand: "Angler sehen sich immer zweimal im Leben", sagt er lächelnd. "War mir eine Ehre!", antworte ich. Und schon geht's über die Gangway auf den Pier.

Angeln ist Leidenschaft - Egal, was es kostet

Ich packe den Angelkram in den Kofferraum meines Autos, das ich direkt am Hafen geparkt habe. Auf der Heimfahrt nach Hamburg ziehe ich Bilanz: Die Rolle braucht eine neue Schnur. Die Rute muss zur Reparatur. Der Fisch reicht gerade für ein schönes Abendessen. Die Dorschbestellungen der Familie bleiben Luftbuchungen. Die Sonne senkt sich blutrot am Himmel, die Autoheizung verbreitet wohlige Wärme - Zufriedenheit macht sich breit. Trotz der Widrigkeiten des "harten Kutteralltags" - es war einer der schönsten Angeltage meines Lebens. In diesem Sinn: Petri Heil, tight Lines und allzeit warme Fingerspitzen!

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Ein gefangenenr Dorsch auf dem Deck des Angelkutters MS Blauort © NDR / Oliver Foto: Oliver Klebb

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