Ein Mann mit einer Flagge Russlands mit Wappen steht vor dem Brandenburger Tor, wo aus Russland stammende und in Deutschland lebende Menschen demonstrieren. © picture alliance/dpa | Gerald Matzka

Was Putins Krieg mit der russlanddeutschen Community macht

Stand: 19.03.2022 20:58 Uhr

Am Montag sind die Internationalen Wochen gegen Rassismus gestartet. Im Interview spricht der Migrationsforscher Hans-Christian Petersen über Rassismus gegen Russlanddeutsche und Verwerfungen innerhalb der Community.  

Sei es die Hautfarbe, Religion oder Herkunft - alles, was irgendwie fremd ist, stößt nicht immer auf Offenheit und Interesse. Ganz im Gegenteil: Fremdenfeindlichkeit und Rassismus können sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern und sich ihren Weg durch unsere Gesellschaft bahnen. Daran sollen die Internationalen Wochen gegen Rassismus erinnern. Der Auftakt war am Montag, viele Veranstaltungen sind geplant. 

Mit dabei ist auch Prof. Dr. Hans-Christian Petersen. Er forscht zum Thema "Migration und Integration der Russlanddeutschen" an der Universität Osnabrück. 

Herr Petersen, die Wochen gegen Rassismus stehen unter dem Motto "Haltung zeigen".  Wie wichtig ist das heute?

Hans-Christian Petersen: Haltung gegen Rassismus zu zeigen ist heute leider immer noch so aktuell, wie es das vor zehn Jahren war und wahrscheinlich auch in zehn Jahren noch sein wird. Das ist auch in Zeiten eines Krieges wichtig. Auch wenn wir uns durch den furchtbaren Angriffskrieg auf die Ukraine seit dem 24. Februar in einem Zustand befinden,  der alles überschattet. Ich selbst bin zutiefst erschüttert, habe auch Verbindungen zu Kollegen und Kolleginnen in der Ukraine. Es ist aber trotz allem wichtig, dass es diese Wochen gibt - Rassismus ist in keiner Weise zu tolerieren.

In den sozialen Medien wird Hatespeech normalerweise direkt gelöscht. Jetzt aber lassen Kanäle wie Instagram oder Facebook in einigen Ländern Aufrufe zu Gewalt zu, wenn sie sich gegen den Krieg in der Ukraine oder gegen Putin richten. Immer häufiger aber gehen solche Aufrufe auch direkt gegen Russinnen und Russen. Wie schätzen Sie das ein?

Petersen: Das beobachten wir jetzt seit einigen Tagen auch hier in Deutschland. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, die von pauschalen Boykottaufrufen gegen russische Restaurants in Berlin, über Drohungen und Beleidigungen bis hin zu dem Brandanschlag auf die Lomonossow-Schule in Marzahn reichen. Da werden Menschen pauschal angegriffen, teilweise auch gewalttätig, weil sie als Russen vereinnahmt werden. Das ist natürlich etwas, was eindeutig nicht zu tolerieren ist und unter Rassismus fällt. Gleichzeitig gibt es auch die andere Seite. Es gibt innerhalb der Messenger-Gruppen und bei Social-Media-Plattformen, auch gerade der russischsprachigen, eine gezielte Instrumentalisierung dieser Vorfälle. Ich möchte da gerne auf die Homepage der russischen Botschaft in Deutschland verweisen, die solche Fälle sammelt und unter dem Stichwort der Russophobie, die es in Deutschland geben würde, für Putins Propaganda einspannt. Es kursieren Videos zu Vorfällen, die es nie gegeben hat. Das ist von außen schwer zu durchschauen und erfordert einen differenzierten Blick.

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Sie arbeiten mit Russlanddeutschen zusammen. Wie erleben Sie zurzeit die Stimmung angesichts des Krieges in der Ukraine?

Petersen: Sehr niedergeschmettert. Aber bei den Russlanddeutschen muss man noch einmal ein Wort zu dem Begriff sagen. Er suggeriert ja, dass Russlanddeutsche aus Russland kämen. Das ist nicht der Fall, beziehungsweise nur für einen Teil. "Russland" bezieht sich hier auf das Russländische Reich bis zur Oktoberrevolution 1917. Zu diesem Russländischen Reich gehörte beispielsweise auch die heutige Ukraine. Die größte Gruppe der sogenannten Russlanddeutschen, die nach Deutschland kam, kam nicht aus Russland, sondern aus Kasachstan. Das verteilt sich dann weiter über andere postsowjetische Länder, unter anderem auch die Ukraine. Deshalb ist es wichtig, genau hinzuschauen und die Menschen auch nicht pauschal als Russen zu adressieren - was besonders fatal ist, wenn sie eben aus der Ukraine kommen.

Der jetzige Krieg geht einfach quer durch die Familien. Er geht quer durch die Communities. Da brechen teilweise Gespräche und Kommunikationskanäle ab. Da wird sich online gegenseitig geblockt und das sind schwere Verwerfungen, die da jetzt stattfinden. Der ganz große Teil dieser sehr heterogenen Community ist gegen Putins Krieg. Das kann man ganz eindeutig sagen. Aber es gibt eben auch einen kleinen Teil, der das befürwortet. Und das ist sehr kontrovers und sehr schmerzlich. Primär, weil viele Menschen Verwandte haben in der Ukraine.

Wie kann jeder und jede einzelne von uns in dieser Situation seinen Beitrag leisten, was die Wachsamkeit gegen Rassismus angeht?

Petersen: Ich würde sagen, wir sollten kurz überlegen, bevor wir sprechen. Wir sollten ein bisschen differenzieren bei den Begriffen. Russlanddeutsche sind nicht gleichzusetzen mit der Politik Putins. Wir sollten uns auch fragen: Warum sollten Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, sich überhaupt dazu äußern müssen? Mir würden andere Beispiele wie Gabriele Krone-Schmalz und Gerhard Schröder einfallen, die wesentlich mehr dazu beigetragen haben, Putins Sicht der Welt hier zu verbreiten. Da kann sich die deutsche Gesellschaft auch an die eigene Nase fassen.

Also: Genaues Sprechen und Offenheit, würde ich sagen. Diese Gruppe ist mindestens zweisprachig, mit Deutsch und Russisch. Das ist ein Gewinn, im Grunde eine große Kompetenz, die diese Menschen mitbringen - und nichts Schlechtes. Deutschland hat lange gebraucht, um zu realisieren, dass es ein Einwanderungsland ist. Ist es aber de facto seit Jahrzehnten. Und das als Gewinn zu sehen wäre glaube ich schon ein Fortschritt.

Das Gespräch führte Friederike Westerhaus.

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