Mutterschaft und Musik: Wie Joy Bogat ihre Welt neu erfindet
Sängerin Joy Bogat spricht im Interview über Kindheit, Rassismuserfahrungen, Mutterschaft und Musik. Wie sie zu "Joy" wurde - und warum sie heute in Hannover ihr Zuhause gefunden hat.
Zu dem Gespräch empfängt Joy Bogat im Hannoveraner Tonstudio "Hidden". Als sie von ihrer Kindheit und ihrem Weg zur Musik erzählt, rutscht ihr als erstes ihr eigentlicher Name raus: Karin Joy. Sie lacht - ertappt.
Warum wolltest du schon als Jugendliche lieber Joy heißen?
Joy Bogat: Im Alter von 15 war ich mit meiner Familie in England im Urlaub und irgendwie saß ich einen Tag am Frühstückstisch und hab gesagt: So, ab jetzt müsst ihr mich Joy nennen. Einfach aus dem Nichts. Das Gute war, ich bin danach in eine andere Klasse gekommen. Mit neuen Lehrern, anderen Schülerinnen und Schülern. Daher war die Umstellung relativ einfach. Nur meine Familie habe ich dann ein halbes Jahr lang genervt. Jedes mal, wenn sie mich Karin genannt haben, habe ich irgendwelche Songs gesungen, in denen das Wort Joy vorkam. Es war eine gute Entscheidung. Ich habe es nie bereut. Ich fühle mich einfach eher als Joy.
Deine Mutter kommt aus Schleswig-Holstein, dein Vater gebürtig aus Haiti - wo bist du aufgewachsen?
Bogat: Ich bin in Schleswig-Holstein aufgewachsen, mit meinen zwei älteren Schwestern, meiner Mutter und - bis ich 13 war- mit meiner Oma. Die hat mich viel großgezogen und war immer da, hat mich zum Kindergarten gebracht. Das war die Kombi: nur Frauen.
Wie war es für dich in Bad Segeberg aufzuwachsen?
Bogat: Während der Zeit, die ich in Bad Segeberg gelebt habe, ging es mir meistens gut. Ich verstehe mich mit meinen Schwestern total gut. Aber irgendwie hatten wir wenig Vorbilder. Es war klar: Wir sind Schwarz, wir leben hier und es gibt sehr, sehr wenig Leute, die so aussehen wie wir. Ich glaube, an meiner Schule waren fünf andere Kinder, die auch Schwarz waren - bei wahrscheinlich 1000 Kindern insgesamt.
Was bei mir immer noch nachklingt ist, dass mir früher oft meine persönliche Musikalität abgesprochen wurde. Leute sagten, es sei ja klar, dass ich gut singen könne, nur weil ich Schwarz sei. Das war öfter so und schwierig auszuhalten. Dennoch habe ich es irgendwie immer wieder geschafft, mich davon nicht unterkriegen zu lassen. Gegen Ende der Zeit, die ich dort gelebt habe, habe ich auf jeden Fall gemerkt, dass das nicht mein Ort ist. Ich möchte mir einen Ort suchen, wo ich mich wohl fühle - und das habe ich zum Glück auch getan.
Du hast mit fünf Jahren festgestellt, dass du Musik liebst und hast mit deiner Schwester angefangen, erste Lieder zu schreiben. Wie ging es dann weiter?
Bogat: Ich habe mit neun angefangen Klavierunterricht zu nehmen und dann habe ich bald darauf angefangen, Songs zu schreiben.
Auf Deutsch?
Bogat: Auf Englisch. Ich habe irgendwann festgestellt, dass meine Sprache für Musik Englisch ist. Denn erstens höre ich viel mehr englische Musik und zweitens gibt es für manche Dinge, die mich umtreiben, keine Worte im Deutschen - was total traurig ist, weil das alles Erfahrungen sind, die viele Leute betreffen, die auch deutsch sind. Aber damals hatte ich nicht das Gefühl, über Rassismus beispielsweise auf Deutsch schreiben zu können.
Wer waren da deine musikalischen Vorbilder?
Bogat: Alicia Keys war eines meiner ersten Schwarzen Vorbilder. Ihre Musik und ihre Person sind sehr prägend für mich gewesen - bis heute. Meine älteste Schwester hatte das erste Album, das habe ich sehr viel gehört. Ich habe sie immer dafür bewundert, wie ehrlich sie ist in ihrer Musik.
Und deutsche Musik?
Bogat: [lacht] Eine meiner Lieblingsbands ist bis heute "Die höchste Eisenbahn". Ich liebe einfach ihre schlauen Texte.
Wie bist du denn schließlich in Hannover gelandet?
Bogat: Ich bin 2016 zum Studium hergekommen. Ich kannte die Stadt vorher nicht, hatte mich aber fürs Pop-Studium beworben. 2020, während des Studiums, habe ich dann mein Label gefunden und habe zum Ende des Studiums angefangen, unter meinem Namen Musik zu veröffentlichen. Ich glaube, der Ort, an dem ich mich am meisten zu Hause fühle, ist inzwischen Hannover.
2023 ist deine Tochter zur Welt gekommen, kurz darauf, 2024, hast du dein erstes Album veröffentlicht. Das sind ganz schön viele wichtige Ereignisse auf einmal in einem Jahr. Wie hast du diese Zeit in Erinnerung?
Bogat: Sehr schön und sehr, sehr anstrengend. Ich weiß auf jeden Fall, dass ich zu der Zeit einfach so dankbar war für alle Leute um mich herum. Alleine wäre das niemals gegangen.
Und was würdest du sagen, hat sich in deinem Leben verändert, seitdem du nicht nur Musikerin bist, sondern seitdem auch die Rolle der Mama dazugekommen ist?
Bogat: Ich habe auf jeden Fall eine ganz andere Wertschätzung für meine Arbeit und die Zeit, die ich da rein investiere. Ich habe jetzt einen ganz anderen Blick auf meinen Beruf. Ich schreibe inzwischen sehr viel gebündelter. Früher habe ich immer nur geschrieben, wenn die Kreativität zu mir kam oder mich etwas beschäftigt hat. Jetzt plane ich zu schreiben, wenn ich weiß, ich habe heute nur zwischen 9 und 14 Uhr Zeit. Dann ist klar, jetzt muss ich kreativ sein - und das hätte ich früher nicht von mir gedacht, dass ich das kann.
Außerdem sind natürlich Druck und Ängste dazugekommen. Ich möchte es hinbekommen, dass ich diesen Job machen kann. Zugleich komme ich immer wieder an Punkte, wo ich merke, wie familienfeindlich das ganze Business ist. Hier ist kein Platz für Leute, die bestimmte Dinge brauchen, wie einen sauberen Backstage-Bereich zum Beispiel. Das macht es schwierig und führt einerseits dazu, dass ich mir beweisen möchte, dass es trotzdem geht. Und dann gibt es wieder Momente, in denen ich denke: Ich will das einfach nicht mehr machen, das ist mir zu anstrengend.
Worum geht es bei deinem neuesten Song "Growing Pains"?
Bogat: In dem Song habe ich erkundet, wie ich die Welt neu entdeckt habe, nachdem ich Mutter geworden bin. Also das Gefühl, durch die Augen meiner Tochter zu schauen: Was ist diese Welt überhaupt für ein Ort und wie kann ich mich darin bewegen in Verbindung mit anderen Menschen? Das ist manchmal auch schmerzhaft. Ich habe auf jeden Fall in den letzten eineinhalb Jahren auch viele, viele Tränen geweint, aus verschiedensten Gründen. Aber die haben dazu geführt, dass ich mich neu entdeckt habe und daran gewachsen bin. Genau darum geht es in dem Song.
Das heißt, du hast wahrscheinlich auch sehr viel über deine eigene Kindheit nachgedacht?
Bogat: Auf jeden Fall. Mein Blick auf die eigene Familie hat sich verändert, seit ich selbst Mutter bin. Ich habe eine andere Wertschätzung für meine Schwester und für meine Mutter, dafür, was sie für mich getan und wie sie mir geholfen haben als Kind. Dafür, dass ich ich sein durfte. Das ist mir tatsächlich erst jetzt so richtig bewusst geworden: Ich wurde von ganz vielen Leuten einfach so geliebt. Ich glaube, das hat dazu geführt, dass ich schon ganz früh einen Zugang zu meinen Emotionen hatte. Dazu kommt: Meine Mutter hat das immer unterstützt. Ich glaube, sie hatte einfach ganz viel Vertrauen in uns - weil sie das auch musste als alleinerziehende Mutter.
Im Herbst will Joy Bogat ihr zweites Album aufnehmen und veröffentlichen. Live steht sie in Deutschland dann ab dem späten Herbst auf der Bühne.
Das Gespräch führte Muschda Sherzada.
