Historisches Hamburg: Bilder als Zeugen einer vergangenen Zeit
Historische Fotos haben in Hamburg Konjunktur. In Ausstellungen und edlen Bildbänden erzählen sie die Geschichte der Stadt: Straßenszenen in Altona, die Arbeit im Hafen und auf Wochenmärkten oder der Alltag in den längst versunkenen Gängevierteln.
Fast immer sind das Fotos aus Nachlässen oder Zufallsfunde, die von privaten Enthusiasten kuratiert und von Verlegern publiziert werden - weniger aus staatlichen Archiven. Auch Andreas Karmers hat historische Fotos gesammelt und sie zusammengestellt - jedoch nicht in einer Ausstellung oder einem Bildband. Es ist eine Art Collage aus Fotos, die er animiert und kommentiert hat: "Wir waren das dunkle Herz der Stadt", so der Titel seines mehrstündigen Dokumentarfilms, in dem er das Leben seiner Großeltern in den Hamburger Gängevierteln erzählen will.
Der private Blick auf das Gängeviertel in den 1920ern
Viele der Fotos musste er dazukaufen. "Ich habe einige Fotohändler kennengelernt", erzählt Karmers. "Die haben auch Schätze, die nicht von offizieller Stelle und nicht von den üblichen Verdächtigen gemacht wurden, die in der Stadt sowieso die großartigen Fotos gemacht haben, sondern von Leuten, die aus eigenem Antrieb Fotos gemacht haben. Auch Filme waren dabei. In den 20er-Jahren gab es die ersten Wackelfilme. Ohne die hätten wir aus dem Gängeviertel heute keine einzigen Bewegtbilder", erklärt der Bildenthusiast.
Auch Amateurfotografie hat ästhetischen Wert
Auch Fotos wie die des Hamburger Arbeiterfotografen Fide Struck hätten ohne das Geld und die Initiative seines Sohnes, des Filmemachers Thomas Struck, nie den Weg an die Öffentlichkeit gefunden. Oder die Hamburg-Bilder des begabten Amateurfotografen Albin Müller, entdeckt von dem Inhaber eines Foto- und Kamerageschäfts, der die Fotos aus dem Nachlass gekauft und einem Verlag angeboten hat. Karmers findet, dies seien wertvolle Studien und Dokumente, denn sie zeigten Hamburg vor hundert Jahren. Die schaue man sich gerne mal an, findet Karmers und betont neben dem dokumentarischen auch den ästhetischen Wert: "Es sind nicht nur Dokumente, sondern schöne Bilder, die man sich auch an die Wand hängen könnte."
Die Digitalisierung behinderte seine Arbeit
Bernd Nasner erging es nicht anders als etwa Wilfried Warnke, der vor einiger Zeit die Geschichte des jüdischen Fotografen Max Halberstadt erzählt hat, ebenfalls in einem opulenten Bildband. Seine Recherchen führten ihn zu der in den USA lebenden Halberstadt-Familie, bei der er Dokumente, Objekte und Fotos einsehen konnte, die in keinem Archiv zu finden sind. Andreas Karmers hat in öffentlichen Archiven recherchiert für seinen Film über die Gängeviertel - aber zumeist vergeblich. "Leider ist es im Staatsarchiv so, dass zwar kostbare Fotos vorhanden sind, auch viele, die ich gerne gehabt hätte, an die ich aber nicht rangekommen bin. Beispielsweise sind von einzelnen Fotografen die kompletten Bestände gesperrt, wenn sie gerade digitalisiert werden." Die Digitalisierung passiere nicht sukzessive, sondern auf einen Schlag sei das gesamte Œuvre eines Fotografen für mehrere Jahre unzugänglich, bedauert Karmers.
Historische Fotografie in Lübeck
Der Historiker Jan Zimmermann beschäftigt sich intensiv mit historischen Stadtansichten. Er führt ein privates Archiv in Lübeck, wo man sehr viel weiter ist als etwa in Hamburg. "Was wichtig wäre", so Zimmermann, "ist ein Zusammendenken verschiedener Bestände, was möglicherweise über eine Digitalisierung läuft. Hier in Lübeck denken wir das eben auch an. Wir haben fünf, sechs, sieben Häuser, in denen Fotografien lagern. Die werden in Zukunft in einer gemeinsamen Bilddatenbank zu erfassen sein. Mit Schnittstellen kann man sich das auch für die Hamburger Institutionen vorstellen, dass man in einer Datenbank sucht. So wie es für Buch- oder Archivarienbestände mittlerweile eine Nationale Datenbank bzw. Schnittstelle gibt, in der man in Sachen aus allen möglichen Institutionen gleichzeitig suchen kann."
Das fotografische Gedächtnis unserer Städte - europaweit
Das funktioniert bereits in sozialen Netzwerken, dort haben sich Zehntausende Amateure zu Recherche-Teams organisiert. Aber die staatlich kuratierte, systematische Sicherung dessen, was man das "Fotografische Gedächtnis der Stadt" nennen könnte, bleibt noch ein Traum. Jedenfalls in Norddeutschland, sagt Jan Zimmermann: "Langfristiges Ziel ist es, dass man Recherchemöglichkeiten nach außen schafft. So, wie es viele Museen mit dem Prinzip 'Sammlung online' machen. Ein Beispiel: Ich habe ein Foto gesucht aus Hamburg zu einer Fotoausstellung von 1869. In Hamburg habe ich das bislang noch nicht gefunden - aber in Wien." Es sei in der 'Sammlung online' der Albertina verfügbar gewesen, dem berühmten Kunstmuseum in der österreichischen Hauptstadt. Denn auch dort kann man sich auf die Suche nach dem fotografischen Gedächtnis unserer Städte machen.
Der Bildband mit Fotos von Albin Müller ist im Junius Verlag erschienen, der über Max Halberstadt im Hirmer Verlag. Der Film über die Gängeviertel läuft unter dem Titel "Wir waren das dunkle Herz der Stadt" im Hamburger Zeise-Kino, zumeist an den Wochenenden.
