Toxische Männlichkeit: Neue Forschungsstelle will Alternativen aufzeigen
Wann ist ein Mann ein Mann - und das aus religiöser Perspektive? Diese Frage will die neue Forschungsstelle am Zentrum für Islamische Theologie in Münster unter die Lupe nehmen.
Während künftig in den USA weniger Gelder für bestimmte Forschungsgebiete fließen könnten, nimmt man in Münster Geld in die Hand. Etwa für Forschungsdesiderate wie Vorstellungen von Männlichkeit in der islamisch geprägten Welt. Vor allem aber seien es zunehmende islamistische Tendenzen und andere Formen von religiösem Fundamentalismus, die eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeitsbildern dringend nötig machten.
Junge Männer radikalisierten sich vermehrt in sozialen Netzwerken, wo sie durch selbsternannte Islamprediger mit gefährlichen Männlichkeitsidealen manipuliert würden, sagen Theologen, die dieser gefährlichen Entwicklung mit einer neuen Forschungsstelle entgegentreten wollen.
Kampf gegen destruktive Männlichkeitsbilder
Mouhanad Khorchide, der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie in Münster, will das Verständnis für die Rolle von Männern in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen fördern. Die neuartige "Arbeitsstelle für kritische, interdisziplinäre und interreligiöse Männlichkeitsforschung" - kurz AKIIM - soll aber auch einen Beitrag zur Radikalisierungs- und Fundamentalismus-Forschung leisten, sagt Khorchide, der das Projekt zusammen mit David Koch initiiert hat und leiten wird.
"Wenn man sich zum Beispiel die Radikalisierungsszene im Internet anschaut", so der Forscher, "ist es zum großen Teil ein Männerphänomen. Dahinter stecken bestimmte Männlichkeitsbilder, die destruktiv sind. Ich hoffe sehr, dass wir in unserem Programm für die Weiterbildung von Imamen und Sozialarbeiterinnen und -arbeitern, die in den Moscheen tätig sind, die Moscheegemeinden erreichen. Deshalb wollen wir diese Arbeit über kritische Männlichkeitsforschung in unsere Studiengänge implementieren."
Religion - Teil des Problems oder der Lösung?
Männlichkeitsforschung hat in den USA beispielsweise eine lange Tradition, aber es gibt sie auch in Deutschland. Das Besondere der Forschungsstelle in Münster ist, dass sie innerhalb der islamischen Theologie angesiedelt ist und sowohl interdisziplinär als auch interreligiös arbeitet. Die Theologen interessiert vor allem die Frage, inwieweit Religion Teil des Problems ist - etwa, wenn fragwürdige Männlichkeitsbilder propagiert werden. Können derartige Vorstellungen entkräftet werden, wäre die Religion aber auch Teil der Lösung.
Doch andere Disziplinen sind genauso wichtig. Daher will die AKIIM die Sozialwissenschaften, Politikwissenschaften und andere Disziplinen mit an Bord nehmen. Auch Fikri Anil Altintas, Buchautor und Journalist, wird künftig mitarbeiten: "Es gibt nicht per se die islamischen Männlichkeitsbilder, weil der Islam immer in soziale Rahmenbedingungen eingebettet ist." Wie wichtig Männlichkeit gerade für die jüngere Generation generell ist, zeigt die jüngste Shell Jugendstudie: Für fast 70 Prozent der jungen Männer in Deutschland ist Männlichkeit ein wichtiges Thema. Doch wer bestimmt, was männlich ist?
Problematische Influencer-Ansichten
Wer Männlichkeitsforschung betreiben will, kommt vor allem mit Blick auf Muslime und Zugewanderte an umstrittenen Influencern nicht vorbei: "Andrew Tate oder Männlichkeits-Influencer, die auf Social Media sehr starke Reichweiten generieren und die durch eine Art kognitive Verzerrung als Muslime geframed werden - was wiederum für die Theologie und für die Religion hochproblematisch ist", sagt David Koch. Zusammen mit Mouhanad Khorchide leitet er als katholischer Theologe das AKIIM-Forscherteam.
In den sozialen Medien gibt es derzeit zwei Stars, die vor allem durch Kampfsportarten ihre angebliche Männlichkeit demonstrieren: die russisch-muslimischen Kämpfer Islam Makhachev und Khabib Nurmagomedov. Beide sind stolz darauf Muslime zu sein und wollen der Welt zeigen, wie ein echter Muslim zu sein hat. Die aus Dagestan stammenden Kämpfer sind Trump-Fans und haben auf ihren Social-Media-Kanälen beachtliche Follower-Zahlen. Das Problem: Sie stehen für ein problematisches Männlichkeitsbild.
Neue progressive Männlichkeitsbilder sollen entwickelt werden
"Mit Männlichkeit wird Politik gemacht, und Männlichkeit wird auch oftmals dafür benutzt, sexistische Stereotype zu manifestieren, die dann auch häufig als Einfallstor für geschlechtsspezifische Gewalt gelten", erklärt Altintas. Die Erfolge solcher Männlichkeits-Influencer legen nahe, dass sogenannte "toxische Männlichkeit" bei der jungen Generation gerade hip ist. Das könne daran liegen, dass viele junge Männer sehr orientierungslos seien, auf der Suche nach Vorbildern, die sie gerade nicht finden, glaubt man in Münster.
Doch das könnte sich künftig ändern: Durch die Forschungsarbeit sollen neue, progressive Männlichkeitsbilder entwickelt werden, die in die dortige Imam-Ausbildung und damit auch in die Moscheegemeinden durchdringen sollen. Auch Lehrmaterialien für den islamischen Religionsunterricht will die AKIIM künftig entwickeln.
