Ein Kettenkarussell in voller Fahrt © picture alliance / photothek | Thomas Koehler Foto: Thomas Koehler

Warum suchen Menschen den Rausch? Eine Kulturgeschichte

Stand: 14.06.2022 23:00 Uhr

Rausch: Ein Begriff, der wie wenige polarisiert und unterschiedliche Assoziationen hervorruft. Manche denken an Glück, Euphorie, andere eher an Krankheit und Elend, die auf einen Rausch folgen mögen.

von Anina Pommerenke

Mit dem Begriff des Rauschs und wie die Gesellschaft damit umgehen sollte - zum Beispiel in Hinblick auf die Legalisierung von Cannabis oder Alkoholabgabe an Jugendliche - beschäftigt sich eine Diskussionsrunde von NDR Kultur.

Robert Schumann klagte "Katzenjammervoll" ins Tagebuch

"Katzenjammervoll" habe er oft komponiert, schrieb Robert Schumann in sein Tagebuch. "Wenn ich betrunken bin oder mich erbrochen habe, so war am anderen Tag die Fantasie schwebender und erhobener", notierte der Komponist weiter. Damit ist er sicher nicht der einzige Künstler und Intellektuelle, der beim Schaffensprozess auf Alkohol und Drogen zurückgegriffen hat.

Doch warum suchen Menschen den Rausch? Unter anderem mit dieser Frage hat sich der Politikwissenschaftler Robert Feustel wissenschaftlich auseinandergesetzt: "Der Versuch aus der Enge des eigenen Gehirns austreten zu können, rauszukommen. Das Bewusstsein zu erweitern. Das ist ein Klassiker der Drogengeschichte. Die hat immer wieder den Haken, dass sie am Ende keine besonders tollen Erkenntnisse produziert, außer die Rede von der Bewusstseinserweiterung."

Wird Rausch als Quelle der Kreativität romantisiert?

Alles nur Einbildung also? Wird Rausch als Quelle der Kreativität romantisiert? Verschiedene Studien kommen zu der Erkenntnis, dass Ideenfluss im alkoholischen Vollrausch ein Mythos ist. Alkohol könne zwar einen positiven Effekt auf die Kreativität haben - jedoch sei dies auch von der Dosis und der Regelmäßigkeit des Konsums abhängig.

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Langfristig überwiege der Schaden, wie etwa eine Untersuchung von 34 Künstlerbiografien des Psychiaters Arnold M. Ludwig zeigt. Und: Drogen alleine komponieren auch keine Arien oder schaffen Kunstwerke für die Ewigkeit. Das sieht auch Politikwissenschaftler Feustel ähnlich: "Die Drogen haben keine Macht, Erkenntnisse zu produzieren, die vorher nicht da waren." Sie hätten vielleicht die Macht, die Zunge zu lockern, Dinge zu verknüpfen, die vorher nebeneinander unverbunden dalagen. "Aber das Wissen und die Gedankengänge ist eigentlich schon immer im eigentlich vernünftigen oder nicht berauschten Denken schon vorhanden."

Rausch-Begriff von heute stammt aus 19. Jahrhundert

Laut Feustel gibt es den Rausch-Begriff, wie wir ihn heute kennen, erst seit dem 19. Jahrhundert - seither habe er eine wechselhafte Geschichte durchlaufen, je nachdem, wer auf das Thema schaut. Aus der Staatsperspektive sei Rausch etwa extrem negativ, weil sich die Bürger anständig verhalten sollen. Unterm Strich sei es also nicht ganz einfach zu verstehen, was die Menschen meinen, wenn sie über den Rausch sprechen.

"Wir haben in den letzten Jahrzehnten ein bisschen ein Problem mit einer Verwässerung des Rauschbegriffs, weil es seit einiger Zeit üblich ist, vom Kaufrausch, vom Sexrausch, vom Blutrausch - von allen möglichen Arten des Rausches zu sprechen." Das produziere dann so eine Indifferenz, meint Feustel. "Ich kann dann nicht mehr sehen, was eigentlich das einzelne Phänomen genau ist. Dann würde ich dafür plädieren, die Dinge wieder etwas genauer zu beschreiben."

Die Janusköpfigkeit der Konnotationen

Der Begriff Rausch hat also eine gewisse Janusköpfigkeit: positive so wie negative Konnotationen schwingen mit. Er geht mit Drogen- und Alkoholkonsum einher und hat viele unterschiedliche Gesichter. Laut Feustel müssen wir uns frei machen von dem Gedanken, dass wir jenseits des Rauschs immer "Herr oder Frau im eigenen Haus sind" - also Kontrollverlust nur unter Einnahme von gewissen Substanzen geschieht.

"Wir haben uns irgendwie die Vorstellung angeeignet: Wir haben die Rauschzustände hier, dann ist man irgendwie besoffen oder bekifft oder hat irgendetwas anderes genommen und die anderen Zustände sind irgendwie nüchtern und vernünftig." Das klinge schon irgendwie ein bisschen absurd. "Ich würde bezweifeln, dass wir immer so nüchtern und vernünftig sind. Wir wissen auch aus der Forschung, dass an vielen Stellen Emotionen beteiligt sind. Wir reden oft gar nicht so nüchtern und klar, wie wir glauben", sagt der Politikwissenschaflter Robert Feustel.

Thema Rausch am Dienstag, 14. Juni im Bucerius Kunstforum Hamburg

Über das Thema Rausch sprach NDR Kultur am Dienstag mit den Schriftstellern Stefanie Sargnagel und Peter Wawerzinek und dem Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung in Hamburg, Prof. Dr. Ingo Schäfer im Bucerius Kunstforum in Hamburg.

Los ging es um 19 Uhr - der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung über die Internetseite des Bucerius Kunstforums ist erforderlich. NDR Kultur zeichnet das Gespräch auf - und sendet es am 18. September in der Reihe Sonntagsstudio.

Veranstaltung im Bucerius Kunst Forum

Moderation:
Alexander Solloch, Redakteur bei NDR Kultur

Im Gespräch
Stefanie Sargnagel, Schriftstellerin
Peter Wawerzinek, Schriftsteller
Prof. Dr. Ingo Schäfer, Direktor des Zentrums für Interdisziplinäre Suchtforschung in Hamburg

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 13.06.2022 | 17:20 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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