Hörspiel
Mittwoch, 06. Juli 2022, 20:00 bis
22:00 Uhr
Hörspiel von Eva-Maria Alves.
Eine Geburtstagsgesellschaft ist in einem Gartenlokal versammelt, es ist der 28. August, der 90. Geburtstag des Jubilars. Die Gäste sind teils steinalt, auch eine ehemalige Geliebte, jetzt 89 Jahre alt, ist unerwarteter Weise zugegen. Die Gespräche kreisen in ausgedehnten bis scharfen Kurven um den noch Abwesenden. Disparates, Assoziatives, Nebensächliches, scheinbar: Beliebiges?
"Helga: Schlüsselwörter – Margot: Resümee – Gisela: mots-clés – Margot: ein Hustenanfall, den man noch im Ohr hat nach 50 Jahren – Helga: her mit dem Hustenanfall."
Allmählich fügt sich aus diesen Puzzleteilen das Bild eines Menschen zusammen, sein langes Leben bekommt zaghafte Konturen. Oder anders: Wir besichtigen ein ganzes Zeitalter. Jahrzehnte lang war er, der Jubilar – stark rauchender Pünktlichkeitsfanatiker – der Leiter einer Psychiatrie, und seine ehemaligen Mitarbeiter und womöglich Patient*innen benennen seine besonderen Behandlungsmethoden, seine durchaus autoritäre Art, seine Schrullen, seine Verletzbarkeit. Sein Leben wurde geprägt durch den Militärdienst im Zweiten Weltkrieg, wo er, in Brest stationiert, wovon als Leitmotiv dieser surreal anmutenden Geburtstagsfeier Jacques Préverts Chanson "Rappelle-toi, Barbara" erzählt, als junger Soldat der wahren Liebe begegnete...
"Ohne Gnade, ohne Scham erzählen, was nie war. Das Leben erfühlen. Da man es nicht finden kann." - Um diese Sentenz hat die im Oktober 2021 im Alter von 81 Jahren verstorbene Autorin Eva-Maria Alves ihr letztes Originalhörspiel konfiguriert: ein akrobatisch-lyrisches Spiel mit Leerstellen, Perspektiven und Wiederholungen über Erinnerungssplitter eines Lebens. Voller Fantasterei und Herzblut. Gemeinsam mit der Komponistin Sabine Worthmann und dem Theremin-Spieler Grégoire Blanc hat Regisseurin Christiane Ohaus dieses Fragment gebliebene Stück zu einem ganz und gar eigentümlichen Geburtstagsständchen für das Radio inszeniert. Und das Geburtstagskind? Wahrscheinlich ist er schon tot. Die Gäste haben dennoch einen Abend mit ihm verbracht.
"Dr. Matthias: wir erschaffen ihn in seiner Abwesenheit - Dr. Jakob: wir erschaffen ihn aus seiner Abwesenheit – Tarek: hä? – Gisela: briller par son absence – das war, immer schon, seine Art zu erscheinen. Durch Abwesenheit anwesend zu sein, zu glänzen."
Zu dieser Premiere stellen wir in unserem Podcast Eva-Maria Alves' berühmtes NDR-Stück "Alstervergnügen" online.
Die Autorin
Eva-Maria Alves, geboren 1940 in Osnabrück, absolvierte, nachdem sie 1960 die Reifeprüfung abgelegt hatte, ein Volontariat bei einer Tageszeitung. Anschließend wirkte sie als Redakteurin und freie Journalistin. Sie hielt sich längere Zeit in Österreich, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion auf. Ab 1979 lebte sie in Hamburg. Neben ihrer journalistischen Tätigkeit war Alves literarisch aktiv; 1982 nahm sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt teil. Eva-Maria Alves verfasste Romane, Erzählungen, Gedichte und Hörspiele. 1992 erhielt sie den Hamburger Förderpreis für Literatur. Veröffentlichungen u.a.: "Versuch einer Vermeidung" (1981), "Die Bleistiftdiebin" (1996), "Eisfrauen" (1996). Zuletzt erschienen "Unter Teufeln" und "Unter Engeln" (2014). Hörspiele u.a. "Alstervergnügen" (NDR 1989) und "Die wilde Braut" (SR/RB 2004). Eva-Maria Alves verstarb im Oktober 2021.
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