Ein Mann mit grauen Haaren schaut nach vorne, er trägt eine Brille. © picture alliance ZUMAPRESS.com Foto: Sachelle Babbar

Reporter ohne Grenzen - Gefahr und Angst spielen immer mit

Stand: 28.02.2022 13:29 Uhr

In der Ukraine wird weiter gekämpft, heute sollen erste Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine beginnen. Ob dabei etwas herauskommt, ist unklar. Diese und alle anderen Informationen bekommen wir nur, weil es Reporterinnen und Reporter gibt, die vor Ort recherieren und berichten.

Darüber hat Philipp Schmid mit Michael Rediske, dem Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen gesprochen und gefragt: "Den fünften Tag in Folge toben nun die Kriesghandlungen in der Ukraine. Was hören Sie von Kolleginnen und Kollegen vor Ort über die Arbeitsbedingungen?"

Michael Rediske: Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort sind natürlich in einer ähnlichen Lage, wie die gesamte Zivilbevölkerung und sie müssen erst mal gucken, wo können sie sich schützen. Gestern sind zwei dänische Journalisten schwer verletzt worden, das waren aber die ersten Fälle, die wir kennen. Solche Journalisten bewegen sich natürlich nah an den Kriegsgebieten und dort auch meistens in Begleitung von Armeeangehörigen, anders kann man sich in einem Krieg ja auch nicht bewegen. Vor einigen Tagen, das war glaub ich sogar am letzten Wochenende, ist Arndt Ginzel, ein freier Reporter, der auch für die ARD arbeitet, beschossen worden, er ist zum Glück nicht getroffen worden. Aber die Leute sind dort schon ständig gefährdet und sie müssen sich überlegen wer ausreist und wer da bleiben will. Aber die richtigen Krisenreporter, die scheinen erst mal dableiben zu wollen.

Es geht ja auch um die Verlässlichkeit der Informationen, haben Sie da mehr Wissen als wir, die immer dazu sagen müssen: genau weiß man es nicht?

Michael Rediske: Es gilt der alte Spruch: die Wahrheit stirbt zuerst im Krieg. Also wir sind alle auf die Informationen der Kriegsparteien angewiesen, das sind die Reporter auch. Wenn da einer rumschwirrt, dann kann er auch immer nur das berichten, was er selber sieht oder was er von anderen hört. Ich habe allerdings den Eindruck, dass wir ein bisschen mehr erfahren, zum Beispiel über Kiew, weil dort relativ offen von Selenskyj kommuniziert wird, gerade auch in seinen Videos. Also mir scheint, dass die ukrainische Seite auch zugibt, wo sie Verluste hat. Aber nehmen Sie beispielsweise die Meldung von gestern Abend, oder heute Morgen: Wahrscheinlich stehen schon an etlichen Ecken der Großstadt Kiew russische Truppen, aber wahrscheinlich sind sie nicht ganz eingezingelt, aber das wird auch niemand beobachten können, außer den amerikanischen Geheimdiensten.

Was ist die Hauptaufgabe oder die Hauptarbeit jetzt im Moment von Reporter ohne Grenzen?

Michael Rediske: Wir haben jetzt noch keinen Flüchtlingsstrom, aber wir erwarten natürlich ähnliches, sogar in größerem Umfang, als wir letztes Jahr im August mit Afghanistan hatten, zumal es sehr viel leichter ist rauszukommen. Aus Afghanistan haben wir zusammen mit anderen Organisationen hunderte Menschen rausgeholt, hier werden möglicherweise auch tausende kommen, also allein in der Ukraine. Nach Angaben der Regierung gab es mehr als 1.000 Journalistinnen und Journalisten, die da akkreditiert waren. Wir haben am Wochenende angefangen und versuchen heute Leute für eine Task-Force einzustellen. Leute, die sprachkundig sind, ukrainisch und russisch sprechen und sich dann noch um Anfragen kümmern können. Also das ist ja auch eine sehr neue Situation, so wie in Afghanistan, da konnte man ja eigentlich schon monatelang mit rechnen, aber mit diesem Überfall in dieser Form hat man nicht gerechnet.

Sie haben den alten Spruch, der immer wieder stimmt zitiert: Die Wahrheit stirbt zuerst in Kriegen, ist das die Hauptaufgabe von Reporter ohne Grenzen dagegen zu arbeiten?

Michael Rediske: So direkt werden wir kaum arbeiten können, weil die Medien machen ja ihre Arbeit, und die müssen das beurteilen. Und die Medien finde ich bisher ganz gut. Alles, was in den Nachrichten kommt, wird auch immer einer Quelle zugeordnet, wo es nicht geschieht, ist es ein Fehler. Dazu gehört auch, wo nicht der Konjunktiv statt des Indikativs benutzt wird, oder wo beispielsweise die Sprachregelung der russischen Seite übernommen würde, es handele sich um eine Spezialoperation oder so was. Am schlimmsten ist es ja tatsächlich mit den Medien in Russland, die sind ja schon lange zensiert. Und was man, wie ich höre, in den russischen Staatsmedien sehen kann, das sind ja irgendwie mehr oder weniger friedliche Bilder, die überhaupt nicht darauf schließen lassen, dass hier in vielen Landesteilen gekämpft wird, dass Kiew umkämpft wird, da werden relativ friedliche Bilder gezeigt. Und es werden Bilder über eine angeblich sehr begrenzte Schutzoperation für die Südostukraine gezeigt. Also man kann sich auch in Russland noch informieren. Die deutsche Welle ist zwar als Fernsehsender abgeschaltet worden und musste ihr Studio schließen, aber auch die Deutsche Welle ist über Internet erreichbar und es gibt auch andere alternative Medien. Nur das Problem ist, dass die meisten Menschen eben doch auf die Staatsmedien angewiesen sind, vor allen Dingen außerhalb der Großstädte.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 28.02.2022 | 08:15 Uhr

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