Elektrisierend und schmerzhaft aktuell: Sartres "Schmutzige Hände"
Grell wie ein französischer Film der 70er-Jahre ist Jan Bosses Inszenierung, die das Hamburger Theaterfestival eröffnet. Machtspiele zwischen Koalitionsverhandlungen und Trump'scher Brachialpolitik - mit Starbesetzung.
Politik ist ein dreckiges Geschäft, sagen viele – entweder man muss Kompromisse machen und seine Ideale verraten, oder man verbeißt sich ideologisch, bis es nicht mehr geht.
"Guck, ich hab schmutzige Hände, bis zu den Ellbogen. Ich hab sie in Blut und Scheiße getaucht. Bildest du dir ein, man könnte unschuldig regieren?", sagt Hoederer aufgebracht. Er ist so einer, so ein Kompromiss-Schließer, der gern Rotwein schlürft. Marke: Sozialist im Nadelstreifenanzug, eitel, geleckt, aber menschelnd.
Eine "Grusel-Ampel mit Braun-Tönen"
Obwohl er aus einer Revoluzzer-Partei kommt, will sich der Parteichef an der Regierung beteiligen, zusammen mit Faschisten und Nationalisten. Eine Grusel-Ampel mit Braun-Tönen à la Jean-Paul Sartre. "Uns stehen harte Zeiten bevor, das Land ist pleite, vielleicht kommt es zum Bürgerkrieg!", rechtfertigt er sich.
Für diesen Verrat will die Partei Hoederer beseitigen und schickt dafür Hugo: Der soll sich als Sekretär bei ihm einschleusen. Aber irgendwie geht die Sache schief. Denn Hugo findet Hoederers Ideen gar nicht so schlecht. Im Gegenteil.
Bis die Bombe platzt! Was nicht alle Zuschauer erfreut: "Ich fand, es war wahnsinnig klamaukig, langweilig am Anfang, nur das letzte Drittel hat mir gefallen", sagt eine Frau.
Carol Schuler singt und spielt umwerfend
So gefällt nicht allen die Inszenierung von Jan Bosse aus Zürich – und ja, sie ist grell, bunt, sieht aus wie ein französischer Film der 60er-, 70er-Jahre. Mit Kunstnebel und Plastikpalme. Samtanzug und Polyesterkleid, Chansons in einer schimmeligen Bar.
Carol Schuler singt und spielt umwerfend: "Ihr redet euch ein, in eurer Männerwelt sei alles in bester Ordnung – aber seht ihr nicht, dass eure Welt gerade überall Risse bekommt?"
Das ist sinnlich und kaum existenzialistisch-philosophisch. Was hier aber gelingt: Man sieht dem Räderwerk der Politik buchstäblich beim Sich-Drehen zu, mitten im Maschinenraum der Macht. Wer lügt und wer spielt einfach nur Theater? Das ist elektrisierend und übrigens brillant gespielt, von allen.
Der Idealismus bleibt auf der Strecke
Keiner behält hier saubere Hände. "Ja, das ist wahrscheinlich die Grundsatzfrage gewesen: Wie viel Idealismus bleibt am Ende übrig, Macht korrumpiert", resümiert eine Besucherin.
Dicht, körperlich spielen Wolfram Koch als todgeweihter Politiker - und Steven Sowah als Möchtegern-Attentäter - einen Krimi mit Showdown am Oldtimer-Peugeot. Am Ende ist das Publikum überwiegend begeistert. Von "großartiges Stück" über "coole Message" bis hin zu "intensives Schauspiel" reichen die Kommentare.
Weitere große Namen kommen nach Hamburg
Beim Hamburger Theaterfestival lassen sich andere Regiestile von den größten Bühnen im deutschsprachigen Raum kennenlernen, findet dieser Zuschauer: "Man sieht sie und muss nicht extra hinfahren."
Aus Berlin reist eine echte Mammutproduktion an: "Die Dreigroschenoper" in der Inszenierung von Barrie Kosky vom Berliner Ensemble. Diese Inszenierung ist schon um die halbe Welt getourt. Aber auch Puppentheater ist dieses Jahr dabei. "Böhm" - da geht um die Verwicklungen des Jahrhundert-Dirigenten Karl Böhm in der Nazizeit. Stars wie Nicholas Ofczarek, Caroline Peters und Ulrich Matthes sind hier, wie schon öfters, zu sehen.
Das Stück "Die schmutzigen Hände" ist ein kluger Festivalstart in Zeiten von koalitionären Verhandlungen und Trump‘scher Brachialpolitik. Schmutz an den Händen? Politiker zu kritisieren, fällt leicht. Politik zu machen und Kompromisse einzugehen? Sehr schwer.
