Zukunft der Kirche: Minderheit als Chance?
Evangelische Gemeinden werden vielerorts in Deutschland zu Minderheiten. Das erfordert neue Wege, etwa im Digitalen. Vor allem aber kann es eine Chance sein, wie sich auf dem Kirchentag in Hannover zeigt.
"Los kleine Kirche, lass es krachen in Gottes Namen, sei mutig und stark. Amen!", ruft Nicole Grochowina und erntet begeisterten Applaus. Die evangelische Ordensfrau, gekleidet in grauer Schwesterntracht, eröffnet in einer neuapostolischen Kirche eine Debatte über Kirche als Minderheit. Ein geradezu symbolischer Ort: Denn Freikirchen haben besondere Erfahrungen.
Kleinere Gemeinden, größere Gemeinschaft
"Minderheit zu sein, ist nichts negativ Belegtes in unserer Frömmigkeitstradition, sondern die normale Erfahrung, die man seit der Reformationszeit kennt und hat", sagte Matthias Ehmann. Er gehört der Freien Evangelischen Gemeinde an und ist Professor für Missionstheologie. Ehmann sieht eine Chance für deutsche Kirchen darin, dass aus den Ländern des globalen Südens Menschen aus vielen freikirchlichen Traditionen hierherkommen und ihre Glaubenspraxis mitbringen. Das bietet auch für Christen hierzulande Chancen.
"Ich erwarte tatsächlich, dass dadurch noch mehr Gemeinschaft entsteht", sagt eine junge Frau. Denn wenn die Kirche kleiner sei und nur Leute da seien, die wirklich da sein wollten und nicht nur eine Dienstleistung in Anspruch nähmen für ihre Kirchensteuer, dann entstehe auch mehr Gemeinschaft. "Ich finde an dem Kleinerwerden interessant, dass es Möglichkeiten schafft", sagt ein Mann. Kirche komme bald gar nicht mehr darum herum, von der Zukunft her zu denken. Und nicht von der Vergangenheit her.
Online-Kirchen bieten auch Schutz
Auf dem Kirchentag lernen Menschen viele neue Formen von Kirche und Gemeinde kennen. Matthias Ehmann zum Beispiel hat Deutschlands erste freikirchliche Online-Gemeinde gegründet. Sie ist rein digital. "Da merken wir, da docken noch einmal ganz andere Leute an mit unterschiedlichen Bedürfnissen, mit Einschränkungen, mit Krankheiten. Die sagen: 'Für mich ist das gut tragbar.'." Die Online-Gemeinde sei für einige, die vielleicht auch schlechte Erfahrungen mit Kirche gemacht hätten, ein Schutzraum. Zur Not könne man sich da einfach wieder ausloggen.
Beim Markt der Möglichkeiten auf dem Messegelände stellt ein niederländischer Entwickler eine spezielle App für ganz normale Gemeinden vor. Sie bietet Kirchengemeinden und ihren Mitgliedern, sich zu vernetzten. Das schafft zwar nicht unbedingt eine Gemeinschaft im klassischen Sinne, ermöglicht aber viel Austausch und Kommunikation.
Engagierte Menschen sind das Entscheidende
Digital oder nicht, für alle neuen Modelle von Kirche gilt: Menschen wollen dort, wo sie leben, Gemeinschaft erfahren. Ob das künftig von Festangestellten oder Ehrenamtlichen organisiert wird, das, so sagt Bernhard Lauxmann, Leiter der Ehrenamtsakademie der evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, sei nicht entscheidend: "Für mich ist Ehrenamt Evangelium in Aktion. Das ist da, wo Menschen, ganz gleich welcher Gehaltsklasse, welche Eingruppierung, wenn diese Menschen durchstoßen zu dem, was sie antreibt, umtreibt." Er wünsche sich eine engagierte Kirche - nicht ausschließlich von Ehrenamtlichen, sondern vor allem von Menschen, denen es um etwas gehe.
Ob das eine Gemeinde der eigenen Konfession ist, das sei dann nicht mehr wichtig, sagen beim Kirchentag Theologen und Theologinnen aus allen Kirchen. Die Franziskanerin Katharina Kluitmann etwa plädiert für Vielfalt nach innen und außen: "Aufmachen, beten - die einen machen das in Lobpreisungen, die anderen mit Tagzeitengebeten und die nächsten mit Stille." Stille, die sei ohnehin ein Schlüssel. "Die geht ökumenisch auch total gut und ist sehr anschlussfähig", sagt Kluitmann voller Überzeugung.
