Debütroman von Fiona Sironic über die Sprengkraft weiblicher Wut
Fiona Sironic hat in Hildesheim Kreatives Schreiben studiert. Die Wahl-Wienerin hat gerade ihren ersten Roman veröffentlicht: "Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft".
Über die Sprengkraft weiblicher Wut wollte Fiona Sironic unbedingt schreiben, "weil ich das Gefühl habe, ich bin gar nicht mit so vielen Geschichten aufgewachsen, in denen weibliche Wut als etwas porträtiert wird, das auch Dinge verändern kann und das irgendwie auch ein Potenzial hat."
Der Titel ihres Debüts "Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft" ist nicht besonders griffig, aber das passt zu seiner komplexen Geschichte. Fiona Sironic springt zwischen verschiedenen Zeitebenen in einer nicht genau datierten Zukunft, von der aus sie immer wieder an unsere Gegenwart und Vergangenheit erinnert.
Influencerinnen, Töchter und die Sache mit dem Erinnern
Nach und nach legt sie die vielen Ebenen der Geschichte frei. Was wir schnell erfahren: Die titelgebenden Mädchen sind Maja und ihre kleine Schwester Merle. Ihre Mütter "sind fame", denn sie sind Influencerinnen, die jeweils schon seit ihrer Jugend "Content" für ihre "Communities" bei Social Media produzieren. Als die zwei Frauen ein Paar und schließlich Eltern werden, tun sie sich auch beruflich zusammen - als sogenannte "Momfluencerinnen".
Dann haben Majas Mamas ihre beiden Schwangerschaften und das Aufwachsen ihrer Kinder dokumentiert. Maja ist schon seit ein paar Jahren nicht mehr in den Videos zu sehen. Trotzdem kann ich ihre ersten Schritte googeln. Leseprobe aus "Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft"
Ob sie das wollen, werden die Kinder natürlich nicht gefragt. Als Maja die Tragweite dessen irgendwann begreift, wird sie wütend. "Sie findet diese Bilder, sieht, wie die rezipiert werden und wehrt sich dagegen", erzählt die Autorin, "erst mal so ein bisschen im Geheimen. Sie löscht diese Dokumente auf einer digitalen Ebene und jagt dann Sachen in die Luft, auch diese Festplatten, auf denen diese Sachen gespeichert sind."
Zeugnisse der Erinnerung zerstören oder konservieren?
Die Schwestern filmen und streamen ihre Sprengaktionen. Die Ich-Erzählerin des Buchs, Era, schaltet regelmäßig ein. An einem Sonnabend bei einem Spaziergang im Wald hört sie einen Knall – und der kommt nicht aus ihrem Kopfhörer.
Hinter einem Baum stehend, kann ich sie jetzt sehen. Sie werfen Festplatten in die Löcher. Das ist der Moment, an einem dieser sonnigen Samstage, in dem ich feststelle, dass die Person, die ich mir schon so lange im Stream anschaue, die digital anonymisierte Maja ist (…) die ich ja kenne, aber nur aus der Ferne, weil der Schulhof eine größere Asphaltfläche ist. Die ich aber, das weiß ich noch, aus der Ferne schön finde, vielleicht schon mal zu lange angeschaut habe. Leseprobe aus "Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft"
Ein zartes Pflänzchen der Zuneigung beginnt aufzukeimen und das in einer maximal lebensfeindlichen Umgebung: die Wälder brennen, die Ressourcen sind knapp, die Vögel sterben aus. Amseln und Haushühner, Spechte und Turteltauben. Era verfolgt das Artensterben geradezu obsessiv. Während Maja und Merle versuchen, digitale Zeugnisse zu zerstören, vergessen zu machen, will Era unbedingt konservieren, dokumentieren, alles festhalten, was sie über die Tiere weiß. Und zwar auf Papier, weil das "am sichersten ist, unhackbar sozusagen. Aber es zerfällt, es zerfällt."
Gefühl von Kontrollverlust
Era liebt es, Vogelstimmen zu erraten und übt es regelmäßig mit ihrer geliebten Tante und deren Mitbewohnern*innen.
Dabei muss eine*r eine Sounddatei aus dem Archiv aussuchen, und wer zuerst richtig rät, darf weitermachen. Alle außer Tante und mir hassen dieses Spiel. Bis dann einmal der Flamingo krächzt und dieser Punkt erreicht ist, an dem ich vom Aussterben des Flamingos berichte. Leseprobe aus "Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft"
Was die ruhige und introvertierte Era und die im wahrsten Sinne des Wortes explosive Maja vereint, ist nicht nur die körperliche Anziehungskraft, die Verliebtheit. Ihre Mission ist auch nur dem ersten Anschein nach komplett konträr. Beide haben ein Gefühl von Kontrollverlust und beiden geht es darum, sich wieder zu bemächtigen, die Kontrolle wiederzugewinnen.
Dichtes und vielschichtiges Debüt
Auch wenn Fiona Sironic für diese queere Coming of Age Liebesgeschichte eine ziemlich düstere Kulisse zeichnet. Eine Dystopie soll es nicht sein, sagt sie: "Ich finde, Dystopie Utopie, diese Dichotomie ist ein bisschen schwierig. Weil es natürlich ein dystopischer Text ist, weil bestimmte Elemente unserer Gegenwart noch ein Stück weitergedreht sind und weil die Klimakatastrophe einfach vorangeschritten ist, und die Welt, in der diese Figuren leben, menschenfeindlich, lebensfeindlich ist und das Artensterben voranschreitet. Aber gleichzeitig ist es keine ferne Dystopie, sondern einfach eine Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart."
Eine Auseinandersetzung, die viele große Fragen unserer Zeit berührt, die nach der Zukunft von Familie und Zusammenleben, Arbeit und Solidarität und nicht zuletzt unserer Umwelt fragt. Ein dichtes und vielschichtiges Debüt, dessen rund 200 Seiten in Nullkommanichts weg gelesen sind, aber umso länger nachhallen und zum Nachdenken anregen.
Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft
- Seitenzahl:
- 208 Seiten
- Genre:
- Coming of Age
- Verlag:
- Ecco Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3753001067
- Preis:
- 23,00 €
Schlagwörter zu diesem Artikel
Romane
