Bildband "Marlene Dietrich an der Front": Ein Star, der nicht wegsah
Der Journalist Reiner Burger zeichnet in seinem neuen Bildband "Marlene Dietrich an der Front" ihr außergewöhnliches Engagement gegen die Nazis nach - mit zahlreichen bisher unveröffentlichten Fotos und beeindruckenden Details.
November 1944 - Stolberg bei Aachen. Nur wenige Kilometer entfernt tobt eine der erbittertsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. Und plötzlich steht sie da - Marlene Dietrich. Auf einem Ankündigungsplakat prangt in großen Buchstaben: "In the flesh" - leibhaftig.
Marlene Dietrich: Furchtlos und ohne Allüren
Wenn Marlene Dietrich auf improvisierten Bühnen für US-amerikanische Truppen sang, tobte der Saal - und das selbst unter denkbar unwirtlichen Bedingungen: auf Militärstützpunkten, in provisorischen Baracken, in von Bomben erschütterten Städten. Sie sang "Lili Marleen" - und brachte den Krieg für einen Moment zum Schweigen.
Ein Foto im Buch zeigt die Sängerin und Schauspielerin mit Mantel im Tausendundeine-Nacht-Stil, neben ihr: zwei Soldaten, einer noch mit schlammverschmierten Stiefeln. Der Kontrast könnte nicht größer sein - und genau darin lag die Magie ihrer Auftritte. "Man fragte sich, warum sie an die Front kam, freiwillig. Denn es war wirklich gefährlich für sie. Es hat uns wirklich überrascht, dass sie kam. Vor allem, weil sonst keiner kam." So erzählt es ein ehemaliger US-Soldat in der ZDF-Dokumentation "Mythos Marlene". In Burgers Buch formuliert es ein US-Offizier so: "Marlene, die den Jungs allein mit ihrem Erscheinen sagt: Ihr bedeutet mir viel."
Als andere Stars Kriegsanleihen verkauften, wollte Dietrich zu den Soldaten. In ihrer Autobiografie schreibt sie: "Ich wünschte, ich könnte nach Europa gehen, ich glaube, dort könnte ich von Nutzen sein." Und das war sie - furchtlos und ohne Allüren.
Ein sehr nahbarer Star
Eines der eindrücklichsten Fotos im Buch zeigt sie in Aachen, in den Trümmern eines Hauses: Die Fassade ist weggerissen, Möbelstücke balancieren gefährlich nahe am Abgrund - mittendrin die Dietrich, die Arme triumphierend in die Hüften gestemmt.
Auf einem anderen Bild sieht man sie im Garderobenzelt - ein handgeschriebenes Schild davor: "Restricted!!! Marlene Dietrich's Dressing Room". Doch nach den Shows mischte sie sich unter die Soldaten, stand mit ihnen beim Essenfassen in der Schlange - und spülte ihr eigenes Feldgeschirr.
Lebensgefährliches Engagement
Reiner Burger geht in seinem Buch jedoch weit über Anekdoten hinaus. Er rekonstruiert eindrucksvoll, wie Marlene Dietrich wurde, wer sie war: Tochter einer preußisch-strengen Mutter, frühe Karriere in der Weimarer Republik, Durchbruch mit "Der blaue Engel", dann der Weg nach Hollywood. Dort nutzt sie ihre Bekanntheit nicht nur für ihre Karriere, sondern auch für andere:
Sie half jüdischen Kollegen bei der Emigration, unterstützte notleidende Exilanten, engagierte sich frühzeitig gegen das Nazi-Regime - und wurde so zur politischen Künstlerin. Leseprobe
Dieses Engagement, das sich wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht, kulminiert dann in ihren Auftritten an der Front. Sie lässt sich 1944 zur Truppenbetreuung in Europa einteilen, singt, tröstet, heilt mit ihrer Stimme - und riskiert dabei selbst Gesundheit und Leben. In Italien bekommt sie eine Lungenentzündung, in Deutschland übernachtet sie in einem zerbombten Gebäude - Kälte, Feuchtigkeit und Ratten plagen sie:
Man liegt auf dem Boden in seinem Schlafsack, die Decke bis zum Kinn gezogen, und diese Biester rasen einem übers Gesicht mit ihren kalten Pfoten. Leseprobe
Zwischen Inszenierung und Idealismus
Der Bildband liefert nicht nur vielschichtige Fotografien - mal überraschend intim, ungefiltert und direkt, mal nahezu ikonisch -, sondern begleitet sie mit präzisen, unaufgeregten Texten. Dabei spart Burger auch die Ambivalenzen nicht aus: Dietrich wird zur Heldin stilisiert, aber sie stilisiert sich auch selbst. Der Grat zwischen Inszenierung und Idealismus ist schmal - und doch zeigen die Bilder nicht die große, sondern eine großartige Marlene. Eine, die Haltung zeigt - nicht nur Pose.
Marlene Dietrich an der Front
- Seitenzahl:
- 160 Seiten
- Genre:
- Bildband
- Verlag:
- Greven Verlag
- Bestellnummer:
- 978-3-7743-0988-3
- Preis:
- 38 €
