Kunstvoll und filigran: Schiffsmodell-Tradition in Kirchen

Stand: 20.04.2025 08:57 Uhr

Ein jahrhundertealter Brauch: Schiffsmodelle in den Kirchen an der Küste - sie sind nicht nur Schmuck, sondern auch Sinnbild der Erinnerung. Über Jahrhunderte hinweg wurden zahlreiche Schiffe in Kirchenräume gehängt oder gestellt. Die Nordkirche bewahren so die maritime Geschichte.

von Janet Lindemann

Es ist der 1. März 1990. Fischer Bruno Krowas legt mit seinem Boot "SAP 001" im Hafen Schaprode an. Beim Anlegemanöver eines fremden Schiffes wird sein Boot stark beschädigt. Am späten Nachmittag fährt er wieder raus auf den Schaproder Bodden. Diesmal kehrt er nicht zurück. Am Abend finden ihn Fischerkollegen, neben seinem Boot. Tot. Das Wasser reicht ihm über den Kopf.

Fischer Bruno Krowas Boot - ein 90 Jahre altes Zeesenboot ohne Segelaufbauten - wird durch die flachen Boddengewässer in eine Stralsunder Werft geschleppt. Dort wird es repariert, fotografiert und vermessen. Als Modell soll es in der Inselkirche Kloster auf Hiddensee hängen und an das tragische Schicksal des Fischers erinnern. Ein Leipziger Modellbauer fertigt das Fischerboot als Schiffsmodell im Maßstab 1:15 an, finanziert durch Spendengelder. Und anders als das mehrfach veränderte Original erhält es einen Innenausbau und die typische Zeesboot-Takelung. Im August 1993 wird das 1,40 Meter lange Holzboot an der Nordwand der Inselkirche aufgehängt.

Restaurationsarbeiten notwendig und teuer

Ältestes erhaltenes Schiffsmodell in einer Kirche in Mecklenburg-Vorpommern ist eine Fregatte aus dem Jahr 1730, ein dreimastiges Kriegsschiff mit drei Besatzungsfiguren. Dieses Modell hängt in der kleinen Luckower Fachwerkkirche am Stettiner Haff, links neben dem Altar. "Mir wäre es lieber, es hätte nicht so viele Kanonen", sagt Pastorin Sandra Kussat-Becker. In einem Heckspiegel in einem gelb eingefassten runden Feld ist der Name Joachim Gast zu lesen. "Man nimmt an, dass das der Spender oder Erbauer des Schiffsmodels ist", sagt Christine Gaster aus Rieth. Sie war bis 2011 die Pfarrfrau in Luckow und kennt das Modell seit den 1970er-Jahren. 

"Doch leider weiß man nichts über ihn. Vielleicht war er Kapitän oder Kahnschiffer. Denn hier in dieser Gegend lebten sehr viele", erzählt die über 80-Jährige. Die unter Denkmalschutz stehende Fregatte wurde in der Vergangenheit mehrfach gereinigt und restauriert. Das letzte Mal 1996. "Das sind immer enorme Kosten, die bei Restaurationsarbeiten entstehen. Oft sind es vierstellige Summen", weiß Sandra Kussat-Becker. "Man kann ja nicht irgendjemand da ranlassen, auch wenn das in der Vergangenheit oft nicht so eng gesehen wurde."

Ein Mann verlässt den Kunstkaten in Ahrenshoop. © NDR Foto: Screenshot
AUDIO: Kunstvoll und filigran: Schiffsmodelle in Kirchen (25 Min)

Prerower Seemannskirche: Vom Buddelschiff bis zur Fregatte

Eine Kirche mit besonders vielen Schiffsmodellen ist die Seemannskirche in Prerow auf dem Darß. In dieser jahrhundertealten Kirche, eine Backsteinkirche mit hölzernem Glockenturm, gibt es vergleichsweise viele Schiffsmodelle - vom Buddelschiff bis zur Fregatte. "Über die Jahrhunderte hinweg war jeder auf dem Darß eng mit der Seefahrt verbunden", sagt René Roloff vom Förderverein der Seemannskirche. Mit mehr als zweieinhalb Metern Länge und fast zwei Metern Höhe gehört die Fregatte "Napolion" mit ihrem hölzernen Rumpf zu den größten ihrer Art in Mecklenburg-Vorpommern. Von der Decke über dem mittleren Gestühl hängend, fällt der riesige Dreimaster, eine Nachbildung einer Fregatte aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, sofort ins Auge. 

Zehn Jahre hat ein Wieker Seemann an dem Modell gebaut. Im Jahr 1855 schenkt er es dann der Kirche. "Das ist wirklich ein zeittypisches Modell, ein großes Kriegsschiff mit 30 Kanonen, sehr stattlich und detailliert gebaut. Wenn man genau hinschaut, sieht man auch die Galionsfigur, die Napoleon in ganz typischer Haltung zeigt, mit Zweispitz und Hand in der Jacke", erzählt René Roloff. Hinten am Heckspiegel ist sein Name zu lesen.

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Ein Mann verlässt den Kunstkaten in Ahrenshoop. © NDR Foto: Screenshot

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Wikingerschiff in der Inselkirche

Dem Zeesenboot in der Inselkirche in Kloster hängt ein Wikingerschiff mit rot-weiß gestreiftem Segel gegenüber. "Das Wikingerschiff erinnert an die Geschichte, wie der christliche Glauben in eine der letzten Gegenden im deutschen Raum hineingetragen wurde. Und an die Schenkung der Insel durch die Wikinger an die Kirche", sagt Pastor Konrad Glöckner. Dieses knapp ein Meter lange Modell aus Holz ist eine Nachbildung des Oseberg-Schiffes, ein 1903 am Oslo-Fjord entdecktes Boot aus der Zeit um 800. 

Ein Baukastenmodell aus Dänemark, zusammengesetzt von einem Rostocker. Seit November 1999 hängt dieses Osebergschiff unter dem handbemalten Rosenhimmel direkt neben der Eingangstür. Und: Es gab in der Hiddenseer Kirche noch ein Vorgängermodell: ein Wikingerboot aus Eisenblech mit einem vierkantigen Rumpf aus dem 20. Jahrhundert. Es hing wahrscheinlich bis zur Renovierung des Gebäudes im Jahr 1964 vor der Kirchennordwand. Später wurde es auf dem Pfarrscheunenboden wiedergefunden. Heute ist es ganz aus den Kirchengebäuden verschwunden.

Seefahrerkirche St. Nikolai um zwei Modelle reicher

Mehr als 370 Modelle hat der Wismarer Modellbauer Robert Dähncke in seiner Werkstatt gefertigt. Der 1866 geborene Schiffersohn wäre selbst gerne zur See gefahren, doch sein Vater verbot es ihm. So fertigte er Schiffsmodelle an. Zwei seiner Modelle wurden nun in der St.-Nikolaikirche in Wismar aufgehängt: ein Pinassschiff, ein knapp anderthalb Meter langes Kriegsschiff des 17. Jahrhunderts, und ein Kraweel, ein aus dem 15. Jahrhundert nachempfundenes Handelsschiff. Beide Schiffsmodelle stammen von privaten Spendern aus Wismar und Rostock.

Pastorin Antje Exner ist glücklich: "Ich freue mich, dass wir die nun so hängen können, dass andere Leute sie sehen können. Es gibt auch Spender, die die Restaurierung finanzieren. Und, dass man denen nun zeigen kann: Die Modelle hängen hier für alle sichtbar." Mit diesen Schenkungen sind es jetzt insgesamt fünf Schiffe, die in der Seefahrerkirche St. Nikolai zu sehen sind. Und damit besinnt sich Wismar auf die Tradition als Hafenstadt.

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