Katholikentag in Stuttgart: Verpasste Chance in der Krise
Der Katholikentag in Stuttgart endet heute. Er wird als Identitätsmarker und Resonanzboden eines katholischen Engagements gebraucht. Das zeigt insbesondere die bunte Kirchenmeile, auf der sich die Verbände, Vereine und Initiativen präsentieren können.
Mit Blick auf die Missbrauchskrise sah Kardinal Reinhard Marx vor einem Jahr die katholische Kirche an einem "toten Punkt". Von der Papierform her schien der Katholikentag in Stuttgart dieser Diagnose trotzen zu wollen. "Leben teilen" lautete das Motto. Es war ein Katholikentag zwischen Krieg und Kirchenkrise: Das erste Christentreffen nach der Pandemie, ein Ort der leibhaftigen Begegnung in schwierigen Zeiten. Bei der Verurteilung des russischen Angriffskrieges und bei den Solidaritätsbekundungen für die Menschen in der Ukraine hatte dieses Christentreffen dann auch seine emotionalsten Momente. Hier fanden sehr viele Gläubige Halt und Trost.
Kein Hochamt der Debattenkultur
Der Stuttgarter Katholikentag war aber auch der erste nach der im Jahr 2018 veröffentlichten großen Missbrauchsstudie, der erste nach den angebotenen und abgelehnten Rücktrittsgesuchen der Erzbischöfe von Hamburg und München, sowie den "Kölner Wirren" um Kardinal Woelki. Ein Katholikentag quasi auf der Zielgeraden des katholischen Reformprozesses "Synodaler Weg". Der Zeitpunkt schien ideal. Doch ein Hochamt der Diskussionskultur wurde in Stuttgart nicht zelebriert. Auch eine mutig-trotzige Entschlossenheit war nicht auszumachen. In der schwäbischen Metropole geizte der Katholikentag - sicher auch pandemiebedingt - mit historisch schwachen Teilnehmerzahlen. Die auch in Stuttgart häufig zitierte "Zeitenwende“" stand mehr für Zukunftssorgen und Selbstzweifel. Es herrschte nicht selten eine gedrückte Angespanntheit.
Basis in Reformprozesse stärker einbinden
Selbst bei reformorientierten Bischöfen wächst derzeit die Sorge vor zu hohen Erwartungen. Die Weihe von Frauen, mehr Gestaltungsmacht für Laien, eine geänderte Sexualmoral - das waren und das sind Themen auf Katholikentagen. Doch mittlerweile - so scheint es - hat die 2019 als Reaktion auf den Missbrauchsskandal ins Leben gerufene Synodalversammlung den Katholikentag als Ort der aufrüttelnden Debatten abgelöst. In der Synodalversammlung diskutieren engagierte Laien und Experten mit allen Bischöfen. Es fallen bis zum nächsten Jahr konkrete Beschlüsse, es werden Vorschläge für die Weltbischofssynode in Rom formuliert. Der Katholikentag in Stuttgart hätte freilich die Chance gehabt, die katholische Basis durch konkrete Projekte oder Foren stärker in den Reformprozess einzubinden, doch diese Chance wurde verpasst.
Staat drängt: Nicht nur katholische Selbstgespräche
So wächst nicht nur die Ungeduld unter den Gläubigen, auch von Seiten der Politik wurde die katholische Kirche angemahnt, endlich Reformen anzugehen, sich dabei aber nicht in endloser Selbstbeschäftigung zu verlieren. Der Staat drängelt, denn eine gelähmte und von Selbstzweifeln geplagte Kirche hilft bei sozialer Krisenbewältigung nur bedingt weiter. Gleichwohl sollte die Kirche der verlockenden Versuchung widerstehen, notwendige Debatten und schmerzhafte Aufarbeitungsprozesse nun allzu schnell abzuschließen. Eine Zukunft hat die katholische Kirche hierzulande dann, wenn sie bei Gegenwartsfragen glaubwürdige Antworten liefern kann. Dafür aber muss sie Vergangenes gründlich aufarbeiten, das institutionelle Versagen und das Versagen Einzelner.
Katholikentage bleiben unverzichtbar
Einen hämischen oder ätzenden Abgesang haben die Katholikentage gleichwohl nicht verdient. Denn sie werden gebraucht: als Identitätsmarker und Resonanzboden eines konkreten katholischen Engagements vor Ort. Ausdruck dafür ist auf Katholikentagen die bunte Kirchenmeile, auf der sich die Verbände, Vereine und vielfältigsten Initiativen präsentieren. Die Kirchenmeile ist eine begehbare Suchmaschine, in der zugewandte Menschen selbstlos und kompetent lösungsorientierte Antworten auf großen Fragen des Lebens, nach Freude und Hoffnung, Trauer und Angst geben. Antworten einer Kirche in der Welt von heute eben.
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