"Götterdämmerung": Buhrufe in Bayreuth
Ein neuer "Ring", der für Buhrufe sorgt: Die "Götterdämmerung" von Regisseur Valentin Schwarz erhält in Bayreuth harsche Kritik vom Publikum. Auch unseren Kritiker überzeugen weder die inhaltliche noch musikalische Inszenierung.
Wie kommt er jetzt raus aus der Nummer? Dieser "Ring" ist durchaus spannend. Nur richtet sich die Neugier nicht auf die Figuren, sondern auf den Regisseur: Die Geschichte lässt einen meist kalt. Aber man will schon gern wissen, wie Valentin Schwarz all die Probleme löst, die er ohne sein Konzept gar nicht gehabt hätte. Auch in der "Götterdämmerung" erfindet er Figuren hinzu. Siegfried und Brünhilde haben miteinander ein Kind. Nachts hat es Alpträume. Die Eltern sind nur mit ihrer scheiternden Beziehung beschäftigt. Siegfried merkt gar nicht, wie sich das Kind an sein Bein klammert. Diese Szenen sind mit die stärksten der ganzen Inszenierung. Endlich wird Familie nicht nur als die Klischeeklamotte eines Oligarchenclans gezeigt, sondern in all ihrer alltagsnahen Ambivalenz; so, dass es auch emotional berührt.
Totes Kind und ein sinnloser Satz
Dieses Kind verkörpert jetzt den Ring. Alle wollen es haben, keiner versteht es. Und es gerät zwischen die Fronten seiner zerstrittenen Eltern, die ihren Rosenkrieg auf brutalstmögliche Weise ausfechten. Nachts kommt mit Hilfe von Vater Siegfried ein fremder Mann ins Kinderzimmer. Gunter heißt er. Sonst springt er als neureiche Knallcharge über die Bühne. Jetzt aber fesselt er das Kind an einen Stuhl und vergewaltigt die Mutter. Im Schlussbild sehen wir einen leeren, dreckigen Swimmingpool. Hier angelt Siegfried mit seinem Ring-Kind in der Matschpfütze, als ihn Hagen ersticht. Dann liegt das Kind tot am Boden, Hagen geht raus, rennt wieder rein, singt einen sinnlosen Satz und rennt wieder raus. Aus dem Orchestergraben tönt das Erlösungsmotiv. Vorhang. Buhsturm.
Inszenierung von Schwarz: Gute Fragen, Antworten bleiben allerdings aus
Es ist völlig in Ordnung, dass Valentin Schwarz den Kampf um die Weltherrschaft, also alles Politische, einmal ausklammert, um sich ganz auf die Schicksalsmacht Familie zu konzentrieren. Wie gehen Eltern mit ihren Kindern um? Wie vererben sich Geld, aber auch Gewalt und Traumata von Generation zu Generation? Das sind die guten Fragen dieser Inszenierung. Leider werden sie genauso wenig beantwortet wie die einhundert unnötigen, die sich aus den hinzuerfundenen und verwirrend erzählten Geschichten ergeben.
"Ring": "Ein ziemlicher Verhau"
Die Figuren bleiben Abziehbilder, weil wir nicht erfahren, was sie antreibt und bewegt. Erst werden alle mythischen Symbole, vom "Ring" über Feuerzauber bis Schwert, durch zeitgenössische Gegenstände wie Pistolen ersetzt. Dann aber, weil es wegen der ausgedehnten Schmiedeszene halt irgendwie nicht anders geht, taucht plötzlich wieder ein Schwert auf. Operninszenierungen müssen zwar nicht logisch aufgehen wie eine mathematische Textaufgabe. Aber diese "Ring"-Deutung ist dann doch ein ziemlicher Verhau.
"Götterdämmerung": Auch musikalisch nicht überzeugend
Sehr gemischt auch die musikalische Bilanz. Als wäre es ein Fluch: Schon wieder muss eine Hauptrolle in letzter Sekunde umbesetzt werden. Stephen Gould, der den Siegfried singen soll, ist krank. Einspringer Clay Hilley schlängt sich tapfer, klingt aber ein wenig eng. Der Hagen von Michael Kupfer-Radecky ist markant, die Waltraute von Christa Meyer exzellent. Iréne Theorin als Brünnhilde hat ein unkontrolliertes Vibrato, das ihre Intonationsprobleme jedoch nicht überdeckt. Vom Text versteht man kaum ein Wort. Laut und leidenschaftlich reicht nicht. Das gilt leider auch für den Alberich von Olafur Sigurdarson. Den stärksten Eindruck hinterlässt Albert Dohmen als Hagen: Er beweist, dass auch sehr lauter Wagner-Gesang rund und schön klingen kann.
Dirigent Cornelius Meister bekommt auch ein paar Buhs ab, hatte aber als Einspringer kaum Zeit zum Proben. Mit raschen Tempi gibt er dem Geschehen mitreißenden Drive. Doch es fehlen die klar herausgearbeiteten Höhepunkte. Stattdessen gibt es nicht ganz schlüssige Einzelmomente, etwa eine viel zu lange und dadurch spannungslose Generalpause vor dem finalen Erlösungsmotiv. Trotzdem: Meister hat sich von Abend zu Abend gesteigert. Von der Regie lässt sich das nicht behaupten.
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