Abschied von der Queen und die Berichterstattung in den Medien
Tausende Menschen nehmen in diesen Tagen Abschied von der Queen in London - ein großer historischer Moment. Auch die Berichterstattung in den Medien ist riesengroß. Der Sozialforscher Marcel Schütz im Gespräch.
Herr Schütz, wie erleben Sie diese Situation?
Marcel Schütz: Es ist natürlich ein Weltereignis, ein Medienereignis. Die Königin stand im allgemeinen Empfinden zwischen zwei Jahrhunderten. Eigentlich war sie eine Figur des vergangenen Jahrhunderts, aber man hat sie noch geduldet und sie hatte hohe Anerkennung. Die Menschen haben enorme Identifikationsgefühle und das Ganze wird über die mediale Verfertigung so in die Welt gebracht, dass man eigentlich gar nicht anders kann, als sich davon mitziehen zu lassen.
Ist es so, dass wir uns gerade der Queen noch näher fühlen als sonst? Sie ist ja sonst relativ weit weg, aber jetzt in den Fernsehern bei uns überall zu sehen.
Schütz: Das Bemerkenswerte ist, dass man so intime, fast schon familiäre Trauerempfindungen entwickelt, obwohl die Königin und die Monarchie den meisten Menschen so weit weg ist. Wenn die Könige installiert werden, werden sie gefeiert - aber auch wenn sie sterben, weil letztendlich der Mythos geschaffen ist und vollendet wird. Die Frau hat 70 Jahre lang ihren Thron innegehabt und über diese Zeit ist sie auch eine Medienfigur geworden - eine Figur, die fast schon ikonisch für die nette ältere Dame steht: Schneeweißes Haar, der etwas altersschwere Gang der letzten Jahre, die Handtasche - viele Menschen finden in der Queen so etwas wie eine eigene Großmutter.
Ich war vergangenes Wochenende in London und die meisten Menschen wissen noch genau, wann Sie mal die Queen getroffen haben. Sie sagen, man hätte das Gefühl, als wäre man die einzige Person im Raum, weil die Queen sich einem so zugewandt hat. Hat das insofern auch mit Wertschätzung des einfachen Bürgers zu tun, die wir durch Politiker gar nicht so erfahren?
Schütz: Ja, es ist gut möglich, dass man diese Wertschätzung besonders empfindet, weil sie sehr viele Eigenschaften besaß - zumindest äußerlich -, die man auch im ganz einfachen Volk antrifft. Es könnte auch sein, dass so jemand wie Queen Elizabeth in der allgemeinen Bevölkerung unterwegs ist, optisch, im Habitus, aber auch in dieser Herzlichkeit, die sie nach außen ausstrahlte. Dass sich die Leute so genau an diese Momente erinnern, liegt auf der anderen Seite daran, dass wir solche Personen und solche Ereignisse, die mit der Person verbunden sind, auch immer in einen zeitlichen Kontext setzen. So wie man kritische Ereignisse der Welt, besondere Vorkommnisse - ob tragisch oder angenehm - immer sehr gut verorten kann. Die Menschen können sich sehr genau erinnern, was in dieser Minute gewesen ist, wo sie gewesen sind, was sie empfunden haben. Und bei einer so Herzlichkeit ausstrahlenden Person werden solche Erinnerungen noch verstärkt. Da wird im Nachhinein, gerade jetzt, nach dem Tod, möglicherweise noch stärker emotionalisiert in der Erinnerung an die Person.
Die Berichterstattung in den Medien ist relativ unterschiedlich. Im britischen Fernsehen ist es sehr emotional und auch sehr still. Im deutschen Fernsehen wird wahnsinnig viel geredet, werden einzelne Fakten immer wieder durchgekaut. Liegt es vielleicht daran, dass uns das ein bisschen fremd ist, weil wir jetzt so nüchtern drauf schauen?
Schütz: Das kann man ganz gut erklären mit dem Unterschied zwischen Monarchie und keiner Monarchie. Die Briten sind in ihrem Nationalempfinden, aber auch im Wissen um die königliche Familie und die Monarchie letztendlich vorinformiert und können sich sehr schnell einfühlen in die Situation. Da muss man nicht viel erklären. Wenn man die Berichterstattung über Großbritannien und die Monarchie in deutschen Medien sieht und hört, merkt man, dass man versucht zu erklären, wie die Monarchie funktioniert und wie die ganzen Zusammenhänge sind. Die Deutschen haben ja seit 1918 keine Monarchie mehr und seitdem haben sie ein Verhältnis zu diesem Phänomen entwickelt, das man mindestens als ambivalent bezeichnen kann.
Man hat das Gefühl, nicht nur in der Schlange der Menschen, die sich in London über Kilometer anstellen, kommen die Menschen zusammen, sondern die Welt kommt zusammen. Oder ist das zu viel gesagt?
Schütz: Solch ein Ereignis, das potenziell auf der ganzen Welt über alle möglichen Medienkanäle präsentiert wird, führt dazu, dass man auf einmal an einem bestimmten Punkt der Welt Aktivitäten konzentriert. Das, was dort an dieser bestimmten Stelle geschieht, wird in alle Kanäle, in alle Wohnzimmer transportiert, und so sitzt dann jeder, den das interessiert, auf dem Sofa, am PC oder in der U-Bahn und wird, wenn die Beerdigung ist, ein bisschen das Gefühl haben, mittendrin in der Szenerie zu sein. Das ganze royale Drumherum, die Choreografie, die Inszenierung - das ist ein Stück weit auch Sich-im-Rausch-Befinden, man denkt nicht tief darüber nach. Man kann sich also nicht rational und objektiv einem solchen Phänomen widmen, das doch so ist, dass man eigentlich nicht anders kann als hinzusehen.
Können Sie persönlich es noch aus emotionaler Sicht betrachten? Oder schauen Sie immer durch die Brille eines Sozialforschers?
Schütz: Ich würde schon sagen, dass diese Person eine große Ausstrahlung nach außen erreicht hat. Ein bisschen dachte man, sie würde uns alle überleben. Das ist halb im Scherz gesagt, keine Frage. Aber eine solche Figur, die es geschafft hat, in ihrer eigenen Daseinsweise relativ skandalfrei durch diese lange Zeit zu kommen und auch nicht so, dass man das Gefühl entwickelt hätte, diese Person sei aufdringlich, impertinent oder in irgendeiner Form unangenehm - das ist doch schon beeindruckend in einer Zeit, wo man eigentlich gewohnt ist, das sehr viel Inszenierung aufgebaut werden muss, um eine solche Stellung zu schaffen. Ein Redakteur hat die Tage gesagt: Sie war omnipräsent und doch irgendwie immer im Hintergrund. Das, finde ich, ist durchaus faszinierend, auch auf einer persönlichen Ebene - obwohl keiner sagen kann, wer die Queen als Mensch in ihren ganzen Feinheiten wirklich gewesen ist. Man muss sich natürlich immer vor Augen führen, dass man hier über eine äußerliche Darstellung spricht.
Aber vielleicht hat sie auch das Menschsein in den Dienst gestellt, dessen Queen zu sein?
Schütz: Ich glaube ja, und ich denke auch, dass aus dem Selbstverständnis einer Monarchie auch die Auffassung besteht, dass man sein Tun in den Dienst der Krone und des Landes stellt. Das mag für demokratische Ohren und für alle, die sagen, die Monarchie gehöre auf den Prüfstand gestellt oder am besten ganz abgeschafft, fremd klingen, aber man darf nicht vergessen, dass über diese Monarchie in Großbritannien sehr viel Kultur und Kunst mitprojiziert, hineinprojiziert, mitgefördert, gestützt wird. Es ist also nicht nur eine Monarchie, es ist Teil der nationalen Identität. Natürlich ist es Inszenierung, aber wenn die Menschen ein Bedürfnis haben, das als Teil ihres nationalen Stolzes, ihrer Kultur zu empfinden - was ist dagegen einzuwenden?
Das Gespräch führte Philipp Schmid.