Dirigent Teodor Currentzis © picture alliance / APA / picturedesk.com Foto: Barbara Gindl

Teodor Currentzis und musicAeterna: Propagandisten Putins?

Stand: 14.04.2022 09:28 Uhr

Ein Benefizkonzert mit dem griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis im Wiener Konzerthaus wurde abgesagt. Die Einnahmen sollten den Opfern des Kriegs in der Ukraine zugutekommen - dennoch wird dem Orchester eine zu große Nähe zum russischen Staat vorgeworfen.

Die Einnahmen des Benefizkonzerts sollten komplett den Opfern des Krieges in der Ukraine zugutekommen. Sie sollten zunächst ans Rote Kreuz gehen. Das hat sich dann zurückgezogen. Die Caritas ist eingesprungen. Letztendlich wurde das Konzert aber doch vom Wiener Konzerthaus abgesagt. Angeblich auf Betreiben der ukrainischen Botschaft, die nicht wollte, dass Currentzis mit seinem Orchester ein Benefizkonzert zu Gunsten der Ukraine spielt. Dem Dirigenten Teodor Currentzis und dessen Ensemble musicAeterna wird vom Musikjournalisten Axel Brüggemann eine zu große Nähe zum russischen Staat vorgeworfen.

Dirigent Teodor Currentzis im Anzug mit musicAeterna in der Elbphilharmonie. © Daniel Dittus
AUDIO: So war das Elphi-Konzert mit Currentzis und musicAeterna (6 Min)

Herr Brüggemann, wenn Teodor Currentzis ein Konzert dirigieren will, und die Einnahmen sollen den Opfern des Krieges zugutekommen - da ist ja erstmal überhaupt nichts Negatives dran zu finden, oder?

Axel Brüggemann: Es ist daran falsch, dass musicAeterna, das Ensemble von Teodor Currentzis, von der VTB Bank getragen wird. Die VTB Bank ist zum großen Teil eine staatliche russische Bank, der Vorstandsvorsitzende wird von Putin persönlich ernannt. Man kann davon ausgehen, dass kein einziger Rubel von der VTB Bank in die Kasse von musicAeterna fließt, der nicht von Putin bewilligt wird. Viele russische Musikerinnen und Musiker haben in dieser Situation, in der sie Verbindungen zum Staat Russland haben, sich entschieden und gesagt, dass sie das System Putin, was momentan einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, gerade nicht so toll finden. Das war auch die Erwartung, die man an Teodor Currentzis und musicAeterna hatte und auch haben kann, da sie auch als Botschafter für Russland durch die Welt ziehen. Das hat aber Currentzis im Gegensatz zu Petrenko, dem Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, nicht gemacht. Petrenko hat gesagt: "Ich verurteile Putins Angriffskrieg, aber ich will trotzdem Tschaikowski spielen." Und das finde ich einen klugen Umgang mit der Sache.

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Das finden Sie einen klugen Umgang?

Brüggemann: Natürlich. Es geht darum zu zeigen, dass wir nichts gegen russische Musikerinnen und Musiker haben, und erst recht nicht gegen Mussorgski, Tschaikowski oder andere russische Komponisten. Es ist gestern ein Video von Alexei Nawalny herausgekommen, der im Gefängnis in Russland sitzt, in dem er sich eine Stunde lang mit Valery Gergiev auseinandersetzt, dem anderen großen russischen Dirigenten, der auch in Deutschland als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker tätig war. Darin wird aufgezeigt, wie sich Gergiev selbst als "Lawrow der Musik" versteht, also als Außenminister Russlands, der genau dorthin geht, wo die Musik an Putin gekoppelt wird. Es gibt dort Ausschnitte, die zeigen, dass Gergiev immer wieder in Reden sagt: "Zum Glück konnten wir mit dem großen Präsidenten Wladimir Putin den Geburtstag von Tschaikowski feiern."

Als wenn man den sonst vergessen hätte, als wenn Putin Schuld hätte, dass Tschaikowski Geburtstag hat. Es wird also immer wieder ein Zusammenhang zwischen Kultur und Staat gebracht. Und genauso subtil funktioniert das auch bei musicAeterna und Teodor Currentzis. Und das, glaube ich, ist problematisch in einer Zeit, in der wir uns im Krieg befinden. Das Perfide daran ist, dass Matthias Naske, der Konzerthaus-Chef, sagt: Schuld an der Absage sei der Botschafter der Ukraine, weil russische Musikerinnen und Musiker mitspielen. Das ist natürlich vollkommen absurd.

Wenn wir das mit Valery Gergiev vergleichen: Der würde ja im Moment kein Benefizkonzert für die Opfer eines Krieges dirigieren, den er nicht benennen darf - das haben Teodor Currentzis und musicAeterna vorgehabt. Das ist doch ein völlig anderer Fall, oder?

Brüggemann: Ich glaube, es geht um diese Soft Skills, dass man gerne auf zwei Hochzeiten tanzen will und noch ein "Propaganda-Bein" in Europa haben möchte. Das ist ja das Perfide in dieser Situation. Meine Kritik an diesem Konzert war auch, dass der Intendant Matthias Naske gleichzeitig noch ein zeichnungsberechtigtes Mitglied einer Stiftung in Liechtenstein war. Und da entstehen plötzlich Interessenskonflikte und Geldströme, die nicht mehr klar einsehbar sind. Da müssen wir als Kulturschaffende, gerade weil wir vom Beispiel Gergiev lernen, wie perfide der kulturelle Einfluss ist, genau hinschauen.

Dass Currentzis sich nicht öffentlich positioniert, aber unterschwellig sehr deutlich macht, was er davon denkt, wenn er zum Beispiel die "Metamorphose" aufs Programm nimmt, ein Stück gegen die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg, dann ist das ein künstlerisches Signal, das man ihm zumindest zugute halten kann, oder?

Brüggemann: Es gibt Videos vom 24. Februar, auf denen die 50. Geburtstagsfeier von Currentzis in Sankt Petersburg zu sehen ist. Das war der Tag, wo ganz früh am Morgen die Panzer in die Ukraine eingerollt sind. Morgens haben alle europäischen Spitzenpolitiker gedacht, dass der Dritte Weltkrieg ausbricht - und am Abend macht Herr Currentzis eine lustige Champagner-Party, bei der auch wieder Herr Naske zu Gast ist. Was wäre denn so schwer daran, zu sagen: Ich bin gegen den Angriffskrieg von Wladimir Putin? Können wir das nicht bei jemandem erwarten, der deutsche Steuergelder und öffentliche Rundfunkgebühren bekommt und der Geld von uns in einem Konzert haben will?

Selbstverständlich würde ich das auch erwarten - ich finde nur diesen absoluten Abriss problematisch, der da gerade entsteht, wenn jemand ein Benefizkonzert veranstalten möchte. Ich habe vor ein paar Tagen mit Eckart Köhne gesprochen, dem Präsidenten des Museumsbundes. Es ging dabei um den Kontakt zwischen deutschen und russischen Museen: "Kulturtreibende führen keinen Krieg. Sie sind Teil eines Staates, das sind wir bei uns auch. Aber trotzdem hat Kultur viele Werte, die sie verkörpert, die über tagespolitische, auch kriegerische Ereignisse überdauern können." Was würden Sie ihm entgegnen?

Brüggemann: Dass das an Naivität nicht zu überbieten ist. Natürlich ist Kultur schon immer eines der ersten Propaganda-Felder gewesen. Kultur und klassische Musik sind ein Eldorado für jede Form von Einflussnahme in Wirtschaft, Politik, Stiftungen - und auch ein perfekter Ort der Geldwäsche. Die Klassik ist das beste Biotop, weil es auch gar keinen Klassik-Journalismus gibt. Im Sport schreiben wir über Doping und über Geldflüsse der FIFA - in der Klassik wollen wir immer nur über irgendwelche Interpretationen der Neunten Sinfonie reden. Kultur und klassische Musik sind in einer Kriegszeit per se immer Sperspitze der Propaganda.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 13.04.2022 | 16:00 Uhr

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