Zwei Schauspielerinnen stehen mit aufwendigen weißen Klamotten auf der Bühne. Die eine schaut traurig und die andere ist voller Tatendrang. © Oldenburgisches Staatstheater Foto: Stephan Walzl

Publikumsschwund im Theater: "Das Problem ist schon länger angelegt"

Stand: 05.09.2022 06:00 Uhr

An die Theater im Norden kehrt dieser Tage das Leben zurück. Viele Häuser berichten von schleppenden Kartenverkäufen. Die Publikumsforscherin Birgit Mandel sieht neben Pandemie-Effekten auch strukturelle Probleme.

von Janek Wiechers

Nach der Sommerpause laufen die Vorbereitungen für die neue Spielzeit: Stücke werden geprobt, Opern einstudiert und der Ticket-Vorverkauf ist angelaufen. Klingt soweit erstmal alles ganz normal - wie der Beginn einer neuen Theater-Saison. Doch ist nach mehr als zwei Jahren Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine und Energiekrise an den Theatern eigentlich noch etwas normal? Nach einer bereits sehr durchwachsenen vergangenen Saison könnte auch die aktuelle Spielzeit für viele Häuser nicht einfach werden.

Theater-Publikum gehört überdurchschnittlich zur Risikogruppe

Publikumsforscherin und Kulturwissenschaftlerin Birgit Mandel vermutet, dass sich das Phänomen sinkender Besucherzahlen in diesem Herbst weiter fortsetzen könnte. Die Datenlage sei momentan noch nicht groß, sagt Mandel. Sie könne daher nur spekulieren. Aber bestimmte Teile des Publikums legen angesichts der vorhergesagten wieder steigenden Infektionszahlen im Herbst eine abwartende Haltung an den Tag. "Ich glaube, es ist wirklich Vorsicht", sagt Mandel. "Man muss wissen, dass das Kernpublikum gerade unserer öffentlich geförderten Theater eher älter ist. Und diese Gruppe ist natürlich auch besonders vulnerabel - und vermutlich auch besonders vorsichtig."

Hinzu kommen speziell bei den älteren Zuschauerinnen und Zuschauern ganz praktische Überlegungen. "Es gibt viele Theater, die eine Maskenpflicht auferlegen. Das ist für viele in dieser Gruppe sehr anstrengend und sehr lästig", sagt Professorin Birgit Mandel von der Uni Hildesheim. Solche nervigen Aspekten eines Theater- oder Opernbesuchs gingen viele Theaterbesuchende aus dem Weg.

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Home-Entertainment statt Theaterbesuch

Sie hätten sich längst Alternativen zum Livebesuch gesucht. Während der zurückliegenden Lockdowns habe deren Attraktivität zugenommen und bei vielen Menschen eine Art Sozialphobie befördert, attestiert die Forscherin: "Dass die von ihren Sofas nicht mehr hochzukriegen sind. Dass da auch so eine Gewöhnung an Home-Entertainment eingetreten sind. Da kann man auch viele Inszenierungen sehen. Und das sitzt man dann ganz entspannt zu Hause, trinkt ein Gläschen Wein auf dem Sofa und hat den ganzen Stress überhaupt nicht."

Strukturelles Problem wird durch die Pandemie sichtbar

Gerade das ältere Theater-Publikum gilt eigentlich als ein sehr treues. Ist das aber erst einmal weg, dürfte es nur mit großen Anstrengungen wieder zurückzugewinnen sein, schätzt Forscherin Mandel. Für die Theater ist Publikumsschwund eine besondere Herausforderung. Schon seit Mitte der 1990er-Jahre beobachtet Mandel, dass aufgrund der Überalterung traditionelles, klassisches Kulturpublikum wegbricht und die unter 30-Jährigen immer schwieriger ins Theater zu locken sind. "Insofern ist das Problem schon länger angelegt und wird jetzt durch die Pandemie noch mal sehr, sehr deutlich", erklärt Mandel. Was bedeuten würde, dass die Theater jetzt enorme PR-Anstrengungen unternehmen müssten, um sich auch wieder zu so einem herausragenden Ereignis zu stilisieren.

Dass die mutmaßliche Zurückhaltung des Theater-Publikums in der kommenden Spielzeit an schlechten Programmen liegen könnte, das glaubt Mandel nicht. "Ich glaube, daran liegt es nicht, sondern am Publikum selber. Dass sie festgestellt haben, vielleicht fehlt ihnen auch gar nicht so viel, wenn sie nicht ins Theater oder in die Oper gehen."

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Publikum in der Oper noch älter als beim Schauspiel

Insgesamt wird die kommende Spielzeit für Theater in den Städten weniger problematisch verlaufen, schätzt Mandel. Ländliche Gebiete mit kleineren Häusern seien da sicher schlechter dran, weil es zahlenmäßig viel weniger kulturinteressiertes Publikum gibt. Tendenziell dürfte es die Oper schwerer haben als das Schauspiel: "Oper ist die Kulturform, die nun mit Abstand das älteste Publikum hat. Und darum glaube ich, wird es dort jetzt auch massive Einbrüche geben."

Aus dem selbem Grund sei auch die Zahl der Abonnements zurückgegangen. Abos werden traditionell vor allem von älteren Besuchern gewählt. Und Kulturwissenschaftlerin Mandel rechnet deshalb auch damit, dass die Zahl der Abos demnächst weiter massiv zurückgehen werde.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassisch in den Tag | 05.09.2022 | 08:15 Uhr

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