"Aale und Gespenster": Graphic Novel über die Cap Arcona-Katastrophe
Im Mai 1945 griffen britische Bomber in der Lübecker Bucht zwei Schiffe an, in der Annahme, deutsche Truppen zu treffen. Doch an Bord waren KZ-Häftlinge, von denen viele starben. Wie die Katastrophe bis heute nachwirkt, erzählt der Comic "Aale und Gespenster".
"Am 3. Mai 1945 erreichte die britische Armee die Lübecker Bucht. Hitler war bereits tot. Der Krieg würde noch knapp eine Woche dauern. Für uns schien er schon fast vorbei." Leseprobe
Das erzählt der Fischer Casimir in "Aale und Gespenster". Casimir, eine der Hauptfiguren in dem Comic-Roman, erlebt am 3. Mai 1945, wie britische Jagdbomber vor Neustadt das Passagierschiff "Cap Arcona" und den Frachter "Thielbek" angreifen. Die Briten vermuten damals deutsche Truppen auf den Schiffen. Stattdessen treffen sie etwa 7.500 Häftlinge, vor allem aus dem Hamburger KZ Neuengamme. Die Nazis hatten das Lager geräumt, um die Verbrechen des Regimes zu vertuschen.
Größte Katastrophe rund um das Kriegsende in Schleswig-Holstein
Mit 7.500 Toten war die Versenkung der beiden Schiffe die größte Katastrophe rund um das Kriegsende in Schleswig-Holstein. Marius Schmidt, der Zeichner des Comics, hat als Kind viele Sommer bei den Großeltern in Sierksdorf verbracht - nicht weit entfernt vom Ort des Untergangs. "Das ist ein intensives Stück Zeitgeschichte", erklärt der Künstler. "In nur wenigen Tagen verdichten sich hier so viele Ereignisse und Schicksale, dass es wert ist, darüber zu schreiben."
"Über Nacht hatte sich die Bucht in einen gigantischen Friedhof verwandelt." Leseprobe
In die fiktiven Charaktere und ihre Geschichten sind historische Recherchen und Familienerinnerungen eingeflossen. Die Vorfahren des Comic-Künstlers waren, wie Hauptfigur Casimir, Fischer in der Lübecker Bucht. "Die sind natürlich rausgefahren, weil sie am Vortag ihre Netze ausgelegt hatten - ohne zu wissen, was sie am nächsten Tag in der Lübecker Bucht erwartet", erzählt Schmidt. "Sie wollten die Netze einholen, merkten dann aber schnell: Das geht einfach nicht. Also haben sie sie im Wasser gelassen."
"Später erzählte man sich von den Aalen. Sie wären in diesem Sommer außergewöhnlich fett geworden und vermehrten sich wie verrückt. Aber niemand wollte sie essen." Leseprobe
Zwei Freunde plündern das Wrack der "Cap Arcona"
Das Wrack der "Cap Arcona" war nach dem Krieg noch jahrelang in der Lübecker Bucht zu sehen. Der Comic erzählt von der Freundschaft von Casimir und Rimsky, die das Wrack nach dem Bombenangriff plündern - bis es zu einem tödlichen Streit kommt.
"Aale und Gespenster" fängt das Gefühl der Orientierungslosigkeit nach Kriegsende ein - und thematisiert, wie die Ereignisse jahrzehntelang verdrängt wurden. Marianne, die Tochter einer Figur, die die Katastrophe als Kind mitbekommen hat, hat Fragen an die Mutter. "Sie trifft nur auf Schweigen und Wegmoderieren", erklärt Schmidt. "Mariannes eigene Tochter, dann sozusagen als dritte Generation, stellt diese Fragen gar nicht mehr."
Marius Schmidt erinnert an Menschen mit Fluchtgeschichte
Der Comic-Künstler will erinnern. An die Opfer des Angriffs auf die "Cap Arcona" und die "Thielbek", und an die vielen Menschen mit Fluchtgeschichte, die 1945 in der Lübecker Bucht lebten. "Das waren Menschen, die Deutsch sprachen, aber eine Migrations- und Vertreibungsgeschichte hinter sich hatten", so Schmidt. "Viele von ihnen waren traumatisiert. Für mich ist schwer nachvollziehbar, wie man nicht automatisch an diese Zeit denkt, wenn heute über Geflüchtete gesprochen wird - egal, woher sie kommen. Denn das ist noch gar nicht so lange her, noch nicht mal 100 Jahre."
Genau 80 Jahre ist es her - ein Menschenleben ist seitdem vergangen. Zeitzeugen gibt es kaum noch, geblieben sind Ehrenfriedhöfe und Gedenksteine. "Aale und Gespenster" findet einen anderen Weg, diese Geschichte lebendig zu halten.
Aale und Gespenster
- Seitenzahl:
- 224 Seiten
- Genre:
- Comic
- Verlag:
- avant-verlag
- Veröffentlichungsdatum:
- 24. April 2025
- Bestellnummer:
- 978-3-96445-132-3
- Preis:
- 25 Euro €
