Nahaufnahme eines Gemäldes in einem Goldrahmen. Abgebildet ist eine Frau, die bei Wind Wäsche auf einer Leine aufhängt. © Screenshot

Föhr: "Provenienzgeschichten" im Museum Kunst der Westküste

Stand: 04.07.2022 16:04 Uhr

Die neue Ausstellung gewährt spannende Einblicke in die komplexe Provenienzrecherche. Vor allem Werke von Max Liebermann stehen dabei im Fokus. Ein Gespräch mit der Leiterin Ulrike Wolff-Thomsen.

Sie zeigen in Ihrer neuen Ausstellung unter anderem Max Liebermanns Werk "Wäschetrocknen - Die Bleiche" - ein Werk, bei dem die Provinienz nun lückenlos geklärt ist. Mögen Sie kurz skizzieren, wie man letztlich herausgefunden hat, dass es sich nicht um NS-Raubkunst handelt?

Ulrike Wolff-Thomsen: Das war ein längerer Prozess. 2017 wurden wir mit diesem Verdacht, NS-Raubkunst in unserem Haus zu haben, konfrontiert. Diese Ölstudie von Max Liebermann befindet sich als Dauerleihgabe aus Privatbesitz in unserer Sammlung. Wir haben dann sehr große Anstrengungen für diese Provinienz-Recherche unternommen. Die ist erfolgt von Isabell von Klitzing, einer externen Provenienzforscherin, und Friederike Gräfin von Brühl, die uns anwaltlich vertreten hat. Wir drei haben uns über fast vier Jahre intensiv mit diesem Fall beschäftigt und wir können jetzt mit einer lückenlosen Indizienkette klären, dass das Werk dem jüdischen Vorbesitzer nicht unrechtmäßig entzogen worden ist, sondern dass seine Schwiegertochter das Werk mit ihrer Immigration über Paris in die USA hat ausführen können. Sie ist wiederum die Einlieferin dieses Werkes 1981 in den deutschen Kunsthandel gewesen.

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Im Fall des Museums Kunst der Westküste ist diese Recherche also nochmal glimpflich ausgegangen. Anfangs wollten etliche Museen keine Kunstwerke unklarer Provinienz. Dann hat man so ein bisschen die Flucht nach vorn angetreten, und inzwischen gehört es zum Selbstverständnis der Museen, dieses Thema ebenfalls auszuleuchten. Hat man begriffen, was für spannende Geschichten auf diese Weise in der Kunstvermittlung zum Teil erzählt werden können?

Wolff-Thomsen: Absolut. Es ist natürlich zwingende Aufgabe jedes Museums, die Herkunftsgeschichten von Werken zu erforschen. Wir stellen uns dieser Aufgabe auch als privates Stifter-Museum. Wir haben in der Ausstellung "Provinienzgeschichten" nicht nur Werke von Max Liebermann im Fokus. Die bilden zwar den Schwerpunkt, aber wir haben weitere Werke aus unserer Sammlung ausgewählt: von Peder Severin Krøyer, von Johan Christian Dahl, von Otto Heinrich Engel. Wir haben unglaublich spannende Herkunftsgeschichten zu erzählen und können unseren Besuchern neue Hintergründe über diese Bilder geben.

Die Museumslandschaft insgesamt ist sehr im Umbruch. Stehen Museen in der Aufklärungspflicht in Sachen Provinienzforschung oder wird gewartet, bis jemand Ansprüche erhebt?

Wolff-Thomsen: Nein, man handelt proaktiv. 1998 haben in Washington viele Länder dieser Welt zusammengesessen und haben die Washingtoner Prinzipien verabschiedet. Das heißt, dass sich öffentliche Sammlungen verpflichtet fühlen sollen, sich der Provinienzforschung ihrer Sammlungen zu stellen, um unrechtmäßig entzogenes Kulturgut den Anspruchstellern zurückzugeben. Es hat allein im 20. Jahrhundert drei große Phasen des Kunstraubs in Deutschland gegeben: im Kolonialzeitalter, in der Zeit des Nationalsozialismus und nach 1945 in der sowjetisch besetzten Zone. Dieses Unrecht muss ganz klar aufgearbeitet werden. Es ist unser aller Verantwortung und Herausforderung, sich dieser wichtigen Aufgabe zu stellen.

Demzufolge macht sich ein Museum heutzutage mitschuldig, wenn es von sich aus keine aktive Provinienzforschung betreibt?

Wolff-Thomsen: Mitschuldig ist ein großer Begriff, aber ich denke, es gibt eine moralische Verpflichtung, sich dieser Aufgabe zu stellen. Diese Aufgabe ist natürlich sehr personal- und kostenintensiv und nicht jedes Haus wird sich dieser Aufgabe vollumfänglich stellen können, weil personelle und finanzielle Ressourcen fehlen. Man kann bei einem Verdachtsfall eine Förderung beim Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg beantragen, aber es ist keine Selbstverständlichkeit, dass man dann auch diese Förderung bekommt.

In Ihren Magazinen lagern etwa 1.000 Gemälde - das dauert natürlich, die zu erforschen, oder?

Wolff-Thomsen: Wir haben seit Mai des vergangenen Jahres einen Online-Sammlungskatalog und haben dort mittlerweile über 250 Werke mit einer ausführlichen Bildbeschreibung, Bildanalyse und den Provinienzangaben öffentlich zugänglich gemacht. Das ist ein fortlaufender Prozess. Wir können noch nicht für alle Werke sagen, sie seien vollständig erforscht. Im Zuge der Digitalisierung werden uns immer mehr Dokumente auf schnellere Art und Weise zur Verfügung gestellt. Das ist eine stetige Herausforderung, der wir uns stellen wollen und stellen müssen.

Das Interview führte Philipp Cavert.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 04.07.2022 | 16:15 Uhr

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Museen

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