Empathie für Ukraine-Flüchtlinge: Psychologin erklärt unser Verhalten
Lange war Hilfsbereitschaft gegenüber Menschen in Not nicht mehr so ausgeprägt, wie wir das im Moment erleben. Sarah Fabi ist Psychologin an der Uni Tübingen und hat sich mit dem Thema befasst.
Wir sehen die Bilder völlig zerstörter Städte in der Ukraine. Wir sehen die uralte Frau im Rollstuhl, die in einen Zug gewuchtet wird. Wir sehen Kinder mit Stofftieren. Bei dem, was ich beschreibe, aus ihrer professionellen Sicht, was passiert da in unseren Köpfen?
Sarah Fabi: Sie beschreiben, dass wir Personen wahrnehmen, wahrscheinlich meistens über bewegte Bilder, die sich in einer bestimmten Situation befinden, in denen es ihnen nicht gut geht. Das löst in uns einen sehr ähnlichen affektiven Zustand aus, den auch die andere Person hat. Wir wissen aber um den Auslöser des eigenen Zustandes. Dadurch würde man das Ganze als Empathie beschreiben, was wir dort empfinden.
Wir fühlen uns tatsächlich etwa so wie die Menschen in Not, die wir beobachten.
Fabi: Genau. Und das kann zu verschiedenen Handlungsmotivationen führen. Sie haben ja schon beschrieben: Wir möchten helfen. Das ist eine Möglichkeit. Eine andere Möglichkeit ist, dass wir von dieser Empathie uns selbst so gestresst fühlen, dass wir vielleicht einfach lieber den Fernseher ausschalten möchten. Es ist also nicht so, dass Empathie zwangsläufig zu Hilfsbereitschaft führt. Aber es gibt eben diese Entwicklung, dass wir dann dieses wohlwollende Mitgefühl empfinden.
Im Moment ist die Hilfsbereitschaft sehr groß, sie ist gewaltig. Worauf führen Sie das zurück?
Man kann da in der Forschung unterscheiden zwischen Eigengruppen und Fremdgruppen. Also eine Eigengruppe ist eine Gruppe, der ich mir mich selbst zugehörig fühle und mit der ich mich identifizieren kann. Eine Fremdgruppe ist das eben nicht. Wir empfinden Empathie sehr unterschiedlich gegenüber Mitgliedern der Eigen- oder Fremdgruppe. Hier empfinden wir jetzt tatsächlich die Ukraine als Teil unserer Eigengruppe. Wir haben diesen Aggressor sozusagen und wissen, dass die Ukrainer und Ukrainerinnen wirklich eher die Opfer in dieser Situation sind. Dadurch können wir sie sehr einfach in unsere Eigengruppe einschließen und auch deutlich mehr Mitgefühl und Empathie empfinden, als wenn wir sie jetzt zur Fremdgruppe zählen würden.
Was sind das denn für Faktoren, die dazu führen, dass man diese Gruppen bildet und sich zugehörig oder eben nicht zugehörig fühlt?
Fabi: Das können sehr unterschiedliche Dinge sein. Eine Sache ist zum Beispiel die räumliche Nähe. Aber auch die persönliche Nähe - meiner Familie fühle ich mich natürlich noch deutlich verbundener als einem fernen Bekannten. Die Ähnlichkeit unseres Phänotyps führt tatsächlich dazu, wie stark wir Empathie empfinden können oder wie sehr wir was zur Eigengruppe oder Fremdgruppe zählen. Zum Beispiel würden wir anderen Säugetieren gegenüber einfacher Empathie empfinden, als zum Beispiel Fischen.
Wann könnte das an Grenzen geraten? Auch 2015, als die Grenzen geöffnet worden sind, war die Empathie mit Geflüchteten aus dem arabischen Raum erst sehr groß - dann kippte das plötzlich. Wäre das jetzt auch zu erwarten?
Fabi: Ich denke das ist eher eine politische Frage. Aus dem Bereich der Empathie lässt sich das nicht so einfach beantworten, weil es hier ja auch um sehr viele politische Strukturen geht: Wie wird damit umgegangen? Wie werden die Flüchtlinge integriert? Aber ich glaube aus einer rein psychologischen Perspektive spricht jetzt erstmal nichts dafür, dass sich das jetzt direkt ändern müsste.
Kurz nach Beginn des Kriegs in der Ukraine hat man es in internationalen Zeitungen gelesen, jetzt kommt diese Kritik aus allen möglichen Richtungen, dass zum Beispiel Geflüchtete aus Syrien sagen: Wir sind Geflüchtete zweiter Klasse. Kann man das nachvollziehen unter den Gesichtspunkten, die sie geschildert haben?
Fabi: Das kann man durchaus nachvollziehen, denn: warum sollte man einen Unterschied machen zwischen Flüchtlingen aus verschiedenen Herkunftsländern? Rein rational macht das ja wahrscheinlich nicht so viel Sinn, außer dass natürlich weitere Faktoren eine Rolle spielen. So zum Beispiel, dass Frauen und Kinder aus der Ukraine kommen, die vielleicht gar nicht unbedingt hier solange bleiben möchten, sondern gerne auch wieder zurück möchten. Da spielen natürlich noch weitere Faktoren eine Rolle. An sich ist aber diese Kritik natürlich schon angebracht, denn warum sollten wir nur Empathie der Eigengruppe gegenüber empfinden? Es ist sehr wichtig, dass wir auch diese ausweiten und auch zum Beispiel syrische Geflüchtete zur Eigengruppe zählen.
Sie haben gerade geschildert, dass manchmal dieses intensive Empfinden von Empathie auch dazu führt, dass wir sagen: Ich mache jetzt den Fernseher aus. Ist das auch ein gesundes, normales, selbst schützendes Verhalten?
Fabi: Ja, auf jeden Fall. Wir können natürlich nicht mit allem und jedem immer Empathie empfinden, sonst werden wir irgendwann völlig überwältigt. Da haben sie auf jeden Fall recht, dass wir uns hier auch selbst schützen müssen. Gleichzeitig ist es auch eine gewisse Gefahr, wenn wir uns von manchen Dingen einfach abschotten. So sind in unserer globalisierten Welt zum Beispiel auch manche Industriezweige erst möglich. Weil wir uns gar nicht genau vorstellen möchten, wie vielleicht die Frau in Bangladesch mein T-Shirt zusammennäht oder wie mein Fleisch auf dem Teller hergestellt wurde und so weiter. Deswegen ist es auch eine Gefahr, wenn wir zu viel empathischen Stress erleben und dann uns von ihr abschotten möchten.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.
Schlagwörter zu diesem Artikel
Europa-Politik
