Antje Rávik Strubel: "Ich will nicht länger diese Bomben bezahlen"
Antje Rávik Strubel sieht sich und uns in der Verantwortung, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht. Die Autorin hat in der "FAZ" einen Brief mit der Überschrift "Ich steige aus" veröffentlicht.
Frau Strubel, aus was steigen Sie aus?
Antje Rávik Strubel: Zunächst ist mein Ausstieg natürlich rhetorisch gemeint. Der ganze Brief war ja als Protest gedacht. Ich steige aus einer Politik aus, die ich für viel zu zögerlich halte und viel zu wenig offen für das, was uns alle bewegt, nämlich eine Art Bereitschaft, Dinge mitzutragen, die im ersten Moment unangenehm aussehen.
Die "FAZ" hat Ihren Brief mit den Worten eingeleitet: "Ein Wutausbruch". Entspricht das Ihrem Gefühlszustand?
Rávik Strubel: Nein, als Wut würde ich das nicht bezeichnen - das ist mir zu unsachlich. Das, wofür ich in diesem Brief plädiere, ist durchaus sehr sachlich und es geht da um einen umgehenden Stopp des Imports von russischem Öl, Gas und von russischer Kohle. Das ist auch nichts Neues, das wird schon eine ganze Weile von vielen Seiten verlangt. Mir scheint, dass das nicht gehört wird und viel zu lange dauert.
Was ist Ihre Hoffnung, mit diesem symbolischen Akt des Auswanderns erreichen zu können?
Rávik Strubel: Ich möchte auf jeden Fall eine größere Aufmerksamkeit darauf lenken. Ich habe das Gefühl, dass es zu wenig Bemühungen gibt. Ich frage mich zum Beispiel, warum es keine Taskforce Klima gibt. Es geht alles sehr schleppend und irgendwie hat man den Eindruck, die Politik geht immer weiterhin in diesen alten Bahnen, statt zu sagen: Wir müssen jetzt ganz konkret, ganz dringend mit finanzieller Unterstützung etwas ändern. Das betrifft diese Energieunabhängigkeit, wo viel zu wenig gemacht wird. Wir gucken nur auf unseren eigenen Wohlstand, aber nicht darauf, was in der Ukraine gerade los ist und was das jetzt schon für Auswirkungen auf uns hat. Da könnte man doch noch viel weiter gehen: Man müsste unter anderem die Sanktionen konsequent ausschöpfen.
Es ist schwierig, in dieser Sache ganz klar Haltung zu zeigen, zu wissen, was womöglich der richtige Weg ist. Sind Sie mit der Idee dieses Briefs lange in sich gegangen oder hatten Sie sehr schnell eine klare Sicht auf die ganze Sache?
Rávik Strubel: Nein, ich habe mich schon ein bisschen schwer getan. Ich habe schon eine ganze Weile überlegt, ob ich mich dazu äußern soll und habe mich erst mal ein bisschen bei den Experten informiert. Ein umgehender Energie-Ausstieg verlangt einiges von uns ab: Die Preise werden sich verteuern, wahrscheinlich werden einige Betriebe Unterstützung brauchen, es werden erstmal Arbeitsplätze verlorengehen und da braucht es ein Sozialpaket, um das abzufedern. Aber es gibt genug Experten, die sagen, dass das möglich ist. Und das muss man von der Politik aus den Menschen vermitteln, von denen ein großer Teil durchaus dazu bereit ist, das mitzutragen. Ich höre immer wieder von verschiedensten Seiten diese Verzweiflung über die eigene Hilflosigkeit, nichts tun zu können. Wir könnten aber viel mehr tun - darum ging es mir in diesem Brief.
Es gibt eine große Bereitschaft in der Bevölkerung, den Flüchtenden zu helfen. In Ihrem Brief geht es auch um diese Mitschuld, die Sie fühlen und die Sie sich nicht aufladen möchten. Ist es die Intervention, die uns in das Geschehen hineinzieht oder viel eher das Nichthandeln?
Rávik Strubel: Ich glaube, nicht zu handeln ist im Moment fatal. Natürlich sind wir nicht unbeteiligt. Wir sind ja schon dadurch beteiligt, dass wir Putins Regime schon eine ganze Weile mitfinanzieren, weil wir uns von dem russischen Gas so abhängig gemacht haben. Aber umso mehr geht es jetzt darum, etwas zu unternehmen, sich zu äußern. Das war auch das, was mich dazu brachte, diesen Text zu schreiben. Ich muss mich jetzt dazu äußern, weil ich nicht länger diese Bomben bezahlen will. Ich will nicht länger diese Politik mittragen. Die EU zahlt, glaube ich, täglich über 500 Millionen Euro für Putins Krieg - das ist doch der reine Wahnsinn. Ich finde nicht, dass es reicht, hundert Milliarden für die Bundeswehr zur Verfügung zu stellen, denn da geht es nicht darum, ganz akut etwas gegen diesen Krieg zu unternehmen. Da geht es längerfristig um Aufrüstung - natürlich muss die Bundeswehr wehrhaft sein, aber das alleine reicht nicht. Ein Teil dieses Geldes müsste eigentlich umgehend in Klimaprojekte investiert werden und zwar ganz massiv.
Wenn Sie jetzt symbolisch aussteigen - gibt es diesen Ort, an dem wir uns nicht schuldig machen? Und wenn ja, wo wäre der?
Rávik Strubel: Ich glaube, in dem Moment, wo ich in einer Gesellschaft bin und handele, laufe ich immer Gefahr, mich schuldig zu machen. Diesen Ort gibt es nur vorher oder hinterher, aber nicht im Leben.
Das Interview führte Andrea Schwyzer.
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