Reizdarmsyndrom: Wenn die Diagnose nicht eindeutig ist

Stand: 06.02.2023 21:13 Uhr

Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist eine funktionelle Störung zwischen vegetativem Nervensystem und der Darmmuskulatur. Die Diagnose "Reizdarm" wird aber laut Expertinnen und Experten häufig vorschnell gestellt.

"Reizdarm" ist unter den Magen-Darm-Erkrankungen die am häufigsten gestellte Diagnose. Frauen sind davon doppelt so oft betroffen wie Männer. Die Symptome reichen von Übelkeit, Bauchschmerzen, Blähungen, Druck- und Völlegefühl bis zu Durchfall oder Verstopfung. Ein bestimmter Auslöser für die Verdauungsbeschwerden wird in den meisten Fällen nicht gefunden. Doch nicht selten würden Betroffene nicht systematisch auf andere Krankheiten untersucht und vorschnell mit der Diagnose Reizdarm konfrontiert und allein gelassen, kritisieren Expertinnen und Experten. Tatsächlich fände sich bei vielen Menschen mit entsprechenden Beschwerden eine behandelbare Ursache wie zum Beispiel eine Allergie.

Ursachen für RDS

Liegt eine Reizdarmsyndrom vor, kann dies die Lebensqualität stark einschränken. Manchen Menschen schlägt Stress im wahrsten Sinne auf den Magen und den Darm. Die Darmnerven geraten bei ihnen in eine Art Dauererregungszustand, kommen mit der Regulierung der Darmbewegungen durcheinander und melden dem Gehirn: "Schmerz!"

Mitverantwortlich kann eine gestörte Darmflora sein: Antibiotika oder schwere Magen-Darm-Infekte bringen die natürliche Mischung der nützlichen Bakterien im Darm durcheinander. Nach einer Salmonelleninfektion beispielsweise ist deshalb das RDS-Risiko um das Achtfache erhöht, aber auch andere Darmkeime wie Yersinien, Campylobacter oder EHEC können die Beschwerden auslösen. Ist die Darmflora über längere Zeit geschädigt (sogenannte Dysbiose), kann sich zudem die Darmschleimhaut verändern. Sie bekommt quasi "Löcher", wird also leichter durchlässig für Giftstoffe und Krankheitserreger. Als Folge findet man bei einigen RDS-Betroffenen mehr Abwehrzellen und deren entzündungsfördernde Botenstoffe im Darm - was wiederum die Darmnerven reizt.

Ausschluss anderer Krankheiten mit ähnlichen Symptomen

Bis die Diagnose RDS gestellt wird, ist es oft ein langer Weg. Zunächst müssen andere Krankheiten mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen werden - etwa wiederkehrende Infekte, Nahrungsmittelunverträglichkeiten (etwa Fruktose-Intoleranz, andere oder multiple Intoleranzen), Nahrungsmittel-Allergien, Fehlbesiedlungen des Darms, durch Bakterien, Viren oder Pilze, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa oder auch Tumore im Darm oder an den Eierstöcken.

Mehrere Untersuchungen sollten erfolgen: Magen- und Darmspiegelung, Ultraschall des Bauches, eine Blutuntersuchung mit Blutbild, Leberenzymen, Salzen, Schilddrüsen- und Nierenwerten. Mit einer Stuhluntersuchung lässt sich Parasitenbefall ausschließen. Mit Atemtests können Unverträglichkeiten gegen bestimmte Zuckerarten nachgewiesen werden.

In einer Studie zum Reizdarm-Syndrom untersuchen Lübecker Forschende mit einem endoskopischen Verfahren (CLE), wie die Darmschleimhaut auf Nahrungsmittel reagiert. Dabei beobachten die Darmzellen in 1000-facher Vergrößerung. Werden die Zellzwischenräume weiß, liegt eine Allergie vor - zum Beispiel gegen Soja.

Ergibt sich bei allen Untersuchungen kein organischer Befund und treten mindestens über zwölf Wochen innerhalb eines Jahres Darmstörungen mit den beschriebenen Symptomen auf, dann lautet die Diagnose: Reizdarmsyndrom.

Reizdarm-Therapie mit FODMAP-Ernährung

Nach australischen Studien kann eine spezielle Diät den Darm sehr effektiv beruhigen. Da sich Stress und Belastungen selten kurzfristig abstellen lassen, sind Einschränkungen beim Essen der Erfolg versprechendste Weg. Die sogenannte FODMAP-reduzierte Ernährung bringt zwar einige drastische Einschränkungen mit sich: Betroffene verzichten dabei ein paar Wochen lang komplett auf alle potenziell reizenden Kohlenhydrate und spezielle Arten von Zucker. Wer das konsequent betreibt, kann seine Darmbeschwerden aber in den Griff bekommen. Allerdings sollte eine FODMAP-reduzierte Diät nicht ohne ärztlichen Rat und klare Diagnose ausprobiert werden, denn sie kann die Beschwerden, zum Beispiel bei einer Allergie, auch verschlimmern.

Was sind FODMAPs?

FODMAP ist die englische Abkürzung für
Fermentierbare
Oligosaccharide,
Disaccharide,
Monosaccharide
And (und)
Polyole.
Gemeint sind damit schnell vergärende Kohlenhydrate, wie sie etwa in Süßigkeiten, Brot (besonders Weizen), Milchprodukten, Steinobst oder Kohl stecken. Die Polyole (Zuckeralkohole) finden sich in vielerlei industriell hergestellten Produkten als Süßungs- oder Feuchthaltemittel.

Während der FODMAP-reduzierten Diät lassen die Beschwerden gelegentlich rasch nach oder verschwinden sogar ganz. Nach vier bis acht Wochen sollten in jedem Fall die FODMAP-haltigen Nahrungsmittel schrittweise wieder ausprobiert werden, denn sonst können Mangelerscheinungen auftreten. Wichtig ist, im Ernährungstagebuch genau festzuhalten, welche Symptome nun nach dem Verzehr welcher Lebensmittel auftreten. So lässt sich individuell herausfinden, was der Darm verträgt.

Ernährungstherapie
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Beruhigende Mittel bei Reizdarm

Zu Darmberuhigung haben sich außerdem einige pflanzliche Wirkstoffe wie Pfefferminzöl oder der Extrakt aus Melissenblättern bewährt. Hilfreich können auch wasserlösliche Ballaststoffe beispielsweise aus Flohsamenschalen sein, gegebenenfalls ergänzt durch Probiotika.

Generell ist es für Menschen mit RDS sinnvoll, langsamer, gemütlicher und geselliger zu essen - und insgesamt mehr Ruhe und Struktur in den Alltag zu bringen.

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Die Ernährungs-Docs | 11.03.2024 | 21:00 Uhr

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