documenta-Bilanz: Turbulenzen, die aufgearbeitet werden müssen
Am Wochenende schließt die documenta 15 in Kassel ihre Pforten. Monatelang wurde hitzig über die internationale Kunstausstellung diskutiert: ausgelöst durch immer neue Antisemitismusvorwürfe.
Nach der Eröffnung erregten zunächst antisemitische Bildmotive, dann pro-palästinensische Propagandafilme die Gemüter. Die Diskussionen haben die 15. Ausgabe der documenta überschattet. Das Kuratorenkollektiv Ruangrupa wehrte sich gegen nachträgliche Einschränkungen der beratenden Expertenkommission und sprach von Zensur. Alexander Farenholtz, der documenta-Geschäftsführer bedauert, er habe beide Seiten bis zuletzt nicht ins konstruktive Gespräche bringen können: "Dieser Dialog hat aus meiner Sicht gar nicht erst begonnen, der ist schon in seinen Ansätzen gescheitert."
Dabei war Farenholtz im Juli angetreten als Vermittler, als Kommunikator. Er wurde Interims-Nachfolger, als der Vertrag der Chefin Sabine Schormann aufgelöst wurde.
Wer übernimmt die Verantwortung in einem Künstlerkollektiv?
Zum ersten Mal lagen die künstlerischen Entscheidungen bei dieser documenta-Ausgabe nicht mehr in der Hand einer kuratierenden Person, sondern eines Kollektivs - eben Ruangrupa aus Indonesien. Ein Konzept, das viele Besucherinnen und Besucher ansprach.
Als die Kritik an einigen Exponaten lauter wurde, drängte sich die Frage auf, wer Verantwortung für die Entscheidungen eines Kollektivs trägt. Da sieht die Konfliktforscherin und Vorsitzende des beratenden wissenschaftlichen Expertengremiums Nicole Deitelhoff Nachbesserungsbedarf: "Ich finde dieses Konzept nach wie vor großartig. Aber die Umsetzung, die ist tatsächlich gescheitert. So sehr man in der Auswahl auf Horizontalität und Machtabgabe setzt, muss an einem Punkt jemand da sein innerhalb des Kuratorenkollektivs, der oder die guckt, ob es gefährliche Vereinseitigungen, Verzerrungen gibt, die man nicht tolerieren kann. Und das ist hier überhaupt nicht erfolgt. Im Gegenteil: Es hat sich eigentlich jeder geweigert, diese Verantwortung wahrzunehmen."
"Wir müssen alle diesen Diskurs antreten"
Jetzt beginnt die Phase der Aufarbeitung. Das Expertengremium analysiert noch einmal tiefgehend die Organisation der documenta, die Kuration sowie die Werke. Ende des Jahres wird das Team dann einen Abschlussbericht mit Empfehlungen für die Zukunft der documenta veröffentlichen. Weiterdiskutieren - das sei auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, meint Nicole Deitelhoff: "In all dem, was wir in der documenta gesehen haben, steckt auch ein entgrenzter Kunstbegriff, wo teilweise für viele auch nicht mehr klar ist: Was ist Kunst? Was ist es auch nicht? Welche Rolle spielen Archive und Dokumentationen in der Kunst? Da sind also ganz viele offene Fragen, die zwar innerhalb der Kunstszene diskutiert werden, aber auch nur dort. Ich glaube, sie betreffen schon unsere Gesellschaft als Ganzes und wir müssen alle diesen Diskurs antreten, was wir uns eigentlich als Kunst vorstellen, was wir auch bereit sind, von der Kunst hinzunehmen, wo wir Grenzen ziehen wollen und wie wir das tun können."
"Eine Art Meilenstein in der Geschichte der documenta"
Trotz der Turbulenzen um die diesjährige Ausgabe sieht Alexander Farenholtz den Ruf der documenta nicht in Gefahr. Im Gegenteil: "Auch wenn das jetzt überraschend ist: Ich finde den Umstand, dass die documenta die Risikobereitschaft hatte, sich auf ein solches Projekt einzulassen, dass das den Ruf der documenta eher stärkt. Meine ganz persönliche Auffassung ist: Durch die Besonderheit dieser Ausstellung ist das tatsächlich so etwas wie eine Art Meilenstein in der Geschichte der documenta, von denen es bisher nicht so viele gibt."