"Wanja in der Gaußstraße": Tschechow-Variante in Hamburg
Tschechows "Onkel Wanja" feierte am Freitag am Hamburger Thalia Theater in einer neuen Version Premiere. "Wanja in der Gaußstraße" begann als leicht gesponnenes Ensemble-Stück, endete aber schwerfüßig.
Im Thalia Gaußstraße hatte am Freitagabend ein Klassiker Premiere: Tschechows "Onkel Wanja" in einer neuen Version. Dieser Abend heißt "Wanja in der Gaußstraße".
Die Premiere beginnt hochpolitisch. Schauspieler und Musiker Daniel Kahn singt ein altes jiddisches Lied: "Dem russischen Kaiser dienen ist nicht gut, weil er tut sich baden in unserem Blut". Und dann folgt die klare Botschaft: "Frieden und Freiheit für Ukraine" - es gibt heftigen Applaus.
Eintauchen in Tschechows "Onkel Wanja"
Danach taucht das Publikum ein in Tschechows Welt. Daniel Kahn klimpert plötzlich wie ein gut gelaunter Barpianist scheinbar wahllos auf seinem Klavier. Die verschiedenen Musikzitate machen den Raum auf für Möglichkeiten des Lebens.
Hier ist die Grundsituation eine Theaterprobe: Auf der Bühne stehen grob genagelte Deko-Wände, an denen wahllos russische Ikonen oder bunte Klebezettel hängen. Vorne steht ein Tisch mit Thermoskannen, einem alten Käsebrot und bunten Kaffeetassen. Die Schauspieler und Schauspielerinnen werden live gefilmt, wie sie durch die Gänge des Theaters gehen, bis sie leibhaftig auf die Bühne kommen. Es wirkt wie Theateralltag.
Schauspieler Felix Knopp tritt im Halbschatten auf und murmelt: "Ich meine, es macht einen fertig, dieses Leben, wo man hinschaut, nur Verrückte!". Er klingt dabei wie ein zynischer Kommentator zur Weltlage. Überhaupt ist der Sprech-Sound an diesem Abend beinahe alltäglich, ohne eine Spur Pathos, ohne Kitsch. Wir sehen Menschen, die vor Langeweile fast verrückt werden.
Leise Inszenierung von Hakan Savaş Mican am Thalia Gaußstraße
Die Inszenierung von Hakan Savaş Mican ist vor allem eines: leise. Die Figuren wirken wie mit Fäden verbunden. Die schönsten Auftritte kommen gleich zu Beginn, etwa wenn die vom Leben enttäuschte Jelena, in Gestalt der fast schnoddrig spielenden Anna Blomeier, im grünen Leder-Minirock quer über die Bühne latscht. Dabei wird sie begleitet von den schmachtenden Blicken der Männer. Der Abend beginnt als leicht gesponnenes und witziges Ensemble-Stück, ist atmosphärisch dicht, endet aber schwerfüßig.
Eine Zuschauerin meint etwa: "Ich fand es sehr niederdrückend, negativ, auch sehr lang und sehr ausdauernd." Eine andere findet: "Diese Frage von Langeweile ist ein etwas dekadentes Luxus-Problem, gerade angesichts der augenblicklichen Situation. Ich bin nicht zufrieden."
Wanja und Nichte Sonja verwalten ein Gut im Nirgendwo
Der Ort: ein Landgut irgendwo in der russischen Provinz. Wanja und seine Nichte Sonja verwalten das Gut für ihren halbwegs berühmten Schwager und Vater, einen Kunstprofessor, der aber pleite ist und ein Jammerlappen. Jetzt lebt er mit seiner Frau Jelena auf dem Land: Das ist halt billiger.
Und Wanja? Beklagt sich, sein Leben verpasst zu haben: "Alles ist alt, ich bin geblieben wie ich war, bloß schlimmer, weil ich faul geworden bin." Stefan Stern spielt ihn als hochnervösen Loser-Typen im Holzfällerhemd und mit halblangem Haar. Dem Naturliebhaber und Arzt Astrow gibt Felix Knopp die clownesken Züge eines an seiner Klugheit Scheiternden. Beide spielen direkt und hellwach. Wanja und Astrow sind unglücklich in Jelena verliebt, Sonja liebt Astrow, ohne den Hauch einer Chance - soweit die Handlung. Was aber eigentlich interessant ist an diesem Abend, sind die inneren Vorgänge, die Sehnsucht der Figuren, ihre innere Musik. Und die bringt besonders eine zum Klingen: Meryem Öz als unglücklich verliebte Sonja. Einfach fantastisch.
Eine Zuschauerin schwärmt: "Dieser Klang war wie eine andere Welt. Die war ja eigentlich die Schönste und wurde im Stück als die Hässliche beschrieben. Das hat mich so zerrissen. Man wird angestoßen, darüber nachzudenken, was man selber will".
Abend verliert an Witz und Tempo, wird zum Psychodrama
Jede Figur steckt in ihrer Blase fest, in einem Stillstand festgefroren. Irgendwann kommt es zum Ausbruch: Wanja zieht eine Pistole und schießt auf den verhassten Schwager. Aber auch dieser Schuss geht ins Leere. Die Inszenierung verliert ihre Leichtfüßigkeit vom Anfang: Dass alle Figuren einsam sind, haben wir hier schnell begriffen. Die gefilmten Nahaufnahmen der Gesichter auf der Rückwand suggerieren eine ständige Innenschau. Trotzdem entsteht keine wirkliche zweite Ebene: Der Abend verliert an Witz, an Tempo, wird zum etwas larmoyanten Psychodrama. Schade. Anton Tschechow war ein Komödiant, mit Sinn für Tragik.
"Wanja in der Gaußstraße": Tschechow-Variante in Hamburg
Die Premiere zur Tschechow-Variante "Wanja in der Gaußstraße" begann als leicht gesponnenes Ensemble-Stück, endete aber schwerfüßig.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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Thalia Theater - Gaußstraße
Gaußstraße 190
22765 Hamburg - Preis:
- 25 Euro
- Kartenverkauf:
- theaterkasse@thalia-theater.de
- Hinweis:
- Regie und Bühne Hakan Savaş Mican
nach Anton Tschechow, deutsch von Angela Schanelec / nach einer Übersetzung von Arina Nestieva
Kostüme Miriam Marto Dramaturgie Susanne Meister Musik Daniel Kahn Video Mikko Gaestel
Mit Oliver Mallison (Serebrjakow), Anna Blomeier (Jelena), Meryem Öz (Sonja), Sandra Flubacher (Maria), Stefan Stern (Wanja), Felix Knopp (Astrow), Daniel Kahn (Telegin)
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