Sonja Anders über Theater: "Unsere Häuser sind angsteinflößend"
Ob Oper, Theater oder Kunst - Kultur soll für alle da sein. Dennoch bleiben viele Kulturangebote den Wohlhabenden und Gebildeten vorbehalten. Ein Gespräch mit Theaterintendantin Sonja Anders vom Schauspiel Hannover.
Frau Anders, im Film "Wie elitär ist die Kunst?" sagen Sie über das Theater, die Oper, die Museen den Satz: "Unsere Häuser sind angsteinflößend." Wie meinen Sie das?
Sonja Anders: Ich meine damit, dass ein Gestus von unseren Häusern ausgeht, der zumindest Bildung voraussetzt. Der aber auch durch eine lange bürgerliche Tradition mehr als nur Bildung voraussetzt: nämlich eine gewisse Zugehörigkeit zu einer Schicht, zu Menschen mit hohem Einkommen und mit dem Ganzen, was damit zusammenhängt: einem bürgerlichen Lebensstil oder einer bürgerlichen Erziehungsweise.
Gilt denn dieses Bild heute noch? Muss man sich wirklich noch Gedanken darüber machen, was man anzieht, wenn man ins Theater geht?

Anders: Es ist alles möglich im Theater. Man kann als Punk oder als Hip-Hopper durchaus in diese Gebäude hineingehen und wird eigentlich auch nicht mehr schräg angeguckt. Ich glaube, dass es eher die Angst ist, die in den Menschen sitzt, dass sie nicht wissen, wie sie sich da benehmen sollen oder was auf sie zukommt: Verstehe ich das? Muss ich das verstehen? Das Nichtverstehen spielt eine große Rolle. Das macht mir Sorge, und ich mache mir viele Gedanken darüber. Hat es mit einer gewissen Art der Distinktion zu tun, die diese Gebäude und die Programme ausstrahlen? Hat es in gewisser Weise auch mit einem Paternalismus zu tun? Wie sehr beugen wir uns hinunter, und wie sehr muss man sich nach oben strecken, um dieses Programm zu verstehen, um da teilzuhaben? Da sind wir sehr dran, das zu betrachten. Gleichzeitig ist die Frustration sehr groß, dass es sehr wenig greift.
Was könnten die Theater tun, um den Leuten diese Furcht zu nehmen?
Anders: Ich finde, es hat zum einen mit der Art und Weise, wie wir erzählen, wie wir uns präsentieren, zu tun. Zum anderen merken wir, dass auch die Formate, die wir anbieten, ein Rolle spielen. Zum Beispiel erscheint das Hoffest den Menschen niedrigschwelliger, da haben wir Zuckerwatte, da gibt es Musik, da haben wir ein leichtes Programm. Auch in unserem Ballhof, dem kleineren Raum, haben wir Angebote, die ausstrahlen. Wir öffnen uns für Geschichten, die man gut verstehen kann, die nah bei einem sind und auch nah bei Menschen, die bildungsfern sind. Wir spielen da nicht nur Klassiker oder schwierigere, neue Stücke, sondern wir haben da eine größere Öffnung. Das hat auch mit dem jungen Theater zu tun.
Ich glaube aber, es hat auch mit Medien zu tun. Welche Medien nutzt man, wie kommt man überhaupt zum Theater hin? Sind wir im Netz, in den Social-Media-Kanälen vertreten, in denen Menschen sich im Moment viel bewegen? Das ist eine große Aufgabe.
Sie hatten als Kind auch nicht unbedingt Zugang zu Kunst und Kultur. Gibt es Ansatzpunkte, die Sie aus Ihrer Biografie mitnehmen können, weil Sie wissen, wie schwer dieser Schritt ist, ins Theater zu gehen?
Anders: Ja, definitiv sind Allies, also Freunde, Helfer*innen, ein Schlüssel. Das sind zum Teil Lehrer bei mir gewesen, die einen ermuntert haben, Schritte zu tun, die man allein aus dem Elternhaus heraus nicht getan hätte. Deshalb arbeiten wir eng mit Lehrer*innen zusammen, haben Partnerschulen, auch in bildungsfernen Communitys. Ich glaube, dass man die Kinder kriegen muss - und die vergessen das auch nicht. Diese Form der Bildungsarbeit ist ganz wichtig.
Zum anderen finde ich, dass mich die Subkultur, der ich mich in gewisser Weise ganz schnell zugewendet habe - sei es eine gewisse alternative oder eine punkige Subkultur -, gestärkt hat und die Theater mit dieser Subkultur Kontakt haben. Wir sind ja eigentlich immer dran, was gerade hip und angesagt ist. Und diese Subkulturen haben meistens einen Establishment-kritischen Ansatz, und das hat mir geholfen. Im Grunde auch diese große Formel "Alle sind gleich - egal wie viel Geld man hat", die da ausgestrahlt wird. Das müssen die Theater hinkriegen, sie müssen mehr ausschreien: "Alle sind gleich, alle sind wichtig, alle sind gleich in der Verantwortung und alle sind bei uns gleich willkommen."
Da spielen auch die Stücke eine große Rolle. Wie kann man diesen Schulterschluss schaffen zwischen Stücken, die im Hip-Hop- oder im Punkbereich verortet sind, und den Klassikern, die ein bisschen angsteinflößend wirken können? Wie wollen Sie es schaffen, dass sich am Ende alles vermischt und man sagen kann: Das Theater, was wir machen, ist für alle da?
Anders: Wir haben uns schon eine große Diversität auf die Fahnen geschrieben. Das spielt eine Rolle. Die Schulklassen zum Beispiel sind ja sehr divers, und das müssen wir abbilden und auch mitnehmen. Das Gleiche gilt übrigens für die Queerness. Ich glaube, das ist das große Thema der Zukunft - für Schüler*innen, für das Theater, für unsere Ästhetiken, für unsere Inhalte: Wie betrachten wir Geschlechterfragen? Ich merke das an meiner Tochter, dass dieses Thema durch alle Schichten durchgeht und es auch die ganze Popkultur beherrscht.
Das Thema des Kein-Geld-Habens hat im Theater immer schon seinen Raum gehabt. Es gab schon lange - nicht erst seit Brecht - eine Tradition, dass davon erzählt wird, dass alle gleich sind, aber dass sie faktisch nicht gleich behandelt werden, dass sie keinen Aufstieg erlangen oder dadurch auch Unrecht erleiden. Dieser Gestus des Paternalismus, dass man sagt, dass alle gleich sind - das ist gar nicht mehr so ein Thema und wird im Moment auf allen Ebenen durch ein Empowerment ersetzt. Und das ist auch richtig so. Ich möchte gar nicht mehr einem Kind erklären, dass es nicht schlimm ist, dass es kein Geld hat - dann ist es nämlich schon schlimm. Vielmehr fände ich es sinnvoller, diese Lebenswelten, diese Realitäten ganz selbstverständlich anzunehmen und kleine arme Helden auf die Bühne zu stellen.
Das Gespräch führte Andrea Schwyzer.
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