"Ein Protest ist der Versuch zu sagen: Wir sind viele!"
Der Aufschrei Kulturschaffender weltweit war heute groß nachdem Schuldspruch des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikow. Er und sein Produktionsteam sollen Fördergelder veruntreut haben. Das Verfahren ist aber umstritten und gilt als Schauprozess gegen die liberale Kunstszene in Russland. Einer, der sich vehement für Serebrennikow einsetzt, ist der Schauspieler Lars Eidinger.
Herr Eidinger, Sie waren bis eben bei einer Solidaritätsdemonstration vor der russischen Botschaft in Berlin. Und ich habe Ihnen gerade die gute Mitteilung machen können, das inzwischen das Strafmaß für Serebrennikow verkündet worden ist: Er muss nicht in Haft, er wird "nur" zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Wie geht es Ihnen?
Lars Eidinger: Ich kann es kaum glauben, ich freue mich wahnsinnig. Ich hatte daran nicht gedacht. Heute morgen, als wir vor der Botschaft standen, war es ein Gefühl von Ohnmacht. Natürlich geht man dort hin, um seine Solidarität zu bekunden. Ich habe dann doch das Gefühl gehabt, dass man letztendlich keinen Einfluss hat auf das, was passiert. Eigentlich ist die Entscheidung schon gefallen, und dann kam auch die Nachricht, er sei verurteilt worden. Nur das Strafmaß stehe noch nicht fest.
Waren Sie überrascht, als Sie hörten, dass er verurteilt ist? Wie war die Stimmung unter den Demonstranten?
Lars Eidinger: Wir waren sprachlos. Und das ist es ja, worum es in diesem Prozess geht: Jemanden mundtot zu machen. Ich bin mit Kirill Serebrennikow eng befreundet und schätze ihn als jemanden, der in einer äußerst brisanten politischen Situation sich selbst in Gefahr bringt, indem er ganz klare Haltung bezieht und auch sich in seiner Kunst der Kritik verschreibt. Er kritisiere offen das System seines Landes und ist offen homosexuell. Das beeindruckt mich, denn für ihn steht viel auf dem Spiel. Zu Beginn war das Strafmaß ja auf sechs Jahre Straflager angesetzt.
Natürlich ist das persönlich ein schweres Schicksal, sechs Jahre in Haft zu müssen. Aber es geht ja noch um mehr als das. Wofür steht Serebrennikow?
Lars Eidinger: Natürlich geht es um sehr viel mehr. Ich habe zwei Jahre in Russland gearbeitet und dort sehr viele Kunst- und Kulturschaffende kennengelernt. Es sind Kontakte, die ich bis heute pflege. Diese Menschen haben auch ein sehr großes Bedürfnis, den Kontakt zu uns zu halten. Ich will mich mit der gesamten Kulturszene solidarisch zeigen. Ich merke auch durch die Reaktionen auf unsere Postings in den sozialen Medien, wie dankbar sie sind. Sie schreiben, dass sie froh sind, dass wir ein Bewusstsein für den Konflikt haben und dass wir uns positionieren. Natürlich geht es um sehr viel mehr, da es im Grunde ein Präzedenzfall ist. Wenn Kirill verurteilt wird, dann hat das Konsequenzen für die gesamte Kulturszene.
Neben der Demo, an der Sie heute teilgenommen haben, haben Sie immer wieder in den sozialen Medien oder in Interviews auf den Fall hingewiesen. Sie gehören auch zu den ersten Unterzeichnern einer Online-Petition, die Freiheit für Kirill Serebrennikow fordert. Die Liste umfasste zuletzt mehr als 56.000 Namen. Aber was kann dieser Protest real bewirken?
Lars Eidinger: Das fragt man sich natürlich immer. Ich glaube, dass es wichtig ist, sich gegenseitig den Rücken zu stärken. Jemand in die Isolation zu stecken hat den Ehrgeiz, dass Menschen sich nicht mehr miteinander verbinden und keine Stärke mehr aus der Gruppe ziehen können. Ein Protest ist der Versuch zu sagen: Wir sind viele, die gemeinsam den Anspruch haben, sich zu positionieren und sich in dem Moment, wo es gefährlich wird, nicht zurückzuziehen. Ich sehe es als meine Aufgabe, den Menschen in Russland Hoffnung zu geben und ihnen zu zeigen, dass es in Deutschland Menschen gibt, die einen ähnlichen Anspruch an Kunst und Kultur haben.
Ist es ein Grund zu feiern, dass es nur eine Bewährungsstrafe geworden ist? Wie beurteilen Sie diese Entscheidung?
Lars Eidinger: Es stand im Raum, dass er in ein Straflager geschickt wird. Das hätte mir wahnsinnig weh getan. In erster Linie bin ich froh, dass dies nicht so ist. Es ist so wichtig, in der Kunst sagen zu dürfen, was man denkt und dafür nicht verurteilt zu werden. Und das ist natürlich nach wie vor bedroht.
Das Gespräch führte Alexandra Friedrich.
