Cover Hg. Linda Conze, Westrey Page, Anna Schütz, "MAMA - Von Maria bis Merkel" © Hitmer

Bildband "Mama" feiert und hinterfragt Mutter-Bilder

Stand: 11.05.2025 06:00 Uhr

Eine Mama zu haben oder eine Mama zu sein ist gewiss nicht immer einfach. Rollenvorstellungen, Konventionen, Alltagsprobleme - all dies zeigt eindrucksvoll der Bildband "Mama" aus dem Hirmer Verlag.

von Severine Naeve

1967 hat der damals elfjährige Schlagersänger Heintje mit seinem Lied "Mama" im Wirtschaftswunderland einen Nerv getroffen. Er blickt einem gleich auf den ersten Seiten im Buch mit schmachtendem Blick entgegen. Mikrofon in der einen, Blumenstrauß in der anderen Hand. Geschniegelt und gestriegelt, im Sonntagsanzug. Kaum ein Wort wird so oft ausgesprochen, wie Heintje es in seinem Lied so herzerweichend singt - Mama. Es klingt immer gleich und doch jedes Mal anders.

Ein kleines Themen-Universum des Mutter-Seins

Der Bildband "Mama" zeigt, wie Mütter in der Gesellschaft über Jahrhunderte hinweg wahrgenommen wurden. Wie sich die Erwartungen an ihre Rolle verändert haben, wie sich die Selbstwahrnehmung von Müttern geändert hat. Das Buch führt durch ein kleines Themen-Universum des Mutter-Seins. Klassische Gemälde, Skulpturen, Magazintitel, Fotos oder Postkartenmotive - vor allem von Künstlerinnen. Unterteilt in verschiedene Kapitel, mit Titeln wie "Die Gute Mutter", "Nähe" oder "Care Arbeit":

Kinder zu betreuen ist Arbeit. Nichtsdestotrotz bleibt sie meist unbezahlt und wird traditionell den Frauen zugewiesen. Künstler*innen haben mit kritischem Blick darauf aufmerksam gemacht, dass Fürsorge von gesellschaftlichen Normen und Klassenzugehörigkeit geprägt ist. (…) Vor allem ab dem späten 20. Jahrhundert wurde der Balanceakt zwischen Care und Erwerbstätigkeit zur Regel. Das geht bis heute zulasten der zeitlichen Ressourcen und erzeugt den Druck, verschiedene Rollen gleichzeitig und perfekt ausüben zu müssen. Leseprobe

Mütter: Bemitleidet, beneidet, bewundert

Nach kurzer Einleitung in die Kapitel folgt ein Sammelsurium von Abbildungen und Fotografien, die das Thema genre- und zeitübergreifend illustrieren. Das Gemälde "Stillende Mutter" von Paula Modersohn-Becker von 1902 zeigt eine "Care Arbeit", wie sie zur Jahrhundertwende selten dargestellt wurde: Eine Frau bietet mit konzentriertem, aber liebevollen Blick ihrem Säugling die Brust an. Das Kind wendet sich noch ab, schaut dabei skeptisch, fast ängstlich Richtung Betrachter. Die rechte Brust der Frau ragt nackt aus ihrem Kleid hervor; sie umfasst mit den Fingern ihre Brustspitze und versucht die Brustwarze in Richtung des Mundes des Kindes zu lenken. Ein ungewöhnlich intimer Einblick für die damalige Zeit - aber angesichts noch heute immer wieder aufkommender Debatten über das Stillen in der Öffentlichkeit eindrucksvoll aktuell.

Direkt daneben: Fotos von Babyflaschen aus zwei Jahrhunderten. Es folgen Abbildungen von Brustpumpen, Familienfotos mit Kindermädchen, eine Skulptur von Karl Janssen, die Steineklopferin, eine Frau in einem Steinbruch mit daneben liegendem Säugling.

Frauen, die Frauen unterstützen. Frauen, die Fürsorge und bezahlte Arbeit unter einen Hut bringen müssen. Frauen die man bemitleidet, beneidet oder bewundert. Es bleibt den Betrachterinnen überlassen, diese Bilder einzuordnen.

Weitere Informationen
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Von der Heiligen Maria bis zur "Mutti der Nation"

Ein Selbstporträt der Künstlerin Judith Samen von 1997: beim Brotschneiden vor einer bäuerlich gefliesten Wand, in Kittelschürze; das Muster könnte vage an das Mutterkreuz erinnern. Ihr Baby hat sie unter den anderen Arm geklemmt, Popo nach vorne. So lapidar muss Mutterschaft eben auch funktionieren.

Im Kapitel "Die Gute Mutter" dürfen Abbildungen der Heiligen Maria Muttergottes nicht fehlen, gefolgt vom Titel des "Sunday Times Magazines" aus dem Jahr 2021: "Auf Wiedersehen, Mutti".

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte über 16 Jahre Zeit, dem mutmaßlich ironisch verliehenen Spitznamen "Mutti" - und der spießigen Konnotation, die darin mitschwingt - mit mütterlicher Beharrlichkeit zu internationaler Anerkennung zu verhelfen.

Ein Katalog zur Ausstellung in Düsseldorf

Der Bildband "Mama" ist ein Katalog zu einer gleichnamigen Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf. Und dennoch viel mehr als das. Durch die Kapitel zu blättern, ist tatsächlich wie durch eine Ausstellung zu laufen. Man kann die Begleittexte lesen - oder auch nicht. Man kann sich in das einzelne Bild vertiefen oder sich der Flut der Bilder und Abbildungen auf einer Doppelseite hingeben.

Auf einer abgedruckten Postkarte im Buch heißt es in schrillen Farben: "Deine Mutter anrufen und auflegen!" Nach ein paar Blicken in dieses Buch zündet der Witz nicht mehr. Wenn man das Glück hat, eine Mutter zu haben, die man anrufen kann und anrufen möchte, dann will man ihr ganz laut zurufen:

Mama, oo-oo-oo
Didn't mean to make you cry
If I'm not back again this time tomorrow
Carry on, carry on as if nothing really matters Songtext aus "Bohemian Rhapsody" von Queen

Mama

Seitenzahl:
200 Seiten
Genre:
Bildband
Verlag:
Hirmer
Bestellnummer:
978-3-7774-4488-8
Preis:
45 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Sonntag | 11.05.2025 | 12:20 Uhr

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