Konstantin Wecker bei einem Auftritt © Screenshot

Konstantin Wecker über Pazifismus in Zeiten des Krieges

Stand: 01.06.2022 11:30 Uhr

Seit mehr als 40 Jahren zählt er zu den bedeutenden deutschen Liedermachern - der streitbare Dichter und sanfte Revoluzzer Konstantin Wecker. Am 1. Juni ist er 75 geworden.

Konstantin Wecker ist ein wahres Multitalent, der das Auf und Ab im Leben aus eigener Erfahrung kennt. 600 Lieder hat er geschrieben, dazu Filmmusiken, Musicals, Gedichte und Bücher, war als Schauspieler tätig. Am 1. Juni 1947 wurde er in München geboren. Vielen ist er als politischer Liedermacher bekannt.

Konstantin Wecker: "Die Grünen sind sehr abgekommen von all ihren Zielen"

Anlässlich des Krieges in der Ukraine sprach NDR Kultur mit Konstantin Wecker über das Thema: Können wir uns in Zeiten des Krieges noch Pazifismus leisten?

Herr Wecker, wir befinden uns in einer Agenda, die bestimmt ist von schweren Waffen, von Schützengräben, von Artillerie - wo bleiben da die pazifistischen Ideen?

Konstantin Wecker: Die pazifistischen Ideen sind natürlich nach wie vor da, auch wenn sie zum Teil in einem oftmals geradezu völlig irren Shitstorm untergehen. Ich werde mittlerweile als Putin-Freund beschimpft - als Antwort auf mein pazifistisches Credo, das ich veröffentlicht habe, wo ich ganz deutlich sage: 'Ich kann den Pazifismus anderen nicht überstülpen, ich kann ihn nur für mich selbst entscheiden'.

Jemanden wie mich als Putin-Freund zu beschimpfen, ist schon sehr hirnrissig, weil ich als alter Anarcho noch nie ein Freund von Machthabern und Despoten war. Mein ganzes Denken und Singen geht in den letzten Jahrzehnten gegen Machthaber. Ich bin der Meinung, dass es eine Katastrophe wäre, wenn dieser wunderbare Gedanke des Frieden-Schaffens ohne Waffen jetzt zugrunde gehen würde.

Als dieser offene Brief erschienen ist, unterschrieben von vielen Künstlerinnen und Künstlern aus Deutschland, habe ich damals mit Sebastian Krumbiegel von den Prinzen gesprochen und sofort - nicht ganz zu Unrecht - kamen Reaktionen von Hörerinnen und Hörern von NDR Kultur: Was würde der denn machen, wenn es um sein Leben oder um seine Familie ginge? Wie entgegnen Sie dieser Frage aus der Musterung?

Wecker: Das Problem ist, dass - bis auf ganz wenige Ausnahmen - noch nie ein wirklich gewaltloser Widerstand wirklich probiert wurde. Es gibt diese schönen Beispiele, über die leider viel zu wenig in den Medien berichtet wird, wo - auch in der Ukraine, denn es gibt in der Ukraine eine pazifistische Bewegung - Leute mit weißen Fahnen auf sowjetische Soldaten zugegangen sind und diese umgedreht sind.

1943 - das ist leider auch viel zu wenig bekannt - hat die gesamte dänische Bevölkerung 7.000 dänische Jüdinnen und Juden vor dem Mord bewahrt, indem sie sie versteckt haben, indem sie Widerstand gegen die Besatzer geleistet haben. Man muss es auch einmal anfangen. Ich bin vor allem Künstler, ich bin kein Politiker, und ich werde diese Idee weitertragen, denn es ist eine Idee zur Rettung der ganzen Menschheit. Wir müssen irgendwann beginnen, Frieden zu schaffen ohne Waffen.

Im Moment wird zum Beispiel auch die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Sexualität, die Emanzipation in der Ukraine mit Waffen verteidigt. Führt eine Gewaltlosigkeit nicht dazu, dass Putin seinen Willen bekommt?

Wecker: Warum habt Ihr denn alle, die gesamte Presse, nicht annähernd so über den Jemen-Krieg, über Afghanistan, über alle anderen Kriegen gesprochen? Jetzt geht es nur noch um die Ukraine. Krieg ist immer scheiße. Ich bin wirklich bitter enttäuscht. Ich habe zusammen mit vielen anderen gegen den Irak-Krieg demonstriert - wie ist denn dort berichtet worden? Das war auch ein scheußlicher Krieg mit Kriegsverbrechen. Warum wird jetzt nur so einseitig berichtet? Ich höre auch nichts über die russische pazifistische Bewegung, die es auch gibt.

Wo erleben Sie die denn im Moment?

Wecker: Man muss sich nur ein bisschen schlau machen.

Besonders erstaunlich ist es, dass besonders die Grünen im Moment voranschreiten, wenn es zum Beispiel um Aufrüstung in Deutschland oder um die schweren Waffen für die Ukraine geht. Sie waren den Grünen mal sehr verbunden: Wenn sie jetzt einer der Berater wären, was würden Sie raten?

Wecker: Ich war den Grünen sehr verbunden, weil ich Petra Kelly sehr bewundert habe. Petra Kelly war ein völlig anderer Mensch als die heutigen Grünen. Ihre Idee war nicht, eine neue Partei zu gründen, auch wenn wir es gemacht haben, sondern es war eine Bewegung. Die Grünen sind sehr abgekommen von all ihren Zielen. Das große Ziel war doch, den Klimawandel zu stoppen - und Kriege und Aufrüstung sind das Schrecklichste für das Klima und für die Umwelt, was es gibt. Ich kann die Grünen kein bisschen mehr verstehen.

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Woher kommt im Moment dieser Umschwung in den Köpfen von lange Zeit friedensbewegten Menschen?

Wecker: Weil das kriegerische Denken einfacher ist und es sehr gut in unsere machistische, immer noch von Männern beherrschte Welt. Es ist ein patriarchales Denken: kämpfen, kämpfen, kämpfen. Und genau das müssen wir ändern. Wir müssen uns endlich daran gewöhnen, dass wir eine liebevolle, herrschaftsfreie Gesellschaft wollen.

Was für eine Hoffnung verbinden Sie mit der Zukunft im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine?

Wecker: Sie haben gesagt, dass so viele früher friedensbewegte Menschen jetzt kriegerisch wären - das sehe ich nicht so. Ich glaube, dass die, die in den letzten Jahrzehnten wirklich friedensbewegt waren, jetzt nicht zu Kriegern mutieren. Es gibt sehr viele junge Menschen, die zum Teil sehr geschichtsvergessen sind. Sie haben kaum mehr eine Ahnung, wie schrecklich die Diktatur und der Zweite Weltkrieg waren. Ich sehe schon, dass auch in den Medien immer mehr sehr kluge Beiträge auftauchen, die nicht ganz dem Mainstream entsprechen, aber die sehr zum Nachdenken anregen.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 25.04.2022 | 16:00 Uhr

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