Katja Kraus: "Begeisterung muss in den Alltag getragen werden"
Vor einer Traumkulisse von 90.000 Zuschauern fand am Sonntag im Londoner Wembley-Stadion das Finale der Fußball-Europameisterschaft der Frauen statt. England schlug Deutschland mit 2:1.
Eine, die sich im Fußball bestens auskennt, ist Katja Kraus, ehemalige Nationaltorhüterin, Vizeweltmeisterin, Europameisterin und Olympiateilnehmerin. Philipp Schmid hat mit der Sportmanagerin über die neue Begeisterung für den Frauen-Fußball und die Chancen für den Sport gesprochen.
Guten Morgen, Frau Kraus. Wie haben Sie diese 120 Minuten des EM-Finales erlebt?
Katja Kraus: Aufgeregt! Ich war sehr zuversichtlich, dass die deutsche Mannschaft das Spiel gewinnen würde. Ich fand, sie hatten eine gute Einstellung. Natürlich hatten beide Mannschaften sehr viel Respekt, haben etwas anders gespielt als über den Turnierverlauf. Aber ich war eigentlich bis zum Ende zuversichtlich, dass sie es noch drehen.
Es gab einige Situationen auch direkt auf der Torlinie, die für Sie als ehemalige Nationaltorhüterin bestimmt auch spannend waren.
Katja Kraus: Torhüterin ist einfach eine besondere Position. Deshalb habe ich da immer ein besonderes Augenmerk darauf. Aber es ist auch ein Spiel im Spiel, das die allerwenigsten Menschen tatsächlich verstehen.
Wie haben Sie den Geist der Mannschaft über das gesamte Turnier wahrgenommen?
Katja Kraus: Ich fand, die Mannschaft hatte ein herausragend positives Auftreten, sowohl auf dem Platz als auch daneben. Sie waren unheimlich erwachsen, sehr reflektiert, ein exzellenter Teamgeist. Ich war sehr beeindruckt, und ich fand es gestern nach der Niederlage wirklich vorbildlich, wie sich die deutschen Spielerinnen verhalten haben.
Diese Begeisterung hat sich übertragen. Zwölf Millionen war die Einschaltquote beim Halbfinale. Gestern dürfte sie noch deutlich höher gewesen sein. Was muss man tun, um diese Begeisterung zu halten?
Katja Kraus: Ich glaube, diese Begeisterung geht über das hinaus, was es bei diesen Turnieren immer gibt, insbesondere dann, wenn Deutschland erfolgreich ist. Weil endlich wirklich die Qualität des Spiels erkannt wurde. Es war ein fußballerisch tolles Turnier, die Leistungsdichte war gut. Ich glaube, das hat wirklich etwas verändert. Jetzt müssten natürlich eine Menge Dinge passieren, um diese Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten. Dazu gehört insbesondere natürlich eine Stärkung des Liga-Betriebes. Es hilft nicht, wenn alle zwei Jahre, wenn irgendwelche Turniere stattfinden, Begeisterung da ist, sondern das muss tatsächlich auch in den Alltag getragen werden. Dazu braucht es die entsprechenden Vermarktungskonzepte.
Wer müsste da vor allem aktiv werden?
Katja Kraus: Der DFB ist verantwortlich für die Liga und hat jetzt auch Strukturen geschaffen, die Liga zu professionalisieren. Wenn das nicht funktioniert, dann müsste man überlegen, ob nicht die DFL, die die Männer-Bundesliga vermarktet, auch dafür verantwortlich ist, ob man darin etwas verändern muss oder ob es doch gar ein ganz eigenes Konstrukt braucht. Aber in jedem Fall geht es jetzt darum, diesen Rückenwind für die Liga zu nutzen. Und es braucht aus meiner Sicht ein ganz klares Bekenntnis der Klubs zum Frauenfußball. Das könnte definitiv auch eine Anforderung im Lizenzierungsverfahren für die Bundesligaklubs sein.
Sie haben gesagt, es hat sich schon etwas geändert. Also sehen Sie positiv in die Zukunft?
Katja Kraus: Es gab in jedem Fall ein hohes Investment in diesem Jahr, auch seitens der Medien - allerdings nicht aller. Ich habe bei manchen Plattformen lange suchen müssen, bis ich die EM-Ergebnisse fand Da gibt es in jedem Fall noch Nachholbedarf. Aber es war über weite Strecken ein hohes Interesse da. Wenn man das aufrecht erhält, was glaube ich wirklich der Sport gerechtfertigt hat und vor allem diese fantastischen Sportlerinnen, dann ist das in jedem Fall auch ein Versprechen für die Zukunft. Aber wie gesagt nur dann, wenn die Strukturen entsprechend verändert werden.
Sie kennen das Gefühl, Vize-Weltmeisterin, also Zweite zu sein. Sie kennen auch das Gefühl, Europameisterin zu sein. Wie wird es bei den Spielerinnen heute sein? Ab zirka 16 Uhr werden sie am Frankfurter Römer wahrscheinlich frenetisch gefeiert werden. Wann schlägt dieses Gefühl um von der verständlichen Enttäuschung in ein Glücksgefühl?
Katja Kraus: Es ist jetzt so ein Wechselbad. Gewinnen ist definitiv besser. Insbesondere bei diesem Spiel gestern, das für alle ein einzigartiges Erlebnis in ihrer Sportlerinnenlaufbahn gewesen ist. Sicherlich ist das heute am Römer ein reines Glücksgefühl, weil dann das ganze Turnier und das, was man in der Gesellschaft erzeugt hat, deutlich wird. Aber auf der anderen Seite kommen auch diese anderen Momente immer wieder, das Nachdenken über vergebene Chancen, das Gefühl, was wäre eigentlich, wenn wir gewonnen hätten? Das wird sich jetzt noch eine ganze Weile abwechseln.
Das Gespräch führte Philipp Schmid.
