Moderator Axel Naumer © NDR / Dirk Uhlenbrock
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AUDIO: Axel Naumer über Satire und Kabarett in Krisenzeiten (15 Min)

Axel Naumer über Satire und Kabarett in Krisenzeiten

Stand: 25.10.2022 13:07 Uhr

Darf man in Krisenzeiten über manche Themen keine Satire schreiben und keinen Scherz machen? Ein Gespräch mit dem Satiriker Axel Naumer, bekannt aus den Radiosendungen Intensiv-Station oder WDR 5 Satire Deluxe.

Wie hat sich Euer Umgang mit den Themen der Gegenwart verändert?

Axel Naumer: Wir sind in einer Dauerkrise und überlegen uns jedes Mal, was wir machen. Aber die Frage, ob wir nichts machen, taucht nicht auf, wie das zum Beispiel nach den Angriffen auf das World Trade Center der Fall war: Da hat die Satire für zwei Wochen geschwiegen. Dann kamen Harald Schmidt, Stefan Raab und die damaligen Größen mit ihren Sendungen wieder zurück. Heute ist das im Radio gar nicht die Frage. Die Reaktion der Hörer, für die wir es letzten Endes machen, ist auch ganz interessant. Die sagen: Zum Glück kann man wenigstens für ein paar Minuten in der Woche auch mal lachen. Ich erinnere mich an eine Frau, die in ihrem nassen Keller im Ahrtal saß und sagte, sie müsse jetzt leider doch lachen, obwohl ihr überhaupt nicht danach sei, und sie wollte sich dafür bedanken. Das ist eine ganz andere Art von Satire-Wirkung, als man es vielleicht im Politischen denkt, aber es ist eben auch eine. Insofern ändern wir gar nicht viel.

Was macht politische Satire im Moment? Ist es eine Ablenkung? Ist es eine Zuspitzung? Ist es eine Form des Protests?

Naumer: Bestenfalls alles auf einmal, noch besser: in einem Satz, in einer Pointe, was natürlich nicht geht. Auf der einen Seite ist es Unterhaltung, weil Satire aus der Unterhaltung kommt und schon immer unterhaltend und künstlerisch war. Das andere sind Leitartikel, Analysen und Ähnliches, und es gibt Kabarett- oder Satiresendungen, die das im Moment machen. Wenn ich Carolin Kebekus sehe, die etwas über die Lage der Frauen im Iran, über die revolutionäre Stimmung dort macht, dann ist das eigentlich kein Kabarett mehr, sondern es könnte auch eine Magazinsendung sein. Es kommen zwei Talkgäste, darunter die Außenministerin und eine Journalistin, die interviewt werden. Das ist eigentlich keine Satiresendung mehr. Ich finde, Satire sollte in dem Sinne unterhaltend sein, dass es lustig ist, dass es nicht langweilt, dass es anregend ist, dass es vielleicht eine neue Perspektive zeigt. Manche Kollegen möchten im Moment ihre Popularität nutzen, um auf ein Thema aufmerksam zu machen, um es zu vertiefen, um Haltung zu zeigen.

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Viele der Formate, die man gerade in den Medien sieht, haben sich sehr verändert: In "Die Anstalt" kriegt man Recherchen vor den Latz geknallt; Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" präsentierte Rechercheergebnissse zu BSI-Präsident Arne Schönbohm. Was denkst du über so ein hartes Format?

Naumer: Das ist gar nicht so hart. Der Inhalt ist natürlich hart, und das kann es bei Satire auch immer sein. Die machen eine Recherche, und dann machen sie daraus etwas Lustiges. Das ist vor 30, 40 Jahren auch schon so gewesen, zum Beispiel Dieter Hildebrandt mit seinem "Scheibenwischer" über den Rhein-Main-Donau-Kanal. Die haben recherchiert, was da für eine Umweltsauerei mit diesem Kanal passiert. Ist er sinnvoll? Ist er wirtschaftlich? Welche Interessen stecken dahinter? Wer hält die Hand auf? Wie laufen die Bestechungen? Da wurden Namen genannt, das war ein Riesending damals. Das fußte auf einer "Stern"-Reportage. Und ähnlich arbeitet Böhmermann ja auch, er arbeitet mit anderen Recherchenetzwerken zusammen. Dann aber kommt das Künstlerische dazu, was es von "Monitor" oder "Panorama" unterscheidet: Jetzt muss es witzig werden, jetzt muss es einen Gag, einen Dreh kriegen. Dann ist es eine Satiresendung. Sonst ist es ein Magazin.

Ich finde es gut, dass das passiert, weil Zuschauer nicht unbedingt die vorher genannten Politmagazine gucken. Böhmermann ist da ganz vorne dran. Oliver Welke versuchte es ab und zu in der "heute-show". In den USA ist es in Late-Night-Shows sehr üblich, seit John Stewart das gemacht hat. Natürlich geht das, ich finde es gut.

Braucht es diesen zusätzlichen Reiz, diese künstlerische Umsetzung, damit das zielgenau ankommt? Einer der größten Steuerskandale der Geschichte, Cum-Ex, ist weitestgehend verhallt, aber die Böhmermann-Recherche hat offensichtlich sofort getroffen.

Naumer: Über Cum-Ex sagt man, das sei eine komplizierte Sache, und da gebe es auch nicht die eine Person und so weiter. Natürlich ist eine Zuspitzung immer hilfreich, das macht man im normalen Journalismus ja auch: Am besten ist es, wenn man eine Person oder eine Institution hat, die man attackieren kann. Bei Cum-Ex waren es diese Überweisungen - das ist nicht besonders sexy und ein bisschen kompliziert zu erklären. Deswegen ist das nicht so ein großer Skandal geworden. Aber wenn der Bundeskanzler involviert wäre, weil er irgendetwas weiß oder irgendetwas vergisst, dann ist es natürlich plötzlich wieder ein Skandal. Das ist eigentlich normales Handwerkszeug.

Diese Recherche über Schönbohm ist nicht wirklich neu gewesen, das gab es auch schon in Zeitungen zu lesen. Aber Jan Böhmermann hat es mit seinen Mitteln, mit der Satire, zugespitzt. Er hat der Sache Tempo gegeben, er hat es personalisiert, er hat es witzig gemacht. Er hat oft den zweiten Satz weggelassen, das ist in der Satire eine ganz wichtige Sache: Man muss den zweiten Satz nicht immer dazusagen, das macht das Publikum. Man muss etwas insinuieren: "Guck mal, das ist aber seltsam." Und dann denken die Leute: "Stimmt, das ist ja wirklich seltsam."

In unserer Gesellschaft sind wir nicht mehr in allen Dingen einer Meinung. Das beste Beispiel ist, wenn eine meiner jüngeren Kolleg*innen sich hinreißen lässt, von "NDR Kultur Hörer*innen" zu sprechen - dann klingelt der Messenger im Studio. Umgekehrt ist es aber auch so, wenn ein älterer Literaturredakteur von "Lesern" spricht - dann ist der Unmut auch groß. Wie ist das bei Satire im Radio? Müsst Ihr vorsichtig sein, gewisse Dinge zu sagen?

Naumer: Bisher nicht. Ich finde es erst mal toll, dass auch NDR Kultur einen Messenger im Studio hat. Wir machen einfach keine Stopps, wir sind nicht nervös. Einen Kabarettisten mit Migrationshintergrund nicht fragen zu dürfen, wo er herkommt, weil das schon diskriminierend ist - das ist Quatsch, finde ich. Es ist ja immer die Frage, warum man das fragt, was der Hintergrund dieser Sache ist. Diese Sprachpolizei, die sagt, dass man gewisse Dinge nicht mehr sagen darf - das ist mir einfach zu viel. Wo sind wir denn, dass man bestimmte Begriffe nicht mehr benutzen darf? Man muss das doch in den Zusammenhang stellen dürfen. Dann kann man einen Begriff benutzen oder nicht. Ich kann doch auch sagen: "Du bist ein netter Kerl", aber die Frage ist, in welchem Zusammenhang ich das sage. Das kannst Du auch unter Umständen als schwere Beleidigung empfinden.

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In den letzten Jahren hat in Comedy und Kabarett ein gewaltiger Generationswechsel stattgefunden. Wie geht die junge Generation mit all diesen Themen, mit diesem großen Begriff "wokeness" um?

Naumer: Auf der Kabarett-Bühne sind manche vorsichtig, es wird vieles nicht gesagt. Ich weiß, dass viele Kollegen von bestimmten Themen die Finger weglassen. Islamkritik war vor Jahren mal ein großes Thema im Kabarett. Dann hieß es immer: "Die katholische Kirche kritisiert ihr, aber was da im Islam los ist, das nicht." Das muss jeder selber entscheiden, wozu er sich äußern will. Hat er genug Kenntnisse, um etwas dazu zu sagen? Aber Angst haben, ein Thema aufzugreifen, sollte man nicht. Man muss überlegen, was die eigene Haltung dazu ist und ob man das Handwerkszeug dazu hat, daraus etwas Unterhaltsames zu machen.

Der große Dieter Hildebrandt ist 2013 gestorben, Georg Schramm und Volker Pispers haben ihre Karrieren beendet. Zu der Zeit habe ich gedacht, dass da nicht mehr so viel nachkommt. Mittlerweile sieht das ein bisschen besser aus, oder?

Naumer: Ja. Wie immer im Kabarett, gilt: Seit es das Kabarett gibt, ist es ja tot. Die Leiche lebt aber noch sehr gut. Natürlich kommen immer wieder welche nach, lesen die alten Meister und machen ihres draus und entwickeln es weiter. Das ist in jeder Kunstrichtung so. Es kommt eine junge Generation, die jetzt auch sagt: "Wir wollen keine Comedy mehr. Wir wollen jetzt wirklich wieder etwas sagen, wir haben ja Themen, uns drückt was." Natürlich ist die Klimakrise ein großer Anreiz dazu. Der Krieg in Europa und alles, was damit zu tun hat, alle Krisen, die wir haben, Corona - all das rüttelt die Leute auf und lässt sie vielleicht auch politischer werden, was meine Hoffnung wäre. Daher mache ich mir keine Sorgen um das politische Kabarett. Es ist eher die Frage, ob es in den Medien genug auftaucht.

Als ich ein Kind war, da hat Dieter Hildebrandt noch völlig problemlos für die SPD Wahlkampf machen können. Das wäre heute undenkbar, dass jemand das täte. In der derzeitigen Situation, nach Jahren Großer Koalition und jetzt einer Ampel-Regierung - wie spannt sich das Ganze eigentlich politisch auf?

Naumer: Ich glaube, die Zeit des parteipolitischen Kabaretts ist eher vorbei. Dass man grünes Kabarett macht, oder pro Rot-Grün oder so. Ich glaube, das geht jetzt eher über die Themen. Viele machen Kabarett über ihr Anliegen und weniger, dass man zu 100 Prozent für die SPD ist. Wenn man politisches Kabarett macht, kritisiert man Parteien, Politiker und oder andere Personen, die im öffentlichen Leben handeln - aber als "Partei-Soldat" ist es schwierig.

Max Goldt schreibt heute lange Texte über das Gendern, über die ich sogar schmunzeln kann, wo ich aber auch nicht verstehe, dass man sich so darüber aufregen muss. Oder in seiner Sendung im Ersten sagt Dieter Nuhr:

"Greta (...) Thunberg (...) hat auch nicht begriffen, warum Grüne jetzt lieber Kohle und Öl verbrennen, als Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen, die eh schon da sind. Das fand ich erstaunlich unideologisch. Vielleicht hat es doch Vorteile, wenn man Menschen erst dann zum Messias verklärt, wenn sie das Erwachsenenalter erreicht haben. Jesus war ja auch schon 30. Allerdings auch dann gebe ich zu bedenken, dass Erlöser in der Geschichte am Ende oft gekreuzigt wurden." Dieter Nuhr

Ich bin da ganz hin- und hergerissen, denn ich denke auch: Warum sollen die Leute, die vielleicht nicht so nah bei den Grünen stehen, nicht auch mal über so etwas lachen dürfen?

Naumer: Es gibt tatsächlich ein Phänomen, das mir auffällt: Über dieses "Kabarett der Anliegen" neigen die Protagonisten manchmal sehr zum Predigen. Und dazu neigt Dieter Nuhr auch. Natürlich kann er seine Meinung haben, er kann sie auch im Fernsehen vertreten, und er vertritt sie ja auch lange und breit. Die Frage ist: Gibt es noch ein paar andere Stimmen an so prominenten Sendeplätzen, die nicht das vertreten, was Dieter Nuhr und seine Gäste erzählen? Sieht man noch andere Kabarettisten zur Hauptsendezeit in der ARD oder immer nur einen kleinen Kreis? Aber das ist vielleicht eine Diskussion, die man an einer anderen Stelle mal führen muss.

Natürlich kann man Greta und ihr Anliegen kritisieren. Man kann auch das Klima kritisieren und sagen: Es ist mir hier zu heiß auf der Welt. Man kann auch sagen: Wenn der Asphalt schmilzt, soll man halt Schuhe anziehen. Wenn die politische Debatte seiner Meinung nach auf diesem Niveau zu laufen hat, dann soll er das machen. Aber klar, wir sollen keine Götter haben - das ist im Kabarett eigentlich auch immer ein Anliegen. Wenn man sagt, Greta ist eine mächtige Person in bestimmten Kreisen, dann ist Greta auch anzugreifen. Aber auch Dieter Nuhr.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 25.10.2022 | 16:15 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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