Zeitumstellung: Gebt mir Sommer - 365 Tage im Jahr!
In der Nacht zum 30. Oktober wurde von Sommer- auf Winterzeit umgestellt, die Uhr musste von drei auf zwei Uhr gestellt werden. Zwei Meinungen pro- und contra Zeitumstellung aus der NDR Kultur Redaktion.
Vielen macht die Zeitumstellung zu schaffen. Daher fordert NDR Kultur Redakteur Jürgen Deppe: Schafft endlich die Umstellung zweimal im Jahr ab!
Die Zeitumstellung nervt zweimal im Jahr kolossal
Die Zeitumstellung zwei Mal im Jahr nervt kolossal. Umso mehr, da wir längst wissen, dass sie nichts bringt. Als sie angesichts der damaligen Energiekrise 1978 im Bundestag beschlossen und 1980 zum ersten Mal in Deutschland umgesetzt wurde, lebte man noch in dem Irrglauben, man spare damit Energie, wenn es im Sommer eine Stunde länger hell bleibt und noch kein Licht eingeschaltet werde muss.
Heute wissen wir: Das war Mumpitz. Im Gegenteil: Der mittlerweile mehr als achtzig Mal durchgezogene, enorme technische und organisatorische Aufwand bei jeder einzelnen Umstellung ist nicht energiesparend, sondern -fressend.
Mehrheit der Bevölkerung ist für Normalzeit
Fragen Sie mal Menschen, die kleine Kinder haben, oder welche mit einem ganzen Hof voller Vieh. Da werden Sie aus nachvollziehbaren Gründen kaum Fans der Zeitumstellung finden. Wer - im Gegensatz zu mir - einen sehr regelmäßigen Tag-Nacht-Rhythmus hat, spürt es ja zwei Mal im Jahr am eigenen Leib: die Umstellung ist ein ums andere Mal ein tagelanger Kraftakt.
Die Mehrheit hat sich längst dafür ausgesprochen, jene Zeit für die Normalzeit zu nehmen, in der es abends länger hell ist. Und nur weil das, was wir die "Sommerzeit" nennen, bis vor 42 Jahren die Ausnahme war, (was wir heute Winterzeit nennen ist die "Normalzeit"), können wir uns auf europäischer Ebene bis heute nicht darauf einigen, die von der Mehrheit gewünschte, auch von mir persönlich bevorzugte Zeit zur Normalzeit zu erklären. Das allein ist schon blödsinnig genug. Dass wir wegen unserer Unentschiedenheit aber auch noch zwei Mal im Jahr hin und her switchen müssen, ist dämlich.
NDR Kultur Redakteur Ludwig Hartmann kann der Umstellung im März und im Oktober im Gegensatz zu vielen Menschen eine Menge abgewinnen. Er freut sich sogar darauf und empfindet besonders jedes Jahr im März andauernde Freude und Erleichterung.
Ein Plädoyer für die Zeitumstellung: Wunderbar lange Sommerabende
Die Szene bleibt mir, LH, unvergessen: Christianeum Hamburg, Anfang des Jahres 1980. Der allen Klischees entsprechende, nicht nur leicht verschrobene Latein- und Alt-Griechisch Lehrer Dr. S. eilt aufgeregt auf mich, damals Schülersprecher, zu. "Sie müssen etwas tun! Ich werde ab dem Frühjahr nur noch unausgeschlafene Schüler vor mir haben!". Es drohe eine schulische Katastrophe.
Ich versuchte den Lehrer zu beruhigen, doch vergebens. Mit Dr. S. ruhig zu sprechen war nicht möglich, nun sollte der Schüler H. aus Hamburg es also mit Europa aufnehmen? Wie unglaublich rührend dieser Gedanke schien, konnte und wollte der Schüler H. dem aufgeregten Lehrer Dr. S. nicht vermitteln, denn Logik hätte die De-facto-Absurdität des Wunsches gnadenlos offenbart und Dr. S. schlicht blamiert.
Diskussionen um Zeitumstellung ziehen sich durch vier Dekaden
Und was ist in den folgenden 42 Jahren von 1980 bis 2022 geschehen? Die Diskussionen um die Zeitumstellung ziehen sich wie rote Fäden durch die vergangenen vier Dekaden. Der scheinbar kraftvolle Beschluss der Europäischen Kommission im Jahr 2018, die Umstellung zu beenden, hat daran nichts verändert. Was ansonsten meist Ärgernis bedeutet, europäische Uneinigkeit, Langsamkeit bis zur Blockade, verheißt für den ehemaligen Schüler und heutigen NDR Redakteur H. andauernde Freude und Erleichterung.
Warum? Nun, wohl sämtliche Argumente pro und contra sind über die Jahrzehnte abgewogen, ausgetauscht oder sich teils nur um die Ohren gehauen worden. Es wäre ein Leichtes, Bekanntes neu aufzuzählen und gegebenenfalls unversöhnlich aufzurollen. Woher die große Zuneigung Hs, also von mir, zur jährlichen Zeitumstellung in Frühjahr und Herbst?
Helligheit bis nach 22 Uhr: Herrlich!
Mit dem letzten Märzwochenende startet für mich sozusagen der Sommer. Schlagartig ist es abends deutlich länger hell. Anstatt Sonnenuntergang 18.43 Uhr am 26. März heißt es (in Hamburg) am 17. März: Sonnenuntergang 19.45 Uhr. Und der Sonnenuntergang verschiebt sich zur Sonnenwende in Hamburg bis auf 21.53 Uhr. Helligkeit bis weit nach 22 Uhr! Sogar nach Konzert- und Theaterbesuchen ist es in aller Regel noch hell. Sommer-Erleben, herrlich! Vom hellen Sommer im höheren Norden ganz zu schweigen.
Natürlich, auch der Sonnenaufgang verschiebt sich nach hinten. Er ist erst um 4.49 Uhr, anstatt um 3.49 Uhr. Doch diese so besonders schöne, frühe Tageszeit (herrlich, wenn man sie, wie ich, vielleicht ein- oder zweimal im Jahr in der Natur erlebt) verschlafe ich zu 99 Prozent sowieso. Den Abend hingegen bekomme ich tagtäglich sehr bewusst mit: mit den so sehr schönen langen Abenden.
Der letzte Sonntag im März ist also für mich absoluter Feiertag mit größter seelischer Freude. Und den letzten Sonntag im Oktober rede ich mir letztlich auch Jahr für Jahr schön. Schließlich erlebe ich den Tag stets so ausgeschlafen wie selten. Und die folgenden langen Abende haben auch ihre Schönheiten.
Noch einmal: Die Argumente pro und contra sollen hier nicht wiederholt werden. Keine Einflüsse auf Biorhythmen, extreme Zeiten für Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge in den Randgebieten Europas oder anderes.
Ich darf meinen Feiertag im März dank europäischer Langsamkeit vorerst weiter begehen und dem unvergessenen Dr. S. auf seiner Wolke zurufen: "Die Schüler kommen auch im Herbst 2022 noch mit geöffneten Augen in die Schule und sind durch ihre Wochenendaktivitäten in aller Regel ungleich stärker aufmerksamkeitslädiert als von der halbjährlichen Zeitumstellung."