Welt-AIDS-Tag: Filmemacher Rosa von Praunheim im Gespräch
Der Welt-AIDS-Tag soll die Solidarität mit Erkrankten fördern und deren Diskriminierung entgegenwirken. Dafür kämpft seit Jahrzehnten auch der Filmemacher Rosa von Praunheim.
Herr von Praunheim, vor 25 Jahren ist ein Medikament entwickelt worden, mit dem eine HIV-Infektion zwar nicht geheilt, aber immerhin behandelt werden kann. Ist seither Zurücklehnen angesagt?
Rosa von Praunheim: Ich glaube, es ist in den meisten Fällen keine tödliche Krankheit mehr. Man hat Medikamente - aber das heißt trotzdem, dass der Körper durch Medikamente geschädigt wird und dass es nicht sehr erstrebenswert ist, sich mit HIV anzustecken.
Der erste Teil Ihrer AIDS-Trilogie hieß "Schweigen = Tod". Sie haben das Schweigen gebrochen und sich damit wahrlich nicht nur Freunde gemacht. Wie schätzen Sie das gesellschaftliche Klima heute ein? Hat sich das in den letzten 30 Jahren zum Positiven verändert?
von Praunheim: Ja, sicher. 1981 wurde zum ersten Mal in der "New York Times" über AIDS geschrieben. Damals wusste man noch nicht, was das für eine Krankheit ist, aber die sehr wahrscheinlich hauptsächlich Schwule betrifft, Bluter, Junkies und so weiter. 1983 schwappte das auch nach Deutschland über - und da wurde ich auch sehr hellhörig. Ich war damals in Amerika, habe die ersten Toten miterlebt und war sehr alarmiert. 1985 habe ich den ersten Film gemacht: "Ein Virus kennt keine Moral" - ganz bewusst eine Komödie, um mit Humor für Safer Sex zu werben. Ende der 80er-Jahre habe ich zwei weitere Filme gemacht: "Schweigen = Tod" und "Positiv", eine politische Richtung von "Act Up". 1991 habe ich noch einen Film in Berlin über die Situation hier gemacht. Diese Filme waren zum Teil voller Wut, weil sich viele nicht "safe" verhielten und die Krankheit verharmlosten.
Wie war die Reaktion im bürgerlichen Milieu?
von Praunheim: AIDS betraf ja hauptsächlich schwule Männer und wurde hauptsächlich über Analverkehr übertragen. In Afrika war das auch ein großes Problem, weil dort die gesundheitliche Versorgung sehr schlecht ist und es da viele Vorerkrankungen gab. Aber hier in Mitteleuropa waren es hauptsächlich schwuler Männer, und für Heterosexuelle war es schwierig, sich anzustecken. Insofern haben viele zynisch reagiert und gesagt: "Das betrifft die Schwulen - dann sollen sie sich selbst ausrotten." Tragisch fand ich nur, dass viele Schwule, auch viele prominente Schwule, das nicht so ernst genommen haben.
Haben Sie bei diesen Menschen einen Sinneswandel bis heute feststellen können - womöglich auch ausgelöst durch Ihre Filme?
von Praunheim: Ich habe unheimlich viel gemacht: Ich habe Filme und Hörspiele gemacht, ich hatte sehr viele Auftritte und habe Zeitungsartikel geschrieben. Dadurch habe ich mir sehr viele Feinde gemacht, weil eine bestimmte Meinung war, dass jeder das Recht auf AIDS hat, und nicht das Virus ansteckend ist, sondern die Presse, die Panik schafft. Und wenn man sich diesen Safer-Sex-Geschichten zu sehr beugt, dann werden die Leute unter Umständen Homosexualität ganz abschaffen. Das waren damals die Diskussionen, und da war ich recht wütend dabei.
Wie nehmen Sie bis heute die Stigmatisierung von HIV-Infizierten wahr unter dem Teil der Bevölkerung, der überhaupt nichts damit zu tun hat? Da heißt es doch bis heute: "Pfui Teufel!" Oder hat sich das wenigstens geändert?
von Praunheim: Da hat sich viel geändert. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die, die sich als HIV-positiv geoutet haben, viel weniger diskriminiert wurden. Das gilt auch für die Leute, die stolz sagen, dass sie schwul sind, als die, von denen man es gerüchteweise annimmt. Ich finde, das beste Mittel ist, mutig nach außen zu gehen. Da haben die AIDS-Hilfen auch ganz viel dazu beigetragen, die viel Aufklärung gemacht haben - aber meiner Meinung nach nicht genug. Da hat sich vieles zum Positiven gewandelt.
In diesem Jahr spricht alles von Corona. Haben Sie das Gefühl, dass im Moment die Aufmerksamkeit woanders hingezogen wird und der Kampf gegen das HI-Virus darunter leidet?
von Praunheim: Ich sehe heute nicht mehr diese Notwendigkeit im Kampf gegen den HI-Virus. Wir haben die Mittel, und es ist natürlich immer wichtig, Aufklärung zu betreiben. Wenn sich die HIV-Erkrankten zusätzlich mit Corona anstecken, ist das eine doppelte Belastung. Aber erstmal ist die große Gefahr die Ansteckung mit Corona.
Das betrifft uns in der westlichen Welt. Aber es gibt mehr als zehn Millionen AIDS-Infizierte weltweit, und die allermeisten haben keinen Zugang zu diesen Medikamenten. Da hilft ein Tag wie dieser, um darauf aufmerksam zu machen. Haben Sie irgendeine Idee, wie da schnellstmöglich Abhilfe geschaffen werden kann?
von Praunheim: Das ist sehr schwer. Die gesundheitliche Situation in Afrika oder in anderen armen Ländern ist katastrophal. Das betrifft nicht nur AIDS, sondern überhaupt gesundheitliche Versorgung, Armutsbekämpfung, Kindersterblichkeit. Natürlich haben wir auch die Verantwortung für diese Länder, zum Beispiel dass wir Gelder rüberschicken und dass wir es möglich machen, dass HIV-Medikamente dort umsonst eingesetzt werden können.
Das Interview führte Jürgen Deppe.
