Pieke Biermann © dpa - Report Foto: Karlheinz Schindler

Übersetzerin Biermann: "Man muss gelegentlich auch etwas erfinden"

Stand: 30.09.2022 15:22 Uhr

Am Internationalen Übersetzertag geht es darum, die Kunst und das Handwerk derer zu rühmen, die oft im Hintergrund wirken, ohne die es aber keine Weltliteratur gäbe.

Pieke Biermann, eine der renommiertesten deutschsprachigen Übersetzerinnen, spricht im Interview über Armutshonorare, über den sensiblen Umgang mit historischen Werken und warum das Übersetzen schwieriger Texte für sie fast etwas Erotisches hat.

Frau Biermann, ist das literarische Übersetzen eher Kunst oder eher Handwerk?

Pieke Biermann: Es ist natürlich immer beides, aber die Gewichtung zwischen beiden ist ein bisschen unterschiedlich, je nachdem, was man übersetzt. Es gibt Sachbücher, Reportageartiges, Journalistisches, da ist sicher mehr Handwerk nötig und auch Effizienz. Man kennt das Sujet und kennt die Wörter auf Deutsch. Kunst wird es natürlich bei Literatur, die sich selber als Kunst versteht. Und dann muss man auf Augenhöhe operieren, nämlich auch kunstvoll.

Das ist also ein wahnsinnig großer Aufwand, so einen literarischen Text zu übersetzen. Gemessen daran fällt aber nicht immer so viel Glanz auf die, die das tun und auch der Verdienst ist nicht hoch. Warum sind Sie trotzdem gerne Übersetzerin?

Biermann: Das kann man nicht so richtig erklären - man hat eine Leidenschaft. Ich wollte aber ein bisschen richtig stellen, dass wir etwas sichtbarer werden in den letzten Jahren - dank jahrzehntelanger Kämpfe, die wir selber geführt haben. Übersetzer und Übersetzerinnen sind nicht mehr komplett unsichtbar. Es gibt immer mehr Verlage, die dazu übergehen, die oft sogar offen auf dem Titel mit dazu zu schreiben. Das ist schon mal sehr schön. Und das mit dem Geld hat sich auch leise verbessert, weil es ein BGH-Urteil dazu gibt. Aber das ist immer noch viel zu wenig, es sind Armutshonorare, die man da kriegt. Aber warum schreibt man und wird auch nicht reich damit? Das ist eine Leidenschaft - die hat man oder man hat sie nicht. Und dann muss man irgendwie sein Leben so einrichten, dass das hinhaut.

Eine Leidenschaft, für die es auch manchmal große Preise gibt. Als Ihr Meisterwerk gilt bis dato "Oreo" von Fran Ross, ausgezeichnet 2020 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse. Das Ganze ist eine wilde afroamerikanisch-jüdische Geschichte, in der es um eine Vatersuche in New York geht, erzählt in halsbrecherischem Tempo, viele Anspielungen, doppelte Böden, viele Dialekte. Wenn man vor so einem Text steht, scheint das nicht erst mal eine unmögliche Aufgabe zu sein, den zu übersetzen?

Biermann: Aber das ist doch gerade reizvoll. Sachen, die man routiniert erledigen kann, sind doch langweilig. Geht Ihnen das nicht auch so? Ich finde eine Herausforderung genau das Richtige. Das hat auch fast etwas Erotisches: Schaffe ich das? Komme ich damit klar? Wir setzen uns auseinander, ich und der Text. Schön.

Harry Rowohlt, einer ihrer berühmten Kollegen, hat das auch mal so formuliert: "Wenn etwas unübersetzbar ist, dann fängt der Spaß erst an."

Biermann: Genau, so sehe ich das auch. Ich glaube auch nicht, dass irgendetwas unübersetzbar ist. Man muss sich nur etwas einfallen lassen.

Für Karl Kraus hieß "übersetzen" immer "üb' Ersetzen", probiere das, was du nicht eins zu eins übertragen kannst, irgendwie anders zu sagen.

Biermann: Ja, man muss gelegentlich auch etwas erfinden. Es gibt Sprachformen, Sprachstile, die es auf Deutsch nicht gibt. Die kann man nicht einfach eins zu eins übersetzen oder parallelisieren. Denen muss man sich anverwandeln und etwas auf Deutsch finden oder sogar erfinden, was dieselbe Atmosphäre, Emotionalität, Spannung, Rhythmik, Musik nachbildet oder abbildet. Darum geht's.

Zuletzt gab es eine große Diskussion darum, wer was übersetzen darf. Es ging um die Übersetzung von Romanen aus afroamerikanischen Kontexten. Die ursprüngliche niederländische Übersetzerin von Amanda Gorman hatte den Auftrag wieder zurückgegeben, nachdem kritisiert worden war, dass eine Weiße Gedichte einer Schwarzen übertragen sollte. Auch bei Ihnen ist das ein Thema: Fran Ross, Gail Jones sind beide People of Color. Wie nehmen Sie diese Diskussion wahr?

Biermann: Und Ann Petry nicht zu vergessen - die habe ich zwischendurch auch noch übersetzt. Das sind lauter afroamerikanische Autorinnen, die historisch sind, aber hoch gegenwärtig mit dem, was sie geschrieben haben. Die haben entweder in den 40er-, 50er-Jahren oder in den 70er-Jahren geschrieben. Das, was ich da als Vorlage, als Text kriege, ist von seiner Zeit geprägt, das hat den Kontext seiner Zeit. Es spiegelt sich darin wieder, wie man damals gesprochen hat, zum Beispiel als schwarze, afroamerikanische Schriftstellerin. Da kann ich nicht hingehen und sagen, ich weiß das besser, weil ich heute den Befehl gekriegt habe, bestimmte Wörter nicht mehr zu benutzen. Das geht nicht. Sensibel sein und verantwortungsvoll umgehen kann man nur, indem man den Originaltext ernst nimmt. Darum geht es - und um nichts anderes.

Ist Ihnen das trotzdem auch mal begegnet, dass jemand gesagt hat, Sie könnten das gar nicht, Sie wären nicht die Richtige dafür?

Biermann: Nein, das ist mir noch nie begegnet. Auch die niederländische Übersetzerin hat sich zurückgezogen, weil sie wahrscheinlich überhaupt gar keine Lust hatte auf so eine Art von Auseinandersetzung. Insofern muss das kein politisches Statement von ihr gewesen sein. Ich habe immer mit Verlagen zu tun, die damit sehr verantwortungsvoll umgehen, indem sie das ernst nehmen: Warum bringen wir diese Bücher jetzt neu raus? Weil die damals geschriebenen Texte uns heute etwas zu sagen haben. Wir müssen aber das, was die damals geschrieben haben, auch wirklich rüberbringen. Die Frage gibt es nicht. Ich bin da einig mit ganz vielen meiner Übersetzerkollegen und -kolleginnen, den richtig guten, die das genauso sehen. Aber ich weiß genau, dass das konträr zu dem steht, was neuerdings in Verlagen gerne mal praktiziert wird, wo es plötzlich Geld für Leute von außerhalb gibt, die "sensitive reading" machen, aber nicht genug Geld für ordentliche Honorare für Übersetzer. Das ist doch pervers. Wenn man jemanden funktional dransetzt, dann ist es außerliterarisch - was soll das?

Woran arbeiten Sie momentan?

Biermann: Am zweiten Roman von Gail Jones: Der heißt "Evas Mann" und wird nächstes Jahr erscheinen. Der ist wieder sehr brutal, man könnte fast sagen, das ist gewalttätige Literatur, die einen umhaut, die einen reinreißt. Da bin ich in gerade in der Polierphase.

Das Gespräch führte Jan Wiedemann.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 30.09.2022 | 16:45 Uhr

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Romane

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