Eine Frau schaut skeptisch auf ihren Nachbarn, der die Gartenhecke stutzt. © picture alliance / photothek | Thomas Trutschel

Mediator Matthias Wilhelm über Nachbarschaftsstreite

Stand: 20.05.2022 13:56 Uhr

Konflikte unter Nachbarn reichen von kleinen Zankereien bis hin zu massiven Konflikten, die vor Gericht landen. Mediator Matthias Wilhelm muss oft schlichten.

Am "Tag der Nachbarn" schauen wir auch mal auf die schattige Seite des gemeinsamen Gartens. Einer, der beruflich viel mit Nachbarschaftsstreiten zu tun hat, ist der Mediator Matthias Wilhelm aus Göttingen.

Erzählen Sie mal, Herr Wilhelm, wer kommt da wann zu Ihnen?

Matthias Wilhelm: Zu mir kommen Menschen, die miteinander im Konflikt sind und die Unterstützung dabei suchen, selbstverantwortlich eine Lösung für einen Konflikt zu suchen und zu finden. Dann sind sie bei einem Mediator und bei mir richtig.

Und was sind da so die Top-Five der Nachbarschaftsstreitigkeiten? Der Baum, der über den Zaun wächst, der Maschendrahtzaun ...

Wilhelm: Ja, in der Tat vor allen Dingen zwischen Grundstücksnachbarn, also Eigentümern oder Mietern, die ein Haus mit Garten haben. Das ist tatsächlich der Abstand des Baumes zum Zaun und dann die Frage: Ist denn der Zaun auch direkt auf der Grundstücksgrenze? Grill-Gerüche sind ebenso Thema. Bei Wohnungsmietern sind es dagegen vor allem Lärm, der Umgang miteinander im Treppenhaus, wo Dinge abgestellt werden und Verschmutzungen.

Gibt es einen bestimmten Fall, der Ihnen da besonders in Erinnerung geblieben ist?

Wilhelm: In der Tat, das war, meine ich, im zweiten Lockdown. Im ersten Lockdown waren die Menschen in meiner Wahrnehmung sehr rücksichtsvoll miteinander und haben auf sich gegenseitig aufgepasst. Im zweiten Lockdown sind die Masken dann etwas gefallen und Konflikte aufgetreten. Und ich erinnere mich, dass unterschiedliche Lebenswirklichkeiten zeitlich und räumlich auf einmal zusammengekommen sind: Z.B. dadurch, dass das Kind dann halt nicht mehr in der Schule war und der Vater zu Hause gearbeitet hat. In dem einen Fall einer Mutter hat sich ein Rentnerehepaar sehr darüber geärgert, dass das Kind der Nachbarn in einem Mehrparteienhaus jeden Tag fleißig Klavier übt. Und es war wohl noch nicht so richtig gut im Klavierspielen. Diesen Konflikt werde ich nicht vergessen.

Wie gehen Sie denn damit um? Sagen Sie dann: Gut, Klavier üben muss sein, Ruhe muss auch sein - vielleicht einigen wir uns auf ein paar Stunden. Oder wie geht man da vor?

Wilhelm: In dem Fall war es eine Shuttle-Mediation. Das heißt, die Parteien haben nicht miteinander an einem Tisch gesessen, sondern ich habe immer wieder getrennt nacheinander mit ihnen gesprochen. Wegen der Pandemie war das natürlich alles telefonisch. Und letztlich geht es dann darum, das, was dahinter steckt, zu transportieren und Verständnis zu wecken. Einerseits Verständnis für das Bedürfnis der älteren Menschen, die es gewohnt waren, dass sie tagsüber ein ruhiges Wohnumfeld haben, entgegenzubringen. Und andererseits aber auch diesem älteren Ehepaar zu transportieren, dass es jetzt, da die Schule geschlossen ist, ein Mittel und eine Möglichkeit für das Kind ist, etwas zu tun und zu üben. Das war seinerzeit die Herausforderung in diesem Konflikt.

Die Pandemie war also ein Zeitraum, indem sie sehr viel zu tun hatten. Ist es nach wie vor so?

Wilhelm: Nein, das hat sich wieder normalisiert. Da war in meiner Erinnerung vor allem in dem zweiten Lockdown ein Peak, dass es da unter Nachbarn in Mietshäusern wirklich zu massiven Konflikten gekommen ist. Denn irgendwo muss der Druck ja hin. Wir waren ja eine sehr angespannte und gestresste Gesellschaft. Das Ganze muss ja auch raus und braucht irgendeinen Ventil und das sind dann halt oft die Nachbarn gewesen.

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Männer lehnen über dem Gartenzaun © Colourbox Foto: -

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In meiner Wahrnehmung sind das auch oft Konflikte gewesen, die zumindest eine Partei gar nicht geklärt oder gelöst wissen möchte. Ich nenne das immer Konflikte, für die es auch einen versteckten Gewinn gibt: Da ist jemand, der zum Beispiel Druck abbauen kann, der Mitleid oder Anerkennung von Menschen bekommt ("Du hast es aber schwierig in der Situation, wie hältst du das mit denen aus?"). Und solche Situationen möchten Menschen dann oft gar nicht gelöst oder geklärt wissen, weil man eben Dampf ablassen kann.

Es tauchen also tatsächlich immer bestimmte Typen von Menschen bei Ihnen auf?

Wilhelm: In der Tat. Aber, ich denke, dieser Typ Mensch steckt in jedem von uns drin. Denken Sie einfach mal daran, wenn Sie Auto fahren. Dann bin ich auf einmal sauer auf den Autofahrer vor mir, weil der irgendetwas nicht so macht, wie ich es gerade erwarte. Da kann ich in der Situation Dampf ablassen, wenn ich mich über den ärgere. Ich will dann gar nicht, dass ein Mediator kommt und mir sagt, dass man auch mal Verständnis haben muss, weil der andere vielleicht auch gerade einen schwierigen Tag hinter sich hat. Ich möchte an der Stelle das, was mich bewegt, auch mal rauslassen. Nur hoffentlich ist das Fenster dann zu, so dass ich diesen Konflikt mit mir ganz alleine austragen kann.

Gibt es bei ihnen denn auch Fälle, die sie nicht klären können und die dann tatsächlich vor Gericht landen?

Wilhelm: Ja, natürlich. Gerade solche Konflikte, die eine Partei gar nicht geklärt wissen möchte. Da bin ich als Mediator dann auch chancenlos. Denn für das Gelingen einer Mediation ist eine ganz wichtige Voraussetzung, dass die Parteien auch bereit sind, im Wege einer Mediation die Klärung einer Lösung herbeiführen zu wollen. Und wenn es dann weiter eskaliert, geht es am Ende dann vor Gericht.

Im Nachbarschaftsrecht gibt es ja noch die Besonderheit in den meisten Bundesländern, dass es noch die Voraussetzung einer gescheiterten Schlichtung gibt. Eine Schlichtung unterscheidet sich ein wenig von einer Mediation. Aber auch ein Schlichter kann mediativ arbeiten. Und das ist dann auch noch mal eine Möglichkeit, bei einem Schlichter oder einer Schlichterin einen Nachbarschaftskonflikt zu klären, bevor es dann tatsächlich zu Gericht geht.

Haben Sie zum Schluss noch mal einen Tipp für uns alle, wenn sich da etwas anbahnt mit dem Nachbarn? Was kann ich tun, damit wir eben nicht morgen bei Ihnen oder vor Gericht sitzen?

Wilhelm: Ganz einfach: miteinander reden. Und auch den Klassiker in der Kommunikation beachten: von sich selber sprechen. Ich-Botschaften, Bitten und Wünsche äußern und nicht mit dem Zeigefinger auf die Nachbarn zeigen.

Das Gespräch führte Jan Wiedemann.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 20.05.2022 | 16:00 Uhr

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Recht

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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