Stimmen aus der Kultur zum Krieg in der Ukraine
Wie reagiert die Kultur auf den Krieg in der Ukraine? Reaktionen aus Norddeutschland, der Ukraine und aus der Literatur- und Musikszene, etwa von Olena Kushpler, Pussy Riot, Anna Vinnitskaya und Ljudmila Ulitzkaja.
"Dies ist ein schwarzer Tag in der Geschichte Europas". Das sind die Worte von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher im Rathaus am vergangenen Donnerstag. Dem Tag, an dem Russland in die Ukraine einmarschiert ist, an dem morgens um 4.30 Uhr die Menschen in verschiedenen Städten der Ukraine von Detonationen aufgewacht sind, von heulenden Sirenen. Das klingt alles wie ein schlimmer Albtraum, doch wie muss sich das erst in der Realität anfühlen, für die Ukrainerinnen und Ukrainer? Reaktionen aus der Kultur.
Schriftstellerin Tanja Maljartschuk: "Ich bewundere diese Menschen"
Tanja Maljartschuks Stimme droht immer wieder zu brechen, während sie - einen Tag nach der Invasion russischer Truppen in die Ukraine - von der aktuellen Situation in ihrem Heimatland erzählt. "Ich habe schon fast 80 Stunden nicht geschlafen, weil man Angst hat einzuschlafen. Man hat Angst aufzuwachen. Weil man nicht weiß, welche Nachrichten man dann im Handy oder im Computer liest."
Die mittlerweile in Österreich lebende Schriftstellerin, 2018 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, war davon ausgegangen, dass sich nach den Unruhen im Jahr 2014, die Ukraine auf einem guten Weg in Richtung Freiheit und Demokratie befand. "Für mich als Ukrainerin ist es unglaublich schwer anzusehen, weil es so unglaublich unfair ist. Ich sehe auch diese Menschen, die so mutig ihr Land verteidigen - da muss man wirklich diesen Mut haben. Ich bewundere diese Menschen."
Die Kulturszene steht unter Schock. Noch immer fällt es vielen schwer nachzuvollziehen, was sich zurzeit in der Ukraine abspielt.
Schriftsteller Ingo Schulze ist sprachlos
Auch dem Schriftsteller Ingo Schulze fehlen die Worte. In der vergangenen Woche war er noch sicher, dass es keinen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine geben würde: "Es gab diese Abzugssignale. Ich kann es mir bis heute schwer erklären. Abgesehen von dem wahnsinnigen Leid für die Ukraine - aber ich möchte auch kein russisscher Soldat sein, die haben auch keine Wahl." Er habe gedacht, das könne doch nicht wahr sein. "Das geht auch so sehr gegen die russischen Interessen. Und dann gab es noch das Argument, dass das in der Ukraine so gelassen gesehen wurde."
Rapperin und Aktivistin Alyona Alyona: Menschen haben Panik
Gelassen wirkt in der Ukraine heute niemand mehr. "Die Menschen haben Panik", erklärt die ukrainische Rapperin und Aktivistin Alyona Alyona in einem eindringlichen Instagram-Post am Donnerstag. Doch solle man jetzt vor allem Ruhe bewahren, auf die Anweisungen der Regierung vertrauen und auf die Armee.
Die Pianistin Olena Kushpler hat ihr Instagram-Profilbild mit der Ukrainischen Flagge versehen. Sie ist vor mehr als 20 Jahren aus dem ukrainischen Lvivin (Lemberg) nach Hamburg gekommen - und hat Angst um Ihre Familie und Freunde. "Mein Land, das auf dem besten Weg zur Demokratie war, mit einer unglaublichen Kultur, mit eigener Sprache, mit eigener Musik, mit eigenen Wertvorstellungen - das versucht Putin jetzt alles zu zerstören", so Kushpler.
Einen Krieg in unserer heutigen Zeit - das hatte Kushpler, wie viele in Europa, nicht für möglich gehalten. Seit Donnerstag solidarisieren sich zahlreiche Menschen auch in Norddeutschland mit der Ukraine. Vielerorts, in Rostock, Lübeck, Hannover und Hamburg gingen sie auf die Straße und forderten Putin auf: "Stop your war!" - "Beende Deinen Krieg!".
Musikprojekt Pussy Riot drückt Liebe für die Ukraine aus
In Russland arbeiten die Staatsmedien mit allen Mitteln daran, die Ukraine als ein von Faschisten und Nazis geprägtes Land darzustellen, um so den kriegerischen Einmarsch zu rechtfertigen. Doch auch von dort werden besorgte Stimmen laut. Nadya Tolokonnikowa etwa vom regime-kritischen Musikprojekt Pussy Riot drückt in einem Social Media Post ihre Liebe für die Ukraine aus. Sie fühle gerade großen Schmerz.
Betroffenheit in der russischen Literaturszene
Betroffenheit herrscht ebenso in der russischen Literaturszene: Es sei widerlich, was zurzeit in der Ukraine passiert - erzählt die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja dem NDR am Morgen der Invasion. "Ich bin in Zeiten des Krieges geboren und gehöre zu der Generation, die damit gerechnet hat, zu sterben, ohne den Krieg jemals wiederzuerleben."
Ulitzkaja sieht in den aktuellen Geschehnissen eine massive Gefahr für die Menschheit - und Schuld daran sei die russische Staatspolitik, über die sich nicht jeder Kulturschaffende aus Russland so harsch äußern möchte.
Anna Vinnitskaya: "Schwierig für mich zu verstehen"
Die Pianistin Anna Vinnitskaya, seit 2009 lebt sie in Hamburg, fühlt sich mit der aktuellen Situation in erster Linie überfordert. "Ich war öfter in Odessa und mein Vater lebte dort und studierte. Damals haben wir keinen Unterschied gemacht, ob man Russe ist oder Ukrainer. Wir waren alle gleich und jetzt wird miteinander gekämpft. Das ist sehr schwierig für mich zu verstehen."
Mehr zum Thema am Sonntag, 27. Februar in der Sendung "titel thesen temperamente" ab 23 Uhr im Ersten.
