Schulstart in Niedersachsen: Jede fünfte Lehrerstelle nicht besetzt
Der Lehrermangel im Norden ist teilweise groß. In Niedersachsen beginnt heute der Unterricht. Wie sieht es aktuell im Norden aus, welche Lösungsansätze finden Schulen und Politik dafür? Ein Stimmungsbericht.
Es sind eher gemischte Gefühle, mit denen viele Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern ins Schuljahr starten - wie bei diesen Eltern in Hamburg: "Jetzt schon fallen unendlich viele Stunden aus." Dabei steht Hamburg noch vergleichsweise gut da. Knapp 400 Referendarinnen und Referendare fangen an den Schulen an, es gab fast doppelt so viele Bewerber.
In Niedersachsen dagegen macht Stefan Störmer, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, wenig Hoffnung, dass dieses Schuljahr weniger Stunden ausfallen könnten: "Aus unserer Sicht bleibt die Lage problematisch. Insofern gehen wir davon aus, dass die Unterrichtsversorgung nach den Ferien eher schlecht sein wird."
Gewerkschaft fordert kurzfristig eine Milliarde Euro zusätzlich
Mehr als 2.000 Lehrerinnen und Lehrer sollten für dieses Schuljahr in Niedersachsen neu eingestellt werden. Zum Unterrichtsbeginn ist noch mehr als jede fünfte Stelle nicht besetzt. Rein rechnerisch könne trotzdem fast jede Schulstunde gegeben werden. 98,5 Prozent, sagt Kultusminister Grant Hendrik Tonne von der SPD: "Dennoch betone ich, dass diese Dreifach-Herausforderung: Corona, Ukraine und auch Fachkräftemangel eine schwierige Gesamtlage ist. Es ist klar: Pflicht vor Kür. Vor freiwilligen Projekten muss erst der Stundenplan gefüllt werden."
Der Minister bekämpft den Lehrermangel unter anderem mit 730 zusätzlichen Stellen und bis zu 400 Euro Prämie für neue Lehrkräfte. Aus Sicht der GEW reicht das nicht aus. Die Gewerkschaft fordert kurzfristig eine Milliarde Euro zusätzlich für die Bildung. Langfristig müssten deutlich mehr Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet werden, sagt Stefan Störmer: "Damit wir irgendwann in eine Situation kommen, wo wir wieder über Unterrichtsqualität sprechen können. Im Moment ist es ja nur noch, dass der nötigste Bedarf irgendwie gedeckt werden soll."
Kurzfristige Lösungen kaum möglich
Kurzfristig wird sich das Problem aus Sicht der Gewerkschaft kaum lösen lassen. Es dauert bis der Lehrer-Nachwuchs an den Schulen ankommt. Deshalb setzt nicht nur Niedersachsen verstärkt auf Quer- und Seiteneinsteiger. Lehrkräfte, die zwar in der Regel ein abgeschlossenes Studium aber keine vollständige pädagogische Ausbildung haben.
Das funktioniert nicht immer reibungslos, weiß auch Christiane Gotte, Mutter von drei Kindern aus Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzende des Bundeselternrates: "Es war tatsächlich vor drei, vier Jahren so, dass die Quereinsteiger und Seiteneinsteiger gleich so unterrichtet haben. Da hat sich jetzt einiges an der Betreuung verbessert. Aber insgesamt ist das ein kontrovers und sehr emotional diskutiertes Thema. Dieser Beruf sollte auch Berufung sein, das wünschen sich Eltern."
Quer- und Seiteneinsteigern brauchen Förderung
Dabei gibt es durchaus Talente unter den Quer- und Seiteneinsteigern. Diese Erfahrung hat Maren Schramm gemacht. Sie engagiert sich für die GEW in Schleswig-Holstein und leitet eine Gemeinschaftsschule im Kreis Pinneberg. Allerdings: Auch wer Talent hat, braucht Unterstützung und ist deshalb keine schnelle Entlastung: "Jede Lehrkraft, die kommt und ausgebildet werden muss: dafür muss Arbeitszeit von anderen vorhanden sein."
Besonders gilt das auch für Vertretungslehrkräfte. Anders als Quer- und Seiteneinsteiger haben sie oft keine Perspektive, dauerhaft im Lehrerberuf zu bleiben. Das sollte sich ändern, meint Maren Schramm: "Ich habe zum Beispiel einen Handwerksmeister, der bei mir Technik unterrichtet. Der macht das richtig gut. Aber der wird mit seiner Qualifikation überhaupt nicht als Quer- oder Seiteneinsteiger in den Schuldienst übernommen werden können."
Den Lehrernachwuchs fördern, aber auch die erfahrenen Lehrerinnen und Lehrer nicht überlasten, ihre Arbeitsbedingungen verbessern - nur so kann es gehen, meint die Schulleiterin.