Joachim Lux, der Intendant des Thalia Theaters, im Porträt. © picture alliance / dpa-Bildfunk

Kulturschaffende fordern Schutz für ihre afghanischen Kollegen

Stand: 07.09.2021 18:14 Uhr

80 Kulturschaffende und Intellektuelle fordern in einem offenen Brief Kulturstaatsministerin Monika Grütters dazu auf, sich für das Schicksal afghanischer Kulturschaffender einzusetzen. Dazu gehört auch der Hamburger Intendant Joachim Lux.

Zu den Unterzeichnenden gehören Schauspielerin Martina Gedeck, Schriftsteller Daniel Kehlmann und der Musiker und Dirigent Daniel Barenboim sowie der Intendant des Hamburger Thalia Theaters Joachim Lux.

Herr Lux, was fordern Sie von der Kulturstaatsministerin?

Joachim Lux: Ich glaube, dass in der gegenwärtigen Situation nur die Ermöglichung einer Ausreise Sinn macht, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass dieser Schutz auf angemessene Art und Weise vor Ort stattfinden kann.

Was sind das für "kulturelle Ortskräfte" vor Ort?

Lux: Das sind im Westentlichen Künstler, Journalisten, Filmemacher, Fotografen und Autoren. Das sind in jeder Gesellschaft auch die Menschen, die für Liberalität stehen und die einer Zivilgesellschaft das Rückgrat geben. Und diese Art von Zivilgesellschaft ist in den letzten 20 Jahren mit Mühe langsam entstanden - natürlich im Vertrauen darauf, dass sie auch weiter bestehen kann. Diese Menschen, die ein ausgeprägt liberales Denken haben, sind auch diejenigen, die mit am stärksten gefährdet sind, wenn der Kurs jetzt in eine strikt islamistische Richtung geht.

Weitere Informationen
Katja Lembke © picture alliance/dpa Foto: Christophe Gateau

Archäologen fordern Rettung von Forschern aus Afghanistan

Die Direktorin des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover, Katja Lembke, ist Mit-Initiatorin des Appells. Ein Gespräch. mehr

Was befürchten Sie für Ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort?

Lux: Repressionen, wie sie bei autoritären Regimen üblich sind, wie wir sie auch zum Teil aus Osteuropa kennen. Ich glaube, dass die existenziell bedroht sind, sei es durch Armut, durch Gefängnis oder durch Berufsverbote. Das Spektrum der Möglichkeiten ist da groß, auf jeden Fall zulasten der Kunst- und der Meinungsfreiheit und zugunsten einer persönlich existenziellen Bedrohung.

Und was erwarten Sie von Kulturstaatsministerin Monika Grütters?

Lux: Einen Schutzraum zu schaffen für die Ausreise derjenigen, die das auf ganz besondere Weise betrifft. Das können wir nicht für die ganze Welt machen - das ist mir schon klar. Aber Afghanistan ist insofern ein Sonderfall, als der Westen behauptet hat, diesen Schutz herstellen zu können, indem er da liberalere Strukturen implantieren wollte. Der Abzug dieses Schutzes ist in einem unfassbar überstürzten und keineswegs geglückten Maße geschehen, sodass es da ein gewisses Maß von Schuld oder Verantwortung gibt und man für die Folgen dieser überstürzten Aktion geradestehen muss.

Sie sprechen von einer überstürzten Aktion. Ist dann die Kulturstaatsministerin die richtige Ansprechpartnerin? Wäre nicht beispielsweise Außenminister Heiko Maas derjenige, den man ansprechen müsste?

Lux: Das weiß ich nicht. Das ist auch verbesserungsfähig, wie die entsprechenden Ministerien da miteinander gearbeitet oder nicht miteinander gearbeitet haben. Unsere Ansprechpartnerin ist die Person, die für Kultur zuständig ist. Aber die kann es natürlich selber auch nicht richten, sondern sie wird sich wahrscheinlich an zwei Menschen wenden müssen: an den Bundesaußenminister, damit der das politisch durchsetzt. Aber auch an den Bundesinnenminister, damit der die erforderlichen Regelungen dafür schafft, dass solche Menschen in Deutschland oder in Europa aufgenommen werden können.

Glauben Sie, es ist realistisch, dass das Ganze von Erfolg gekrönt sein wird? Dass diese Menschen von den Taliban gehen gelassen werden, aber auch, dass man sie hier mit offenen Armen aufnimmt?

Lux: Ja, in einem begrenzten Maße glaube ich das in der Tat. Heiko Maas hat gesagt, mit dem 31. August sei nicht Schluss, sondern man kümmere sich weiter. Das wurde mehrfach gesagt, meines Wissens auch von der Bundeskanzlerin und von anderen. Die Vorstellung, dass mit dem 31. August dieses gesamte Abzugs- und Rückzugsverfahren vollständig beendet ist zu Lasten derjenigen, die zurückgeblieben sind - das ist, glaube ich, falsch.

Das Gespräch führte Jürgen Deppe.

Weitere Informationen
Die afghanische Politikerin und Menschenrechtlerin Sima Samar © picture alliance / dpa Foto: Can Merey

Frauenrechtlerin Sima Samar über 9/11 und die Folgen

Die afghanische Frauenrechtlerin Sima Samar hofft, dass die internationale Gemeinschaft den Afghaninnen zur Seite steht. mehr

Schwer bewaffnete Taliban-Kämpfer patrouillieren nach ihrer Machtübernahme mit wehender Fahne des Islamischen Emirats Afghanistan durch Kabul. © picture alliance/dpa/AP Foto: Rahmat Gul

Machtkampf in Afghanistan: Die Taliban und der IS

Wer ist die Gruppe, die die jüngsten Terroranschläge in Kabul verübt hat? Ein Gespräch mit dem Islamwissenschaftler Stefan Weidner. mehr

Frauen in Hijabs © picture alliance / NurPhoto Foto: Morteza Nikoubazl

Angst vor den Taliban: Die Lage der Frauen in Afghanistan

Die Taliban haben die Macht in Afghanistan übernommen. Wie ist die Lage der Frauen vor Ort? Ein Gespräch mit Nadia Nashir vom Afghanischen Frauenverein Hamburg. mehr

Schwer bewaffnete Taliban-Kämpfer patrouillieren nach ihrer Machtübernahme durch Kabul © picture alliance/dpa/AP Foto: Rahmat Gul

Die Machtübernahme der Taliban: Ein unvorhersehbarer Unglücksfall?

Wer genau sind "die Taliban"? Und warum konnten sie so schnell die Macht am Hindukusch übernehmen? Ein Kommentar von Michael Kiefer. mehr

Nadia Nashir-Karim © IMAGO / epd Foto: IMAGO / epd

Nadia Nashir-Karim: Die Situation unter den "neuen" Taliban

Aus Reden des ehemaligen US-Präsidenten hat Opernchef Georges Delnon das Ein-Personen-Stück "Playing Trump" kreiert. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 07.09.2021 | 18:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Theater

Kulturpolitik

Sebastian Friedrich und Denise M'Baye © NDR

Tee mit Warum - Neuer Philosophie-Podcast von NDR Kultur

Denise M‘Baye und Sebastian Friedrich sprechen über die großen Fragen des Lebens und stellen dabei immer wieder den Bezug zum alltäglichen Leben her. mehr

Mehr Kultur

Collage der Buchcover: "Der Dachs hat heute schlechte Laune", "Wenn ich wütend bin", "Meins! Nein, meins!" und "Ich bin jetzt glücklich, wütend, stark" © Carlsen Verlag

Bilderbücher mit schwierigen Themen für Kinder ab drei Jahren

Es gibt Themen, über die es sich gerade mit kleinen Kindern schlecht reden lässt. Bilderbücher können dabei helfen. mehr