Eine junge Frau blickt lächelnd in die Kamera © picture alliance/dpa Foto: Jörg Carstensen
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AUDIO: Der Kampf gegen Erschöpfung: Marina Weisband über ihr Leben mit ME/CFS (7 Min)

Kampf gegen Erschöpfung: Marina Weisband über ihr Leben mit ME/CFS

Stand: 12.05.2025 15:22 Uhr

Vor einigen Jahren hat die Politikerin Marina Weisband offengelegt, dass sie an ME/CFS beziehungsweise Long Covid erkrankt ist. Jeder öffentliche Auftritt gehe mit einer Woche Bettlägrikeit einher, sagt sie im Interview mit NDR Kultur.

Frau Weisband, vor welche Herausforderungen hat Sie diese Krankheit am heutigen Tag schon gestellt?

Marina Weisband: Bis gerade lag ich im Bett, und ich musste mich an den PC kämpfen, um dieses Interview zu führen. Das war die erste Herausforderung. Ich werde später noch ein zweites Interview geben, auch zur Krankheit. Ich hatte aber gestern einen Auftritt, und eigentlich wäre ich heute im Crash. Das war schwierig.

Das heißt: Wenn Sie ungefähr wissen, wie lange es dauert - bei uns maximal fünf bis zehn Minuten -, dann ist es einfacher für Sie?

Weisband: Es ist sehr viel einfacher. Je länger ein Auftritt oder ein Interview dauert, desto schwerer ist es. Selbst an sehr guten Tagen habe ich eine feste Grenze von zwei Stunden. Es fällt mir schwer, lange am Stück zu reden. Ich aktiviere mich; man hört es mir nicht an, man sieht es mir nicht an, aber es kostet mich Energie, meine eigene Erschöpfung zu überspielen. Und es gibt immer einen Preis, den man hinterher zahlt.

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Weisband: Genau. Jeder Auftritt, für den ich reisen muss, geht oft mit einer Woche Bettlägrigkeit einher.

Wir sehen Sie bei Instagram hin und wieder im Rollstuhl. Wie sehr sind Sie auf diesen angewiesen? Welche Hilfsmittel gibt es überhaupt?

Weisband: Ich benutze eine Reihe von verschiedenen Hilfsmitteln, je nach dem, wie es mir derzeit geht. Der Rollstuhl ist eines meiner wichtigsten; er hat mir unfassbare Freiheit und Mobilität geschenkt. Ich konnte das erste Mal wieder mit meinem Mann und meiner Tochter spazieren gehen, was wahnsinnig schön ist. Ich kann viele Veranstaltungen nur mithilfe des Rollstuhls machen. Ich kann wieder in Museen gehen, und das ist großartig. Mein Rollstuhl ist elektrisch. Wenn ich den Rollstuhl nicht brauche, etwa für kürzere Strecken, aber wenn ich nicht ganz fest auf den Beinen bin, benutze ich Gehstöcke - ich habe einen wunderschönen ausklappbaren, der zu den meisten meiner Kleidern passt. Ich habe eine Handtasche genäht, die gleichzeitig ein Kissen ist, weil ich mich unterwegs häufig flach auf den Boden legen muss, und so habe ich ein Kissen immer dabei. Ich habe die Handtasche mit schönen Blumen bestickt, damit ich Kontrolle über die Krankheit habe und nicht die Krankheit über mich.

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Wann haben Sie festgestellt, dass es mehr ist als eine Viruserkrankung, als ein Infekt?

Weisband: Bei mir war der Ursprungs-Infekt mit dem Epstein-Barr-Virus gar nicht so ausgeprägt. Ich hab's irgendwann 2020 festgestellt. Ich fiel manchmal in Ohnmacht, hatte schon immer einen schwachen Kreislauf und Immunprobleme, aber ich habe irgendwann gemerkt, dass ich mich nicht mehr erhole; das war irgendwann im Sommer 2020. Es war schleichend. Nach ein paar Wochen, wo ich teilweise gelähmt war und mich gar nicht bewegen konnte, habe ich festgestellt, dass das nicht das Übliche ist. Und als ich zu meinem Arzt gegangen bin, hat er dankenswerterweise direkt gesagt: Frau Weisband, das ist kein Stress. Weil das ehrlich gesagt das ist, was die meisten jungen Frauen zu hören bekommen.

Ist bei einer solchen Krankheit die Stigmatisierung groß?

Weisband: Gerade wenn man eine Frau im gebärfähigen Alter ist, und man hat Kinder und eine Arbeit, dann sagen die meisten Menschen: Das ist ja ganz klar - Du bist einfach ausgebrannt oder gestresst. Doch das bin ich gar nicht. Ich bin sehr motiviert, Dinge zu tun, wenn ich sie könnte. Aber seit der Pandemie hat - durch Sendungen wie diese - das Bewusstsein über die Existenz dieser Krankheit zugenommen. Es gab auch schon sehr viele Betroffene vor der Pandemie, aber seit der Pandemie gibt es leider sehr viele neue Betroffene, sodass in meinem Umfeld ganz viele Leute irgendjemanden mit ME kennen. Es ist leider keine Seltenheit mehr, davon zu hören.

Warum haben Sie sich entschieden, die Erkrankung öffentlich zu machen?

Weisband: Ich wollte öffentlich darüber sprechen, weil ich nicht für die Krankheit bekannt bin. Ich bin in ganz anderen Kontexten bekannt. Aber wenn jemand wie ich nicht darüber spricht, dann schaffen wir es nicht, Aufmerksamkeit dafür zu erlangen. Schon vor der Pandemie gab es mehr ME/CFS-Betroffene als Juden in Deutschland. Ich bin ja selber Jüdin, ich gehe in Gemeinden, für mich ist das omnipräsent. Sogar bei den meisten Ärzten, bei denen ich war, musste ich erklären, was ME/CFS ist. Das ist ein untragbarer Zustand, und jemand wie ich ist verpflichtet, zur Aufklärung beizutragen.

Was ist ihr großer Wunsch: Was sollte politisch oder gesellschaftlich passieren?

Weisband: Ich lege ganz viel Wert auf die Forschung und auf die Entwicklung von Therapien, die Menschen zugänglich gemacht werden können. Mein zweiter Wunsch ist Aufklärung, vor allem in medizinischen Berufen, weil es einfach nicht geht, dass Ärzte teilweise keine Ahnung haben, was das ist oder wie man damit umgeht. Das Dritte ist die Versorgung von Betroffenen. Ganz viele werden leider immer noch in aktivierende Rehas geschickt, also Rehas, die nicht auf ME ausgerichtet sind, sondern die durch zunehmende Aktivierung, die bei ganz vielen Krankheiten toll funktioniert und gut ist, aber speziell bei ME die Krankheit schlimmer macht. Man muss aber in diese Rehas, um überhaupt irgendeine Form von Unterstützung zu bekommen. Mein Rollstuhl musste ich privat finanzieren, weil das so ein Kampf war, dass ich nicht die Energie hatte, ihn zu führen. Gerade Patienten mit ME können oft diese Hürden, diese Papierkriege, die es braucht, um ein Grad der Behinderung zu erhalten, einfach nicht leisten.

Das Gespräch führte Philipp Schmid.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 12.05.2025 | 08:10 Uhr

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