Bildgewaltige Hommage: Norderstedt würdigt Wolfgang Herrndorf
Wolfgang Herrndorf gelang es mit seinen Texten grandios, Bilder in den Köpfen seiner Leser zu malen. In diesem Jahr wäre Herrndorf 60 Jahre alt geworden. Norderstedt gedenkt ihres 2013 gestorbenen Sohnes mit teils sehr kreativen Aktionen - etwa einem Open-Air-Atelier.
Nah am Eingang, direkt am Weg, oberhalb des Stadtparksees in der schleswig-holsteinischen Stadt haben sich die Mitglieder des Kunstkreises Norderstedt mit ihrem Open-Air-Kunst-Atelier aufgebaut. An einem Tisch sitzen drei Frauen und fünf Kinder, die ins Malen vertieft sind. Vor ihnen: Farben und Pinsel. Liv Leonie Nansen macht eine Collage. Ein Auto und einen Strommast hat sie aufgeklebt, ausgeschnitten aus einer Zeitschrift. Rundherum hat sie Strommasten gezeichnet, deren Kabel lose im Wind wehen.
"Das Terrain hob sich ein wenig. Die Reihe der Strommasten endete, vom letzten hingen die Kabel runter, wie frischgewaschenes Haar, zehn Meter dahinter war die Welt zu Ende." Wolfgang Herrndorf - "Tschick"
Diese Worte Herrndorfs haben die 20-jährige Norderstedterin sofort inspiriert: "Ich hatte gleich eine Szene im Kopf und war dann direkt auch schon gleich dabei, was ich machen wollte."
Verbindung zwischen Text und Bild schaffen
Theresa Sill malt mit knalligem Grün, Lila, Blau und Orange. Abstrakte Formen, mit denen sie einen Himmel und eine Landschaft darstellen will. Eine Wiese, aus der kugelrunde Kreise emporsteigen. Sie hat folgendes Zitat gewählt: "Die Wiese schäumt und wirft Blasen. Im Licht der Blitze werden hinter dunkelvioletten Wolken Fetzen weißen Himmels sichtbar, später mit kobaltblau verschmiertes branstiges Orange." Gerade weil die Sprache Herrndorfs so bildhaft ist, sagt sie, fand sie den Titel der Veranstaltung, "Worte malen Bilder im Kopf", so passend: "Also, das ging zack und da war das Bild.“
Als die Stadt die Mitglieder des Kunstkreises Norderstedt gefragt hatte, ob sie der Verein auch etwas in der Veranstaltungsreihe anbieten wollte, seien alle sofort begeistert gewesen, erzählt Mit-Initiatorin Daniela Hagenah. "Ich mag die Bücher. Tatsächlich wusste ich nicht, dass Wolfgang Herrndorf ursprünglich Norderstedter war, sondern hab mich ein bisschen in seine Texte verliebt", erzählt Hagenah weiter. Als Kunstverein arbeiteten sie nicht so viel zu und mit Texten. "Wir schaffen Bilder und drehen es um. Wir nehmen die Bücher und Geschichten von Wolfgang Herrndorf und lassen daraus wieder Bilder entstehen."
Veranstaltungen bis in den Herbst hinein
Unter dem Titel "Zwischen Aufbruch & Melancholie" laufen noch bis zum 24. Oktober etliche Veranstaltungen, um das literarische Erbe des Schriftstellers zu feiern. Und ganz nebenbei daran zu erinnern, dass er in Norderstedt aufgewachsen und zur Schule gegangen ist.
Die Stadt bietet Workshops, einen Talentcampus Ferienkurs für Kinder, Lesungen und Vorträge. Und zu Wolfgang Herrndorfs Geburtstag am 12. Juni wird "Tschick" als Theaterstück im Norderstedter Kulturwerk am See zu sehen sein. Das Besondere: dass nicht nur die Stadt, sondern auch Kultureinrichtungen wie der Kunstkreis Norderstedt mitmachen. Eine Brücke zu bilden und in den Austausch zu kommen mit den Menschen und so auch einen Einstieg in die Texte zu Herrndorf zu bieten, das sei schon toll, sagt Hagenah.
Bilder werden im Rathaus ausgestellt
Einige Bilder trocknen bereits in der Sonne und im Wind. Farbenfrohe Assoziationen zu Zitaten von Wolfgang Herrndorf. Alle Bilder, die hier in der Offenen Werkstatt am Stadtparksee in der Heimatstadt des Autors entstehen, werden vom 15. bis 30 Juni in der Galerie im Rathaus Norderstedt zu sehen sein.
