Warum Günter Grass so schwer verständlich ist - und trotzdem genial
Zum zehnten Todestag von Günter Grass ist ein umfassendes Handbuch zu Leben und Werk des Literaturnobelpreisträgers erschienen. Warum seine Sprache so sperrig ist - und wie man "Katz und Maus" oder "Die Blechtrommel" trotzdem im Unterricht vermitteln kann.
Marinesko trug, wie überliefert wurde, zur pelzbesetzten Mütze, der Usanka, unvorschriftsmäßig nicht den gefütterten Mantel, die Dienstbekleidung der U-Boot-Offiziere, sondern hatte sich ein ölverschmiertes Schafsfell umgehängt. Leseprobe aus "Im Krebsgang"
Günter Grass' Novelle "Im Krebsgang" aus dem Jahr 2002 wurde schnell zur Pflichtlektüre im Deutschunterricht. Der Text spannt einen Bogen über 100 Jahre deutscher Geschichte - ein anspruchsvolles Werk, das nicht nur Jugendliche herausfordert. Schon der Satzbau ist eine Hürde: "Das fällt bei Günter Grass auf", sagt der Literaturdidaktiker Steffen Gailberger, "dass seine Syntax sehr lang gebaut ist, sehr komplex gebaut ist." Für viele Schülerinnen und Schüler werde das zum Problem, erklärt er weiter, "sobald sich poetische Sprache zu sehr von der Alltagssprache unterscheidet."
Mit Metaphern, historischen und intertextuellen Anspielungen überfrachtet

Schwierig wird es für viele Schülerinnen und Schüler auch dann, wenn ein Satz mit Metaphern, historischen oder intertextuellen Anspielungen überfrachtet ist. Gerade bei Grass komme das häufig vor. "Er vermischt verschiedene Stile", so Gailberger, "und arbeitet sehr viel, wirklich wild durcheinandergeworfen, mit Jargon."
Hinzu kommt: Grass' Figuren sprechen in Soziolekten und Dialekten - meist im Danziger Tonfall, der beim Hören oft leichter zugänglich ist als beim Lesen. Die Sätze bleiben dabei häufig unvollständig. "Dann kommen bestimmte Satzteile, die mehrfach wiederholt werden,", erklärt Gailberger. Diese sogenannten anaphorischen Parallelismen, so der Literaturwissenschaftler, führten zu einer sprachlichen Steigerung, seien aber für viele Leserinnen und Leser eine zusätzliche Herausforderung. "Katz und Maus" sei hierfür ein gutes Beispiel, so der Germanist: "'Und einmal…' - das wird am Anfang der Novelle ständig wiederholt. Immer wieder, fast wie beim kindlichen Erzählen."
Germanist Gailberger: "Katz und Maus" aktuell wie zu Grass' Lebzeiten
Durch Grass' poetischen Stilmix entsteht ein ganz eigener Rhythmus, erklärt Gailberger. Mit seinen sprachlichen Mitteln erzählt der Literaturnobelpreisträger nicht nur eine fesselnde Geschichte - er schafft zugleich Raum für Lesegenuss und Erkenntnis, auch im schulischen Kontext.
"Große Literatur ist natürlich immer auf eine gewisse Weise zeitlos - und das ist bei 'Katz und Maus' eindeutig der Fall", findet Gailberger. "Genau das macht die Novelle gerade jetzt so aktuell." Der Germanist zieht eine Parallele zwischen übersteigerten Männlichkeitsidealen damals und heute, die im Buch zum Untergang des Protagonisten Mahlke führen. Die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Rechtsradikalismus sei nicht weniger aktuell als zu Grass' Lebzeiten.
Günter Grass im Unterricht: Schüler oft nur extrinsisch motiviert
Das didaktische Dilemma nach Gailberger: "Ein erwachsener Leser setzt sich, aus welchen Gründen auch immer, bewusst hin, um 'Katz und Maus' zu lesen. Er bringt von Anfang an die Bereitschaft mit, sich auf dieses ästhetische Erlebnis einzulassen." Schülerinnen und Schüler hingegen lesen das Buch meist nicht freiwillig. "Sie werden extrinsisch motiviert - durch die Lehrkraft, ein Zentralabitur-Thema oder was auch immer."
Eine Szene aus der Verfilmung der "Blechtrommel" könne durchaus Neugier auf das Buch wecken, schlägt Gailberger vor, auch wenn der Film selbst inzwischen schon historisch sei. Etwa die Szene, in der Oskar eine SA-Kundgebung auf der Maiwiese sprengt, indem er gegen die Marschmusik der Nazis im Dreivierteltakt antrommelt: "Diese braune Bagage kann innerhalb von Sekunden umgewandelt werden in eine Menschenmasse, die sich gegen diese Parteitagsinszenierung wendet." Am Ende tanzen die Menschen glücklich lächelnd Walzer.
"Günter Grass Handbuch" macht Lust aufs Lesen - oder Hören
Das große "Günter Grass Handbuch" bietet Fachleuten einen gut strukturierten Überblick über den neuesten Forschungsstand. Auch interessierte Leserinnen und Leser finden darin vielfältige Impulse, Deutungen und Hintergründe zu einem Autor, der als Person wie als Künstler nicht unumstritten war. Es macht Lust, das ein oder andere Werk wieder oder doch noch zu lesen. Oder, wie es Steffen Gailberger empfiehlt, die von Grass selbst eingelesenen Hörbücher einzulegen oder zu streamen.
