"Einsteigen" von Titus Müller: Ein Hoch auf das Bahnfahren
Titus Müllers neues Buch "Einsteigen" ist eine Art Liebeserklärung an das Bahnfahren mit allen Tücken und Freuden, die dazugehören. Es ist ein Text, der Großmut und Gelassenheit verströmt.
Titus Müller und die Bahn - das ist eine Liebesgeschichte von Kindesbeinen an. Allen, die gern mit der Bahn unterwegs sind, fallen bei Lektüre dieses Textes ganz sicherlich hunderte von eigenen kleinen und großen Erinnerungen ein. Mir selbst übrigens zuallererst eine Begegnung, die ich als junge Reisende hatte. Die Bahn blieb auf offener Strecke stehen, hatte schon erhebliche Verspätung, und darüber ärgerte ich mich lautstark. Eine Frau, die ebenfalls in dem Sechserabteil saß, meinte, sie habe 30 Jahre auf diese Bahnfahrt gewartet und empfinde diese zusätzliche Zeit als Geschenk. Das habe ich nicht vergessen. Mein Eindruck ist, dass es zur Grundausstattung eines glücklichen Bahnreisenden gehört, irgendwie zu versuchen, es so zu sehen.
Plädoyer für den Zug als Ort der Gelassenheit
Titus Müller nimmt auch bisweilen unangenehme Kontakte mit anderen Reisenden gelassen. Einmal beschwert sich ein Mitfahrer über das Klicken seiner Maustaste.
Was für ein guter Hinweis! Daraufhin habe ich mir für die Zugfahrten eine Maus gekauft, die lautlos klickt. Aber auch die Liebe zu anderen lässt sich lernen. Den Widerwillen gegenüber Fremden zu überwinden und ihnen ihr Vergnügen zu gönnen (…) Manchmal gelingt es mir schon ein wenig. Mir muss eine solche Begegnung keine Giftspritze von Hass ins Herz jagen. Leseprobe
Ich nehme mir an dieser Stelle im Text sofort vor, in Zukunft auch nie mehr zu leiden unter Menschen, die ihre belegten Brötchen direkt aus der Tüte essen und dabei überraschend lautes Papierknistern erzeugen. Ein Geräusch, das mich unangemessen stark stört. Aber noch schlimmer finde ich Menschen, die in die Bahn steigen und geradezu darauf warten, dass etwas nicht ordnungsgemäß ist und es lautstark anprangern. Titus Müller beklagt solch eine Stimmung in der ganzen Gesellschaft.
Wir pflegen heute ein Untergangs-Narrativ. Wir haben das Gefühl, der Karren steckt im Dreck und wir kriegen ihn da nicht mehr heraus. Ich möchte dem ein Wertschätzungs-Narrativ entgegensetzen… Leseprobe
Titus Müllers "Einsteigen" ist Lebensfreude pur
Titus Müller bekennt, dass er es liebt, mit der Bahn zu fahren, und hat wunderbare Beispiele für schöne Bahnerlebnisse und herrliche Bahnstrecken gesammelt. Wie inzwischen viele Bahnreisende arbeitet er während der Fahrt.
Nur im Zug, da kann ich gut schreiben. Die Zeit im Zug ist keine offizielle Arbeitszeit, sondern Zeit, die ich dem Tag abluchse. Leseprobe
Sogar nach London ist Titus Müller mit der Bahn gereist, über Paris nach Lille und dann durch den Tunnel. In London besuchte er die berühmte Buchhandlung Poetic Pharmacy in der Oxford Street.
Eine Buchhandlung nur für Gedichtbände, sortiert nach Stimmung: Trost, Liebe, Wachstum. In Regalen stehen kleine Fläschchen mit Texten darin: Gegenmittel gegen Traurigkeit. Mittel für innere Ruhe. Mittel für mehr Mitgefühl. Leseprobe
Titus Müllers schmales Buch "Einsteigen" gehört dort in das Regal "Lebensfreude pur" einsortiert. Was für ein Privileg ist es, bei 100 bis 200 Stundenkilometern im Speisewagen zu sitzen und einen Kaffee zu genießen?
Einsteigen
- Seitenzahl:
- 160 Seiten
- Genre:
- Sachbuch
- Verlag:
- Arche
- Veröffentlichungsdatum:
- 12.06.2025
- Bestellnummer:
- 978-3-7160-0034-2
- Preis:
- 16 €
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Romane
