Der Autor Salman Rushdie vor einer Bücherwand © Grant Pollard/Invision/AP/dpa

Nach Rushdie-Attentat: "Ein Albtraum, der wahr geworden ist"

Stand: 15.08.2022 09:50 Uhr

Der Autor Salman Rushdie wurde bei einer Messerattacke schwer verletzt. Wegen seines Werks "Die satanischen Verse" war er 1989 mit einer Fatwa belegt worden, die zu seiner Tötung aufforderte.

Der Schriftsteller Salman Rushdie ist am Freitag im Ort Chautauqua, New York, kurz vor Beginn einer öffentlichen Veranstaltung über die USA als "Ort des Asyls für Autoren und andere Künstler und als Heimat der Redefreiheit" auf offener Bühne attackiert und schwer verletzt worden. Laut seinem Agenten wird der Autor mittlerweile nicht mehr künstlich beatmet und habe bereits wieder sprechen können. Das Entsetzen über diese unfassbare Tat eines 24-Jährigen bleibt aber groß. Salman Rushdies deutscher Übersetzer Bernhard Robben hat mit NDR Kultur über das Attentat gesprochen.

Herr Robben, wie haben Sie von der Attacke auf Salman Rushdie erfahren?

Bernhard Robben: Ich sah die Meldung bei Spiegel Online. Das war ein Schock. Mein erster Gedanke war: Jetzt ist es passiert. Denn ich bin oft mit ihm auf die Bühne gegangen, habe ihn oft getroffen. Auch in der Zeit, als er noch unter schwerem Polizeischutz stand und sich mit Leibwächtern bewegte. Da war immer der Gedanken - sei es im Backstage, sei es in dem Moment, wo man auf die Bühne ging, sei es, wenn man da oben saß: Was ist, wenn jetzt einer aus dem Publikum aufspringt und sich auf ihn stürzt? Diese Furcht habe ich nie verloren. Er sicherlich auch nicht, ob er jetzt mit Begleitschutz unterwegs war oder nicht. Es ist ein Albtraum, der wahr geworden ist.

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Der Autor Salman Rushdie wird versorgt, nachdem er auf einer Bühne angegriffen wurde. © Joshua Goodman/AP/dpa

Salman Rushdie auf dem Weg der Besserung

Laut seinem Agenten wird der Autor mittlerweile nicht mehr künstlich beatmet und habe bereits wieder sprechen können. mehr

Wann haben Sie Salman Rushdie kennengelernt, können Sie sich erinnern?

Robben: Oh ja, das ist sehr lange her, und das war unmittelbar nach Veröffentlichung der "Satanischen Verse", als es ein Buch unter vielen war und sich mit fünf weiteren Bewerbern auf der Booker-Prize-Liste befand. Ich hatte mir durch Zufall gerade dieses Buch für die Urlaubslektüre ausgewählt und fand es absolut faszinierend. Ich habe damals in Oxford gelebt und habe hinterher Ian McEwan, den ich privat auch kenne, davon erzählt. Der sagte: "Komm doch am Sonntag vorbei zum Kaffee, da wird Salman auch dabei sein." Und da bin ich zu ihm hin und hab gesagt: "Mensch, ich finde das Buch ganz klasse. Ich würde gern ein Interview darüber machen für den BBC." Wir haben einen Termin vereinbart, das war dann um Weihnachten herum. Und kurz vorher dachte ich , dass ich sein vielleicht wichtigstes Werk "Die Mitternachtskinder" doch noch mal lesen sollte. Also habe ich ihn angerufen und gefragt, ob wir das Interview noch um zwei Wochen verschieben könnten.

Dann war am Valentinstag im Februar 1989 die Gedenkfeier für einen Freund in der Kirche. Und in der Kirche hieß es plötzlich: Es wurde eine Fatwa ausgesprochen. Salman sollte verschwinden, sofort, nicht mehr nach Hause zurückkehren. Er solle sich in irgendein anonymes Fluchthaus begeben. Das hat er dann auch gemacht. Auf meine Anrufe hat er erstmal nicht mehr geantwortet. Er war dann fast zehn Jahre im Untergrund.

Ich habe ihn im Untergrund einmal getroffen, zu einer privaten Lesung in Köln. Das war zu der Zeit, als sich zum Beispiel die Fluglinien noch geweigert haben, ihn zu transportieren, weil er ein zu hohes Sicherheitsrisiko war. Also er durfte zum Beispiel nicht mit der Lufthansa fliegen, er kam mit Militärmaschinen. Und in dem Haus, in dem diese Lesung stattfand, traf er mit einer Kavalkade von Fahrzeugen ein. Auf dem gesamten Weg - vom Parkplatz bis zum Leseort - stand alle zwei Meter ein Polizist mit Maschinengewehr. So wurde er damals abgesichert. Das hat dann nach und nach nachgelassen. Es wurde immer weniger und zum Schluss hat er sich die letzten Jahre ganz frei bewegt, ohne irgendeine Kontrolle. Also die letzten Lesungen, die wir in Berlin und Köln gemacht haben, da war von Polizei nichts mehr zu merken. Und trotzdem war immer die Angst da: Was ist, wenn? Was ist, wenn genau das passiert, wenn ein Einzeltäter - nicht, wenn eine organisierte Bande - sich auf ihn stürzt? Das war immer weniger mein Gedanke, sondern der unkontrollierbare Einzelne. Das ist jetzt passiert.

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Welches Buch von Salman Rushdie haben Sie zuerst übersetzt?

Robben: Ich glaube, das war "Shalimar der Narr".

Wann war das?

Robben: Ich kann jetzt gerade mal an mein Regal gehen und nachschauen... 2006 ist das Buch erschienen. Ich weiß nicht, ob es das erste war. Ich bin jetzt aber am fünften oder sechsten Roman von ihm, den ich übersetze: "Victory City". Ein Buch, in dem er erneut in die indische Welt abtaucht. Mit den letzten beiden Büchern war er vor allem in der amerikanischen Welt zu Hause und hat darüber geschrieben. Und jetzt dachte er, es wäre an der Zeit, in diese Welt der "bezaubernden Florentinerin" zurückzukehren. Also ein Geschehen, das Jahrhunderte zurückliegt, in Indien spielt, in einer Welt, in der Magie und Götter allgegenwärtig sind.

Also sehr "Rushdie-esque", kann man sagen.

Robben: Sehr "Rushdie-esque", genau! Er ist halt unglaublich in die Sprache verliebt, und das merkt man mit jedem Satz, der nicht nur eine Information übermittelt, sondern auch eine Musik, einen Rhythmus mit sich bringt. Das ist das Vergnügen der Arbeit an seinen Werken.

Haben Sie auch mit ihm gemeinsam gearbeitet? Kann er so gut Deutsch, dass er ihre Arbeit beurteilen kann?

Robben: Nein, kann er nicht. Er steht zwar jederzeit gern für Fragen zur Verfügung, wir haben uns auch viel und oft unterhalten, aber nicht unmittelbar, was die Arbeit des Übersetzens angeht.

Wichtig wäre, vielleicht noch zu erwähnen: Nach dem Kaffeeklatsch bei Ian McEwan im Garten, wurde ja ein halbes Jahr später die Fatwa erklärt, und dann war das Buch "Die satanischen Verse" als Veröffentlichung im Verlag Kiepenheuer und Witsch vorgesehen, zu einer Zeit, in der international die Verlage angegriffen wurden, die dieses Buch herausbrachten. Nicht nur die Verlage, auch die Verleger, die Übersetzer. Auf Buchläden, in denen dieses Buch stand, gab es Brandanschläge et cetera. Es war also eine fürchterliche Zeit. Kiepenheuer und Witsch hat dann entschieden, aus Sicherheitsgründen dieses Buch nicht machen zu können.

Es wurde dann in Deutschland lange überlegt, wie dieses Buch überhaupt ins Deutsche finden wird. Es gab so eine Art Zwischenlösung mit Hans Magnus Enzensberger, der taz und Lettre International, wo man überlegt hat, dieses Buch stückchenweise in den Zeitschriften zu veröffentlichen. Da wurde ich dann auch gefragt, ob ich es übersetzen will, was eine sehr heikle Entscheidung war. Denn wie gesagt, der japanische Übersetzer ist ermordet worden. Der italienische wurde verletzt. Ich habe damals trotzdem zugestimmt, aber der Kelch ging an mir vorüber, weil dann ein Verlag ausschließlich für dieses Buch gegründet wurde.

Ja, der Artikel 19 Verlag in Hamburg wurde eigens gegründet, um die deutsche Übersetzung zu veröffentlichen. Es ist aber gar nicht so leicht herauszufinden, wer die Übersetzung dann angefertigt hat.

Robben: Das sollte man auch gar nicht herausfinden, weil es wie gesagt eine Lebensgefahr für die Übersetzer bedeutete. Ich kann nur sagen, ich war nicht beteiligt, denn man hat damals gesagt: Es ist gut, wenn es Übersetzer sind, die in Hamburg leben und sich untereinander über Schwierigkeiten unterhalten können, und auch, um den Text möglichst homogen zu gestalten.

Sie haben das Wort Angst erwähnt, das immer im Spiel war, auch wenn sich Salman Rushdie zuletzt geäußert hat, dass er sich eigentlich nicht mehr unmittelbarer Gefahr ausgesetzt sieht. Das geht aus einem kürzlich geführten Interview hervor. Haben sie miteinander auch ganz konkret über diese Ängste gesprochen?

Robben: Nein, weil er nicht gerne darüber sprach. Er sprach überhaupt nicht gern über "Die satanischen Verse". Für ihn war das Thema eigentlich auch erledigt. Nicht das Thema Redefreiheit. Das hat ihn natürlich weiterhin beschäftigt und ist immer aktuell geblieben. Aber vor allem, nachdem er seine Autobiografie "Joseph Anton" veröffentlicht hatte, sagte er: "Ich habe alles gesagt, was es zu diesem Thema zu sagen gibt. Ich mag nicht mehr darüber reden." Deswegen habe ich ihn auf der Bühne zum Beispiel nie direkt gefragt, wie es denn mit den "Satanischen Versen" war. Das muss man auch nicht.

Was würden Sie sich jetzt gerade wünschen, wenn es in Erfüllung gehen könnte?

Robben: Dass ich in zwanzig Jahren immer noch ein neues Buch von ihm auf dem Tisch habe.

Vielen herzlichen Dank, dem Übersetzer Bernhard Robben, für dieses Gespräch!

Das Gespräch führte Raliza Nikolov.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Klassikboulevard | 13.08.2022 | 14:20 Uhr

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