Ein Mann verlässt eine Kirche © picture alliance/dpa Foto: Ingo Wagner

Kirchenaustritte: "Wir brauchen eine aktive Wiederbelebung"

Stand: 27.06.2022 14:47 Uhr

Knapp 360.000 Menschen sind 2021 aus der katholischen Kirche ausgetreten - ein Rekord. Was sind die Gründe und wie kann dieser Trend gestoppt werden? Ein Gespräch mit Katharina Abeln, der Vorsitzenden des Katholikenrates im Bistum Osnabrück.

Frau Abeln, haben Sie diese Zahlen überrascht?

Katharina Abeln: Nein, mich haben die Zahlen nicht überrascht, weil es sich in den letzten Monaten und Jahren abgezeichnet hat. Dennoch machen mich diese Zahlen nachdenklich, weil es nicht nur um eine Gruppe geht, die wir als kirchenfern beschreiben, sondern vor allen Dingen um Menschen, die innerhalb der Kirche stehen, junge, alte Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen die Kirche verlassen. Das macht mich wirklich nachdenklich und auch traurig.

Es ist auch das Wort "lebensbedrohlich" gefallen; es könnte eine lebensbedrohliche Krise für die katholische Kirche sein. Würden Sie das auch so sehen?

Abeln: Wenn es eine lebensbedrohliche Krise ist, dann brauchen wir auf jeden Fall eine aktive Wiederbelebung. Das haben wir ganz dringend nötig, um auf diese Austrittszahlen und insgesamt auf Kirche zu reagieren. Wie erleben wir Kirche? Welches Bild geben wir in der Gesellschaft ab? Da braucht es eine aktive Wiederbelebung.

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Wir haben Menschen im Norden gefragt, wie sie sich diese Zahlen erklären. Es sind Begriffe wie "Enttäuschung" und "System der Lügen" gefallen. Sie kennen diese Argumente wahrscheinlich in- und auswendig. Was sagen Sie diesen Leuten?

Abeln: Ich kann fast gar nichts mehr darauf sagen. Alles das, was gesagt wird, ist richtig. Wir stehen in einer ganz großen Glaubwürdigkeitskrise, in einer Vertrauenskrise. Dennoch ist es für mich auch wichtig, trotzdem in Kirche zu agieren, mich trotzdem in Kirche zu engagieren, weil wir den Wert von Kirche wieder stärker herausstellen dürfen und müssen. Es geht auch darum, der Kirche vielleicht wieder ein neues Gesicht zu geben und den Wert von Gemeinschaft, von Glaubenserfahrung wieder sichtbar zu machen, mit dem Blickwinkel auf die Felder, wo Kirche durchaus auch gelingen kann. Wir haben viele kirchliche Einrichtungen, Beratungsstellen, Kindertagesstätten. Es gilt, auch da nochmal den Blick zu weiten - aber das andere nicht zu verdrängen.

Wie kann dieses neue Gesicht aussehen?

Abeln: Ich bin auch im synodalen Weg engagiert, und für mich ist und bleibt der synodaler Weg ein Hoffnungsweg. Auch wenn es da viele kritische Stimmen gibt, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus anderen Ländern. Dennoch bleibt es für mich ein Hoffnungsweg, der sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss ist, aber ein Umdenkungsprozess, der angegangen wird. Ich setze viel Hoffnung darauf, dass die Impulse, die aus diesem synodalen Weg hervorgehen, Früchte tragen und umgesetzt werden.

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Impulse gibt es viele, etwa die Kampagne #OutInChurch oder die Aktion Maria 2.0. Es wird viel angestoßen, aber letztlich muss auch vom Vatikan aus eine große Veränderung kommen. Frustriert Sie das manchmal, dass Sie so viel machen und tun, sich aber am Ende nichts tut?

Abeln: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Für mich ist die Weltsynode noch mal ein Punkt, wo ich auch noch mal eine Hoffnung habe. Ich bin frustriert - an einigen Stellen auch stark frustriert. Und trotzdem möchte ich nicht stehen bleiben. Für mich ist der Wert von Kirche noch so groß, dass ich alles dafür tue, ein Stück weit weiter zu gehen. Ich erlebe aber auch in der Gemeinde, im eigenen Bistum, dass sich etwas tut. Da müssen wir vielleicht noch ein Stück mutiger werden, und ich hoffe, dass wir da gute Schritte vorangehen können.

Was glauben Sie, könnte so ein Schritt sein? Frauen als Priester? Zölibat? Was könnte sich wann tun, wenn wir auf die nahe Zukunft blicken?

Abeln: Da stellen Sie natürlich sofort die Kernfragen. Ich glaube, dass wir erstmal in anderen Feldern erste Schritte gehen werden. Diakonat der Frauen und Zölibat - das sind römische, weltkirchliche Fragen, die wir leider noch nicht direkt umsetzen können. Trotzdem bin ich guten Mutes, dass diese Themen - gerade auch bei der Weltsynode - platziert werden. Ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich hoffe sehr darauf, dass ich das noch erleben werde.

Das Interview führte Jan Wiedemann.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 27.06.2022 | 16:30 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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