José F. A. Oliver © picture alliance/dpa Foto: Andreas Arnold

"Kein großer Befreiungsschlag": PEN-Zentrum hat neuen Präsidenten

Stand: 13.10.2022 18:34 Uhr

Der Schriftsteller José Francisco Agüera Oliver ist zum neuen Präsidenten des PEN-Zentrums Deutschland gewählt worden. Ein Gespräch mit Jürgen Deppe aus der NDR Kultur Literaturredaktion.

Bei der Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Deutschland im Frühjahr gab es großen Streit und der damals amtierende Präsident Deniz Yücel ist zurückgetreten. Seitdem gab es einen Interim-Präsidenten, Josef Haslinger, und nun ist der reguläre neue Präsident gewählt worden.

José Francisco Agüera Oliver klingt schon mal schnittiger als Josef Haslinger, oder?

José Francisco Agüera Oliver: Schnittiger klingt es, ob es auch wirklich windschnittiger ist, das wollen wir mal gucken. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass das PEN-Zentrum Deutschland im Nachhinein vielleicht doch Deniz Yücel Recht geben will, denn die ganz große Strahlkraft oder das große Renommee hat dieser Mann nicht. Man will ihm gar nicht zu nahe treten, aber wenn Yücel dem PEN mal vorgeworfen hat, in Provinzialisierung, Selbstmarginalisierung, Selbstverzwergung unterzugehen, dann ist dies zumindest nicht der ganz große Befreiungsschlag.

Ich musste erst mal nachgucken, wer dieser José Francisco Agüera Oliver überhaupt ist. Er ist 1961 in Hausach im Schwarzwald geboren. Dass der Name so spanisch klingt, liegt daran, dass seine Eltern ein Jahr vorher als spanische Gastarbeiter nach Deutschland gekommen sind. Er ist Lyriker und Essayist und schaut man in die Liste der Auszeichnungen, die er im Laufe der Jahre bekommen hat, ist mir als erstes aufgefallen, dass er im vergangenen Jahr Ehrenbürger von Hausach geworden ist. Das verwundert auch nicht: Er veranstaltet dort zum Beispiel das Literaturfest Hausacher LeseLenz mit umfangreichen Begleitprogramm für Kinder und Jugendliche. Das scheint so ein gewisses Steckenpferd zu sein. Bei seinen Veröffentlichungen taucht zum Beispiel auf: "Lyrisches Schreiben im Unterricht: Vom Wort in die Verdichtung". Das ist aller Ehren wert, aber die Liste seiner Vorgänger ist sehr namhaft: Erich Kästner hat das mal geleitet, Heinrich Böll, Hermann Kesten, Walter Jens, Carl Amery, Christoph Hein. Und mit Verlaub - in der Liga spielt er nicht.

Es ist ein neues PEN-Zentrum in Berlin gegründet worden: 130 auch zum Teil namhafte Kolleginnen und Kollegen sind dahin abgewandert. Kann denn das alte PEN-Zentrum Deutschland in Darmstadt mit diesem neuen PEN konkurrieren?

Oliver: Ehrlich gesagt, schwerlich. Sollte der derzeitige Elan der neuen Vereinigung in Berlin nicht nur ein Strohfeuer sein, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis der PEN Berlin dem Deutschen PEN den Rang abgelaufen hat. Wenn man mal guckt, was der PEN Berlin in der kommenden Woche auf der Frankfurter Buchmesse macht, da kann man nur mit den Ohren schlackern. Das sind sehr viele Veranstaltungen zu all den großen Themen dieser Zeit: Iran, Türkei, Ukraine mit ganz bekannten Autorinnen und Autoren, von Aslı Erdoğan bis Michel Friedman, Kulturstaatsministerin Claudia Roth sitzt auf dem Podium. Das ist für einen Verein, der sich vor gerade mal einem Vierteljahr gegründet hat, wirklich aller Ehren wert. Klar, Deniz Yücel und Eva Menasse als Sprecher - die ziehen natürlich. Der alte PEN in Darmstadt, der kommende Woche ein paar kleinere Veranstaltungen in Frankfurt auf der Buchmesse macht, der kommt dagegen nicht so richtig an. Oliver hat gesagt, er will gerne zur Versöhnung schreiten, ein bisschen die Vergangenheit aufarbeiten und die Hand ausstrecken. Ob der PEN Berlin überhaupt ein Interesse daran hat, sich mit dem PEN-Zentrum Deutschland zu versöhnen, auch da habe ich meine Zweifel.

Das Gespräch führte Jürgen Deppe.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 13.10.2022 | 17:15 Uhr

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