"Diversity ist mehr als nur kulturelle Vielfalt"
Am 26. Mai hat der 8. Deutsche Diversity-Tag stattgefunden. 2006 hob der gleichnamige Verein die "Charta der Vielfalt" aus der Taufe. Darin verpflichteten sich die unterzeichnenden Arbeitgeber, Chancengleichheit für ihre Beschäftigten herzustellen oder aber auch zu fördern. Etwa 3.000 große, mittlere und kleine Arbeitgeber haben sich dazu zusammengeschlossen, unter anderem auch der Norddeutsche Rundfunk. Geschäftsführerin des Vereins ist Aletta Gräfin von Hardenberg.
Frau von Hardenberg, früher ging es bei Diversity, also Vielfalt im Unternehmen, in erster Linie um die Gleichstellung von Mann und Frau. Heute geht es um viel mehr - um was?
Aletta Gräfin von Hardenberg: Heute geht es um viel mehr als nur um das Geschlecht. Das Thema entwickelt sich weiter, und heute hat man alle Dimensionen vor Augen, die einen Menschen ausmachen: Alter, Behinderung, ethnische Herkunft und Nationalität, geschlechtliche Identität, Religion, Weltanschauung, sexuelle Orientierung und soziale Herkunft. Man könnte die Liste noch unendlich weiter fortsetzen. Ich bin eine Frau, ich bin heterogene Babyboomerin und norddeutsch - damit wird ganz schnell deutlich, dass alle Dimensionen zusammenwirken und die Vielfalt eines Menschen ausmachen.
Wo tun wir Deutschen uns als Gesellschaft im Moment noch am schwersten?
von Hardenberg: Ich glaube, wir tun uns am schwersten, diese Dimensionen zusammen zu betrachten, denn sie bringen einen zu einer ganzheitlichen Betrachtung. Diversity betrifft alle Menschen und jede Form von Vielfalt. Wir wollen die Menschen nicht nach ihrer Vielfalt unterscheiden, sondern es geht um die Gemeinsamkeiten. Wir stecken die Menschen immer in Töpfe und versehen diese mit bewussten und unbewussten Einzelvorurteilen: Zum Beispiel ein Mensch mit Migrationshintergrund spricht nicht gut Deutsch; oder eine Frau arbeitet natürlich in Teilzeit und ist ungeeignet für eine Führungsposition. Das führt ganz schnell zu Vorurteilen, und wenn wir das tun, entgeht uns viel. Ich möchte davon wegkommen. Wenn es um Dimensionen geht, möchte ich den Menschen als vielfältiges Individuum betrachten und ihn mit seinen individuellen Talenten wertschätzen.
Ist nicht die Vielfalt auf dem Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren schon allein durch die zunehmende Globalisierung sehr stark gestiegen?
von Hardenberg: Das ist sicherlich besser geworden, aber es ist noch ein langer Weg. Nur weil ich auf verschiedenen Märkten arbeite und vielfältige Kundinnen und Kunden im Ausland habe, lebe ich noch keine Vielfaltskultur. Eine Unternehmenskultur ist etwas anderes als die regionale Kultur. Ich muss auch da dringend etwas tun, um Vorurteile abzubauen beziehungsweise die Vielfalt wertzuschätzen. Andere Kulturen sind mir erst mal fremd. Ich muss sie kennenlernen und verstehen - und dann können wir erst erfolgreich zusammenarbeiten. Schon eine andere Kleidung, eine andere Religion, anderes Essen kann schnell Vorurteile auslösen. Diversity Management ist eine Reise und erfordert ein ständiges Arbeiten an der Unternehmenskultur. Außerdem ist Diversity mehr als nur kulturelle Vielfalt.
Wie sind da die Fortschritte? Denn man hört immer wieder, dass Menschen mit einem ausländisch klingenden Namen oder mit einer Behinderung extreme Schwierigkeiten haben, wenn sie sich bewerben.
von Hardenberg: Wir sind schon sehr viel weiter als noch vor einigen Jahren. Aber es sind sehr viele Schritte, denn Sie müssen jeden einzelnen Menschen davon überzeugen und ihm oder ihr helfen, die Vorurteile abzubauen. Deswegen arbeiten wir an vielen Projekten, wie zum Beispiel dem Diversity-Tag, um das aufzuzeigen. Wenn ich diese Selbstverpflichtung, die Charta der Vielfalt, unterschrieben habe, dann muss ich auch an meinen Prozessen in der Organisation arbeiten. Ich muss die Menschen, die im Recruiting arbeiten, darüber aufklären und ihnen dabei helfen. Ich muss als Recruiter über meinen Schatten springen und mal andere Talente, die anders ticken und denken, einstellen. Es ist zwar noch ein weiter Weg, aber wir haben auch schon viel erreicht.
Die Alltagsdiskriminierung ist in den vergangenen Jahren eher mehr geworden als weniger. Noch schlimmer ist es, wenn es beispielsweise tätliche Angriffe oder sogar Attentate gibt. Die Grundablehnung der Vielfalt scheint also zugenommen zu haben. Wie kann man dagegen angehen?
von Hardenberg: Unsere Charta der Vielfalt wurde von mittlerweile gut 3.500 Unternehmen und Institutionen unterzeichnet. Damit repräsentieren wir 14 Millionen Arbeitnehmende - das ist ein Drittel aller Arbeitnehmenden in Deutschland, also eine große Zahl, aber noch lange nicht genug. Zwei Drittel müssen wir noch erreichen, und wir müssen intensiv daran arbeiten. Man merkt das zurzeit auf der Straße: Wenn jemand anders ist, und ich kenne diese Andersartigkeit nicht, dann habe ich ein Vorurteil und gehe schnell dagegen an, anstatt mich damit zu beschäftigen und auseinanderzusetzen. Das führt leider auch zu Aggressionen. Deswegen sollten wir weiter an Diversity arbeiten. Das ist auch ein Grund, warum uns das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bei dem Tag unterstützt und viele Ministerien mitmachen - alle sehen, dass es wichtig ist, daran zu arbeiten. Es kann nicht genug sein, darüber zu berichten und als Arbeitgeber mit seinen Mitarbeitenden in Dialog zu treten, warum das wichtig und gut ist.
Das Gespräch führte Jürgen Deppe