Bedingungsloses Grundeinkommen: "Eine Reform in greifbarer Nähe!"
Der Unternehmer und Bestseller-Autor Michael Bohmeyer hat den Verein "Mein Grundeinkommen e.V." gegründet, der Geld sammelt und davon regelmäßig Grundeinkommen für ein Jahr verlost.
Herr Bohmeyer, erklären Sie uns vorab, wie genau das Ganze funktioniert.
Michael Bohmeyer: Jeder Mensch kann bei uns mitmachen, egal ob arm oder reich, jung oder alt, Baby oder Rentnerin. Man kann sich mit der E-Mail-Adresse registrieren und mit einem bisschen Glück jeden Monat eins von 25 Grundeinkommen gewinnen, die ein Jahr lang zu 1.000 Euro monatlich ausgezahlt werden - völlig frei von Bedingungen. So wollen wir herausfinden, wie diese Idee in der Praxis wirkt.
Kommt es denn auch vor, dass mal ein Millionär gewinnt?
Bohmeyer: Tatsächlich ist es so, dass bei uns auch schon einige Wohlhabende gewonnen haben. Weil die Idee des Grundeinkommens ist, dass man keine Bedürftigkeitsprüfung hat, dass alle Menschen am Monatsanfang genug Geld zum Leben kriegen, einfach weil sie Menschen sind. Das hat den Vorteil, dass man nicht mehr diskriminieren muss. Man muss niemanden mehr zum Amt schicken und erstmal die Bedürftigkeit feststellen.
Ist es Ihnen als Macher egal, wer das Geld bekommt? Oder freuen Sie sich nicht doch mehr, wenn es jemanden trifft, der sonst zum Amt gehen würde?
Bohmeyer: Es freut mich schon manchmal mehr, weil es natürlich schwer ist, das nicht zu bewerten. Aber darum geht es bei einem Grundeinkommen nicht. Das Grundeinkommen ist ja im Prinzip ein Trick: Statt heute zu prüfen, wer braucht es und wer braucht es nicht und damit bei den Bedürftigen für Scham und Diskriminierung zu sorgen, zahlt man einfach allen Menschen das Geld, von dem wir wissen, dass sie es im Zweifel ohnehin brauchen. Später schauen wir über die Steuern, wer es gebraucht hat und wer es aus eigener Kraft geschafft hat. Die, die es aus eigener Kraft geschafft haben, noch Geld hinzuzuverdienen, die zahlen dann ihr Grundeinkommen in Form von neuen Steuern zurück.
Kritiker sagen, dass die Leute dann gar keinen Ansporn mehr haben, etwas zu machen, weil das Geld sowieso reinkommt. Was haben Sie da in den vergangenen Jahren beobachtet?
Bohmeyer: Wir haben bei über 1.100 Personen nichts dergleichen erlebt. Wir haben mit der Lupe nach der Faulheit gesucht, die den Menschen oft nachgesagt wird, aber es passierte einfach nicht. Im Gegenteil: Die Menschen suchen sich teilweise neue Jobs, die besser zu ihnen passen, wo sie mehr verdienen. Sie arbeiten produktiver, sind dabei gesünder. Sie haben weniger Existenzsorgen. Viele gründen Unternehmen und bilden sich weiter. Ich glaube, es ist ein Mythos, dass Menschen faul würden, wenn sie Geld ohne Gegenleistung bekämen - und wir reden hier nicht von üppigen Summen, sondern von einer Grundlage zum Leben. Das lässt sich auch empirisch überhaupt nicht belegen. In allen Pilotprojekten weltweit kommt eigentlich das Gleiche raus: Am Arbeitsangebot verändert sich mit einem Grundeinkommen im Prinzip nichts.
Was ist das langfristige Ziel des Vereins? Und wo stößt er irgendwann an seine Grenzen? Wo müsste sich dann insgesamt etwas tun?
Bohmeyer: Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine vielversprechende Idee. Wahrscheinlich deshalb, weil es Menschen transformationsbereit macht. Unsere Welt ist in einem großen Umbruch: Wir haben die Digitalisierung, die die Arbeitswelt umbaut. Wir haben den Klimawandel, auch eine Demokratiekrise. Um dem zu begegnen, müssen wir lernen, als Gesellschaft ganz anders zu leben. Bei all diesen Sachen wirkt es so, als könnte Grundeinkommen ein fundamentaler Baustein sein, um diese Transformation zu bewältigen. Aber leider macht der Staat gerade noch keine Anstalten, um das Grundeinkommen praktisch zu testen, obwohl es in vielen Ländern der Welt bereits passiert. Und solange der Staat untätig ist, machen wir das als Zivilgesellschaft einfach schon mal vor. Wir haben klein angefangen, werden immer größer und machen jetzt ein Experiment nach dem anderen. Wohin uns das Ganze trägt, kann ich ehrlich gesagt nicht sagen. Wir versuchen es einfach so lange zu machen, bis der Staat hoffentlich irgendwann übernimmt.
Wir haben gerade viele Krisen und Probleme: zum Beispiel Corona und steigende Lebensmittel und Spritpreise durch den Krieg. Ist es da nicht so, dass immer weniger Menschen Geld übrig haben für so ein Experiment wie Ihren Verein?
Bohmeyer: Interessanterweise ist das Gegenteil der Fall. Je größer die Krisen über die letzten acht Jahre geworden sind, desto mehr steigt die Bereitschaft bei unseren Leuten, Geld an uns zu spenden. Denn umso größer wird die Sehnsucht nach Alternativen. Das Grundeinkommen mag für einige Ohren utopisch klingen, aber es ist tatsächlich eine Reform, die in greifbarer Nähe liegt. Es ist im Prinzip eine Umstellung unseres Sozialsystems und eine Steuerreform. Das Versprechen, dass alle Menschen erst einmal genug haben, dass die Angst verschwindet, dass man sich nicht mehr so um sich selbst drehen muss, weil man irgendwie seinen Lebenserhalt sichern muss, sondern dass man offen für Veränderungen und Neues sein kann - das ist gerade in Krisenzeiten gefragt. Deswegen ist auch unser Projekt mehr gefragt denn je.
Beobachten Sie, dass es in der Gesellschaft gerade ein Umdenken gibt, weg von immer mehr Profit hin zu mehr friedlicherem Miteinander?
Bohmeyer: Ich wünschte, das könnte ich beobachten, aber das kann ich überhaupt nicht feststellen. Wir sehen aber, dass ein Grundeinkommen durchaus so einen Effekt erreichen kann. Pilotprojekte weltweit deuten in die Richtung hin. Zum Beispiel das finnische Experiment vor vier Jahren, bei dem herauskam, dass durch die bedingungslose Auszahlung von Sozialleistungen sieben Prozent mehr Menschen wählen gegangen sind, weil sie wieder das Gefühl hatten, selbst Herr über ihr Leben zu sein, weil sie nicht mehr bevormundet wurden, sondern genug zum Leben hatten - ohne Bedingungen. Sie haben wieder das Gefühl von Wirksamkeit gehabt, haben gedacht: Das, was ich tue, macht wieder einen Unterschied in der Welt. Sie hatten deshalb zum Beispiel wieder Lust, sich an der Demokratie zu beteiligen. Was wäre, wenn es allen so gehen würde?
Das Gespräch führte Jan Wiedemann.
