Polizistinnen und Polizisten des Bachelorstudienjahrgangs der Polizeiakademie Niedersachsen sitzen bei ihrer Abschlussfeier auf einem Sportplatz. © picture alliance/dpa/Hauke-Christian Dittrich Foto: Hauke-Christian Dittrich

Wie Niedersachsens Polizei Extremisten trotzen will

Stand: 20.07.2022 14:35 Uhr

Niedersachsens Polizei will sich gegen Extremisten schützen. Das Projekt "Polizeischutz für die Demokratie" setzt auf politische Bildung und einen Inneren-Werte-Kompass. Es ist bundesweit einzigartig.

von Angelika Henkel

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Niedersachsens Polizei das Projekt aufgelegt, das es nirgendwo sonst gibt und Vorreiter für andere Bundesländer sein könnte. "Es ist im Augenblick sehr wichtig, dass die Polizei sich selbst reflektiert", sagt der Leiter der Polizeiakademie, Carsten Rose, dem NDR. Er verantwortet das Projekt im Wesentlichen und bringt es gemeinsam mit anderen Führungskräften, der Gewerkschaft der Polizei und Personalvertretungen voran. "Die Diskussionen um Black Live Matters, die Rassismus-Vorwürfe, Chatgruppen und ähnliches zeigen uns, dass wir uns stärker verorten müssen. Wofür stehen wir? Für welche Werte? Und was kann jeder einzelne tun?"

Ehrengäste aus Israel

Geschichte verstehen – das ist einer der Kernpunkte des Programms. Eben ging eine Reise zu Ende, die die Polizeiakademie organisiert hatte: Tswi Herschel und seine Tochter kamen aus Israel, um vor Polizisten und Polizistinnen über ihr Leben zu sprechen. Tswi Herschel hat den Holocaust nur überlebt, weil seine Eltern ihn als Baby in die Obhut einer christlichen Familie in den Niederlanden übergaben. Sie selbst starben im Konzentrationslager.

Rolle der Polizei zur Nazi-Zeit

Johann Kühme, Polizeipräsident in Oldenburg, ist von Tswi Herschel beeindruckt. "Die Polizei hat sich von den Nationalsozialisten instrumentalisieren lassen. So etwas darf sich nicht wiederholen", so Kühme. Besuche von Gedenkstätten, Treffen in Moscheen und Synagogen, offene Diskussionsrunden mit Organisationen, die sich für die Perspektive von Migranten einsetzen - all das hätte es vor zehn Jahren nicht gegeben. Dies beruhe auf einer Strategie, die auf eine bürgernahe Polizei setzt. Extremistische Angebote sollten keine Chance haben, sich zu manifestieren.

Ein Ziel: Schubladendenken vorbeugen

Für mehr Reflexion sollen "Demokratiepaten" sorgen. 75 sind in den letzten Jahren trotz der Pandemie ausgebildet worden. Einer von ihnen ist Michael Butt. Er ist Polizeihauptkommissar in Zeven, einer kleiner Wache mit drei Dutzend Beamten und Beamtinnen im ländlichen Raum. Eben ist ein Einsatzwagen zurückgekehrt. Die Kollegin erzählt von einem Schwerverletzten, der unter einem eingestürztem Gebäude lag. Es sind nicht nur solche Eindrücke, die bleiben. "Wir versuchen, mit den Kollegen ins Gespräch zu kommen und Selbstreflexion anzuschieben. Wir bewegen uns oft am Rande der Gesellschaft. Da kommt es oftmals auch zu Problemen mit gewissen Bevölkerungsschichten," sagt Butt im Interview. Da könne es zu Schubladendenken kommen, das nicht angebracht sei.

"Mehr kritische Geister fördern"

Bei der Bereitschaftspolizei gibt Thomas Müller derzeit Seminare für junge Führungskräfte, in denen es um Werte, das Grundgesetz und Rassismus geht. Der Pensionär war selbst Polizeibeamter in Bremen, engagiert sich bei Amnesty International. Er findet das Projekt "Polizeischutz für Demokratie" klasse, wünscht sich aber mehr: "Die Polizei kann viel besser werden, wenn es ihr gelingt, mit ihren eigenen kritischen Geistern gut umzugehen. Die braucht sie, ebenso wie einen unabhängigen Polizeibeauftragten jenseits der Hierarchie, dem sich Polizisten und Polizistinnen anvertrauen können." Doch das ist in Niedersachsen derzeit politisch kein breit diskutiertes Thema. Aber: "Polizeischutz für Demokratie" soll weiter ausgebaut werden, die nächsten "Demokratiepaten" werden bereits geschult.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 20.07.2022 | 17:00 Uhr

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