Bernhard Pörksen © Peter-Andreas Hassiepen Foto: Peter-Andreas Hassiepen

Gedanken zur Zeit: Weltbilder erschüttern mit Schwarzenegger

Stand: 09.07.2022 06:00 Uhr
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von Bernhard Pörksen

Präventive Desinformationsbekämpfung gegen Fake-News

Warum ist es so schwer, Fake-Narrative zu widerlegen? Antwort: Dies ist auch deshalb so schwer, weil die Widerlegung häufig zu spät kommt, sich das falsche Bild bereits in den Köpfen festgesetzt hat. Und eine Korrektur nicht ausreichend geteilt und verbreitet wird. Was also tun? Die Antwort: Es gilt schneller zu werden, einzuschreiten, bevor das Fake-Narrativ den Diskurs dominiert. Statt nur reaktiv widerlegt, sollten Falschnachrichten auch präventiv entlarvt werden - "prebunking" statt "debunking". Wie das funktioniert, konnte man in den letzten Wochen und Monaten beobachten: Mal waren es Satellitenbilder, mal Geheimdienstinformationen, mal blitzschnell verbreitete Drohnen-Videos und Fotos, die zur Demontage von russischer Propaganda herangezogen wurden.

So wurde nach Kriegsbeginn ein gefälschtes Video auf einer gehackten ukrainischen Nachrichtenwebsite publiziert. Hier erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj - angeblich - die Kapitulation. Hier forderte er - angeblich - seine Truppen auf, die Waffen nieder zu legen und nach Hause zu gehen. Aber diese Kapitulationsstory verfing nicht. Denn die Ukrainer waren längst gewarnt, dass ein solches Video verbreitet werden könnte. Und Selenskyj reagierte blitzschnell mit einem echten Video. Darin machte er klar: Alles Quatsch, nichts stimmt.

Das ist, wenn auch noch in groben Konturen, präventive Desinformationsbekämpfung. Sie arbeitet mit Szenarien, besitzt also eine futuristische Komponente. Sie sieht Propagandatricks voraus, leitet frühzeitig Gegenstrategien ein. Das Ziel ist es, die "data void", die leeren Stellen im Informationsuniversum, mit aufklärerischen Inhalten zu füllen, bevor sich der Fake-Müll überall verbreitet.

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Medienbildung als gesellschaftliche Aufgabe

Die laufende Medienrevolution, die neue Macht der Desinformation und der Gefährdung vieler Demokratien ist eine Bildungsherausforderung, die vielerorts noch nicht wirklich erkannt ist. Viel zu oft sind die Debatten über irgendwelche "Digitalkompetenzen" - das ist der diffuse Begriff im Koalitionsvertrag der Regierung - floskelhaft, auf naive Weise technikfasziniert, geldgetrieben und mutlos. Was fehlt, ist Entschiedenheit, kombiniert mit konkreten Inhalten und einer inspirierenden Didaktik. Es braucht eine klare Werteorientierung, die sich nicht in einem gutgemeinten Wahrheitspaternalismus erschöpfen darf.

Medienbildung muss die Demokratie schützen, ohne die Ideale von Aufklärung und Mündigkeit zu verletzen. Finnland liefert dazu ein gutes Beispiel. Dort hat man schon vor dem Schock der Krim-Annexion 2014 und als Reaktion auf russische Desinformationskampagnen eine Medienbildung aufgebaut, die in Europa ihresgleichen sucht. Unter anderem gibt es ein Critical Thinking Curriculum, das darauf zielt, quer durch alle Fächer Quellenanalyse und Fakt-Checking einzuüben, Manipulationstechniken zu analysieren und zu entlarven. Medienbildung wird als gesellschaftliche Aufgabe begriffen, die im Idealfall im Kindergarten beginnt. Ziel ist es, die eigene Urteilskraft zu stärken. Bereits 2018 wies Finnland gemäß einer Studie die höchsten Medienkompetenz-Werte auf. Finnland zeigt, dass es nicht reicht, ein paar Milliarden Euro und jede Menge iPads über den Schulgebäuden abzuwerfen. Die Aufgabe ist grundsätzlicher, sie zielt auf den Schutz des geistigen Lebensraums einer liberalen Demokratie.

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Aufklärung: Eine nie endende Sisyphusarbeit

Noch einmal zurück zur Geschichte von Misha Katsurin. Auf seiner Website findet sich eine Tonbandaufnahme, die ein weiteres Telefonat mit dem Vater dokumentiert. Katsurin erzählt von seinen Angestellten, von denen manche in U-Bahn-Schächten leben. Und von der Großmutter, die den Tag über im Badezimmer sitzt, weil das der sicherste Platz in der Wohnung ist, wenn geschossen wird. Er berichtet dem Vater von einer befreundeten Familie, die in einem Bunker hockt, von den Hilferufen, die nach ein paar Tagen per SMS aus diesem Bunker kommen, weil die kleine Tochter der Familie nicht mehr aufhören kann zu weinen.

Schließlich bricht die Abwehr des Vaters zusammen. Es gelingt ein erster Austausch, ein Gespräch über die Schrecken des Krieges. Ist damit schon alles erreicht? Gewiss nicht. Kommunikativer Brückenbau ist schwierig. Deshalb nutzt Misha Katsurin Spendengelder, die ihn und sein Team erreichen, für die psychologische Beratung jener Ukrainerinnen und Ukrainer, denen der Dialog mit den russischen Verwandten und Freunden nicht gelingen will. Aufklärung, das ist ihm jetzt klar, ist manchmal beglückende, manchmal ernüchternde Sisyphusarbeit. Und sie endet nie.

Dieser Essay erschien in leicht abgewandelter Form zuerst in der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 4. Juli 2022.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Gedanken zur Zeit | 09.07.2022 | 13:05 Uhr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

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