Der Ukrainekrieg und die Zukunft der EU
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine herrscht in Europa ein Krieg, mit tiefgreifenden Auswirkungen auf viele Lebensbereiche und besonders auf die internationale Politik. Was bedeutet dieser Krieg eigentlich für die Europäische Union?
Die Probleme der EU sind in den Hintergrund geraten
Bis vor kurzem ist die Europäische Union überwiegend durch innere Konflikte aufgefallen, vor allem die mit Polen und Ungarn über die Unabhängigkeit der Presse und der Justiz gegenüber Parteien, die ihre auf Zeit vergebene Machtposition in eine auf Dauer angelegte Vorherrschaft verwandeln wollen. Gleichzeitig ist der Streit über die finanzielle Absicherung überschuldeter Mitgliedstaaten der EU im Süden Europas noch keineswegs beigelegt, sondern durch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank nur gedämpft. Dementsprechend wirken die Zentrifugalkräfte auf die potentiellen Bruchstellen der EU zwischen Norden und Süden sowie Westen und Osten zurzeit weniger stark ein. Wenngleich der Brexit alles andere als ein englisches Erfolgsmodell geworden ist, so ist doch die Sorge geblieben, andere Mitgliedstaaten könnten dem britischen Beispiel folgen und ebenfalls die EU verlassen.
All das ist mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine in den Hintergrund geraten. An die Stelle der finanz- und verfassungspolitischen Fragen sind solche der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik getreten; sie dürften für lange Zeit die politische Agenda der EU bestimmen.
Ungarn und Serbien: Neue Konflikte drohen
Die Neuordnung der Brüsseler Agenda bedeutet freilich nicht, dass die Streitpunkte in der EU völlig verschwunden wären: Die mit Polen dürften vorerst keine größere Rolle spielen, zumal sich mit der Aufnahme von drei Millionen ukrainischen Flüchtlingen in Polen, bei denen unabsehbar ist, wie viele von ihnen dauerhaft bleiben werden, der Konflikt um die Aufnahme von Migranten vorerst erledigt hat. Aber das Problem mit Ungarn bleibt, zumal Orbán an seiner Putin-Affinität weiter festhält.
Ein weiteres Problem kommt hinzu: das mit Serbien. Seit längerem bemüht sich Belgrad um den Beitritt zur EU, hält aber an seiner extrem russlandnahen Politik fest und könnte darum zusammen mit Ungarn zu einem potentiellen Veto-Spieler bei einer auf Distanz zu Russland ausgerichteten EU-Politik werden. Obendrein ist Serbien ein revisionistischer Staat, der die im Verlauf der jugoslawischen Zerfallskriege entstandene regionale Ordnung ändern will, den Anschluss der Republika Srpska anstrebt und die Anerkennung des Kosovo verweigert. Ein solches Mitglied würde die Zentrifugalkräfte innerhalb der EU mit Sicherheit verstärken. Das spricht gegen die Aufnahme Serbiens in die EU. Für die Aufnahme spricht hingegen, dass ein von der EU zurückgewiesenes Serbien zum Trittstein einer grundsätzlich destruktiven russischen Europapolitik werden dürfte, die Verlegung russischen Militärs nach Serbien eingeschlossen, um von dort aus eine Politik der Destabilisierung des Balkans zu betreiben. Kurzum: Die Europäer stehen im Fall Ungarns wie Serbiens vor der Frage, ob sie auf gemeinsam geteilte Werte setzen sollen oder auf die geopolitische Geschlossenheit des EU-Raums im Sinne einer für politische Kontrahenten undurchdringlichen Einheit. Vermutlich werden sie beides miteinander zu verbinden suchen, was zu neuen Konflikten führen dürfte.
- Teil 1: Die Probleme der EU sind in den Hintergrund geraten
- Teil 2: Die USA werden uns nicht jedes Mal zur Seite springen